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Berlin steht still während der Corona-Pandemie.

© Kitty Kleist-Heinrich

So wirkt sich die Coronakrise auf die Stadt aus: Deutlich weniger Stromverbrauch und bessere Luft in Berlin

Die Stilllegung Berlins verändert die Mobilität, den Strombedarf und die Luft. Ein Blick auf die urbanen Lebensfunktionen.

Die weitgehende Stilllegung hat Berlin nicht nur fürs Auge (leerer) und fürs Gemüt (schwerer) verändert, sondern auch objektiv messbar: Vorbei sind die Zeiten, an denen morgens sämtliche Familienmitglieder durchs Bad – Toilette, Dusche, Zähneputzen – eilten, bevor die Kinder in die Kita oder Schule und die Eltern zur Arbeit mussten. 

Weil abends niemand mehr ausgeht, verändert sich auch der Stromverbrauch. Und weil auf den Straßen so wenig los ist, signalisieren die Messstationen der Umweltverwaltung außergewöhnlich gute Luft: Selbst am chronisch zugedieselten Hardenbergplatz gab es am Dienstag für den „Luftqualitätsindex“ eine glatte Eins.

Sogar die Daten des Messwagens, der im Stickoxid-Brennpunkt an der engsten Stelle der Leipziger Straße parkt, reichten für die Note Zwei. Das hat zwar auch mit dem Wetter zu tun, aber maßgeblich mit dem starken Rückgang des Verkehrs.

Autoverkehr ist stark zurückgegangen

Wie stark eigentlich? Um etwa ein Drittel ist die Menge der Fahrzeuge im Laufe des Monats beispielsweise in der Leipziger Straße in Mitte und auf der Potsdamer Chaussee in Zehlendorf gesunken. 

Fast ebenso deutlich ist der Rückgang am Adlergestell und auf der Heerstraße. An der Frankfurter Allee in Friedrichshain, auf dem Tempelhofer Damm und auf der Müllerstraße in Wedding liegt der Rückgang jeweils bei rund einem Viertel, wie die Zähldaten der Verkehrsinformationszentrale zeigen. 

Der Effekt betrifft auch die Wochenenden, an denen noch viel weniger Fahrzeuge unterwegs sind als sonst. Aber er beruht fast komplett auf dem geringeren Autoverkehr: Die Menge von Lastwagen und Bussen nahm in der letzten Märzwoche teilweise sogar zu.

Die Entwicklung des Verkehrs in der Leipziger Straße. Zur Vollansicht bitte auf das rote Kreuz klicken.
Die Entwicklung des Verkehrs in der Leipziger Straße. Zur Vollansicht bitte auf das rote Kreuz klicken.

© Tsp/Bartel

Keine Staus mehr wegen Berufsverkehr

Der Anteil des im morgendlichen Berufsverkehr zugestauten Straßennetzes sank laut den Senatsdaten von etwa fünf Prozent auf nahe null. Und von jenen sieben Prozent der Straßen, auf denen es morgens sonst nur zäh voranging, sind nicht einmal mehr zwei Prozent übrig. 

Allein: Es nützt all jenen nichts, die diesen Effekt durch ihre Abwesenheit ermöglichen. Es sei denn, sie wohnen selbst an solchen Straßen: Auf etwa 1,5 Dezibel schätzen Fachleute der Umweltverwaltung den Rückgang des Lärms bei 20 bis 30 Prozent weniger Verkehr. 

Das ist objektiv wenig, aber kann subjektiv auch deshalb viel sein, weil auf freien Straßen meist weniger ruppig gefahren wird, also niedertouriger und ohne Gehupe.

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Polizei vermutet, dass sich Unfallzahlen verringern könnten

Dass weniger Verkehr auch die Unfallzahlen verringern dürfte, vermutet die Polizei zwar – kann aber vorerst keine Zahlen dazu liefern, wie es auf Anfrage hieß. Sollte die Vermutung stimmen, dürften auch andere profitieren: Jeder Verletzte weniger entlastet die Krankenhäuser. „Die Kurve abflachen“, lautet die Beschwörung schlechthin in diesen Tagen. Beim Trinkwasserbedarf ist das bereits passiert.

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Bisher schoss die Nachfrage aus ihrem nächtlichen Tief steil hinauf bis zur Tagesspitze morgens halb acht. Jetzt steigt sie sanfter – und nicht so hoch – bis ungefähr um neun, um dann auch erst ganz allmählich wieder abzuflachen.

Was im Klärwerk ankommt, ist nach Auskunft der Berliner Wasserbetriebe nicht anders als sonst: Der mutmaßlich erhöhte Seifenverbrauch fällt laut BWB-Sprecher Stephan Natz nicht auf, und „die Desinfektionsmittel merken wir nicht“, weil sie auf Alkohol basieren, der sich vorher verflüchtigt.

Trinkwassernachfrage bleibt konstant

„Dabei würden sich die Bakterien im Klärwerk riesig über Alkohol freuen“, sagt Natz: „Nicht wegen der Prozente, sondern wegen der Kalorien.“

An der abendlichen Wasserverbrauchsspitze – gegen 20 Uhr und weniger ausgeprägt als am Morgen – hat sich laut den Daten der Wasserbetriebe dagegen wenig verändert, und auch die Nachfrage insgesamt ist nach Auskunft des BWB-Sprechers recht konstant.

Kaum Veränderungen beim Gasbedarf

Das trifft nach Angaben von Andreas Wendt, Sprecher der Gasag-Netztochter NBB, auch für den Bedarf an Gas zu: „Selbst die geschlossene Gastronomie in Berlin macht sich im Gasverbrauch nicht wirklich bemerkbar.“ 

Das gelte erst recht für Brandenburg, wo die energieintensive Wirtschaft weiter funktioniere. Auch die täglichen Verbrauchsspitzen „liegen weiter normal zwischen 6 und 8 sowie zwischen 18 und 19 Uhr“.

Stromverbrauch stark gesunken

Im Stromnetz sind die Veränderungen dagegen deutlich: Die in den Abendstunden übliche Höchstlast sei zuletzt von sonst 2000 Megawatt auf etwa 1800 Megawatt gesunken und der Stromverbrauch insgesamt um etwa zehn Prozent zurückgegangen. 

„Angesichts des kompletten Wegfalls von Kultur- und Gaststättenbetrieb sowie der Hotellerie mit normalerweise 400.000 Gästen in der Stadt ist das auch wenig verwunderlich“, sagt Vattenfall-Sprecher Olaf Weidner.

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Beim überregionalen Stromnetzbetreiber 50Hertz heißt es, der Rückgang im Nordosten Deutschlands sei im Vergleich zu anderen europäischen Regionen eher gering, weil sich hier nur wenige energieintensive Industriebetriebe befinden und kaum mit Strom geheizt werde. 

Bei 50Hertz registriert man dagegen gerade andere Rekorde: Im meist windigen Februar sei der Osten Deutschlands rechnerisch zu 85 Prozent mit Ökostrom versorgt worden. Und an den sonnigen Märztagen seien mittags bis zu 8500 Megawatt Solarstrom – also fast das Fünffache des aktuellen Berliner Spitzenverbrauchs – ins Netz eingespeist worden.

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