zum Hauptinhalt
Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke): Erwerbsarmut sei ein „Armutszeugnis.“

© Paul Zinken/dpa

So will die Senatsverwaltung Erwerbsarmut bekämpfen: Besonders Frauen und Migranten sind betroffen

Besonders Migranten, Menschen mit Behinderung und Frauen sind von Erwerbsarmut betroffen. Arbeitssenatorin Breitenbach will das ändern.

Von Ronja Ringelstein

Immer mehr Menschen sind von Altersarmut bedroht, und gerade in einer Großstadt wie Berlin kommt alles zusammen, was die negative Entwicklung begünstigt. Die zuständige Senatsverwaltung für Arbeit und Soziales will das Problem angehen, indem sie die Erwerbsarmut bekämpft – denn diese führe heute zur Altersarmut von morgen.

Aus dem Hause der Arbeitssenatorin Elke Breitenbach (Linke) heißt es: „Erwerbsarmut ist zuerst Einkommensarmut“. Viele Menschen in Berlin leben – obwohl sie einer Arbeit nachgehen – an der Armutsschwelle.

So werden sie es auch im Rentenalter schwer haben. Als arm gilt, wer weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens als Nettohaushaltseinkommen zur Verfügung hat. Das durchschnittliche Nettoeinkommen liegt in Berlin in einem Einpersonenhaushalt bei 1500 Euro.

Senatorin Breitenbach zeigt sich bei dem Thema kämpferisch, sie sagte dem Tagesspiegel: Erwerbsarmut sei ein „Armutszeugnis“, das man nicht tatenlos hinnehmen könne oder wolle. „Wir benötigen neue Ideen und praktikable Vorschläge zur Bekämpfung von Erwerbsarmut.“

Breitenbach weist darauf hin, dass ihr Haus deshalb erst kürzlich eine Konferenz zum Thema Erwerbsarmut organisiert habe, um sich mit Experten anderer europäischer Länder auszutauschen. Zu den Ergebnissen schweigt sie noch. Doch das Ziel sei klar: Gute Arbeit durchzusetzen und den Standort Berlin auch als Arbeitsmarkt noch attraktiver zu machen.

Besonders bedroht sind kinderreiche Familien und Frauen

Aus der Problemanalyse der Senatsverwaltung für Arbeit und Soziales, die dem Tagesspiegel vorliegt, wird deutlich, dass es vor allem drei Gruppen gibt, die gefährdet sind in die Armut abzurutschen: Frauen, Migranten und Menschen mit Behinderung oder Krankheit.

Besonders von Erwerbsarmut betroffen und bedroht sind kinderreiche Familien und insgesamt Frauen – insbesondere Alleinerziehende. Denn: Frauen arbeiten häufiger als Männer in prekären und sogenannten atypischen Beschäftigungsverhältnissen, beispielsweise Minijobs, gering bezahlte Teilzeitarbeit.

Gerade im Dienstleistungssektor, der für viele Metropolen – so auch Berlin – prägend ist, weist der Arbeitsmarkt einen hohen Anteil an solchen prekären und atypischen, gering bezahlten Beschäftigungsverhältnissen auf. „Nach wie vor existiert der Gender Pay Gap, die geschlechtsspezifische Lohnlücke. Damit eng verbunden ist Kinderarmut“, teilt die der Senatsverwaltung mit.

Migranten in Deutschland besonders oft im Niedriglohnsektor

Migranten sind gerade in Berlin eine der am stärksten wachsenden Bevölkerungsgruppe. Im europäischen Vergleich arbeiten in Deutschland besonders viele Migranten im Niedriglohnsektor. Auch hier führt die relativ niedrige Entlohnung oft zu einem lebenslangen Unterstützungsbedarf bei der Existenzsicherung.

„Eine Gruppe, die ebenfalls im Fokus stehen sollte, sind Menschen mit Behinderungen. Sie verfügen in der Regel über ein geringeres Einkommen als Menschen ohne Behinderung und oft über keine finanziellen Polster und Vermögen“, hieß es außerdem.

Die Devise des Senats ist: Arbeit jetzt gut bezahlen, dann werde die Lage im Alter auch nicht prekär. Gerade hat er deshalb den Landesmindestlohn ab 2020 auf 12,50 brutto pro Stunde angehoben. Dieser gilt für alle Arbeitnehmer in Unternehmen des Landes, der öffentlichen Verwaltung oder in Einrichtungen, die öffentlich gefördert werden.

Berliner Betriebe seltener an Tarifvertrag gebunden

Ohne die Privaten geht es nicht. Deshalb setze sich die Senatsverwaltung außerdem für eine hohe Tarifbindung in den Unternehmen und Betrieben ein. „Umsetzen müssen das aber die Tarifpartner. Der Dialog mit den Sozialpartnern hat in Berlin eine gute Tradition. Darüber haben wir schon viel erreicht“, heißt es.

Ein Blick auf die Zahlen des Berliner Betriebspanels aber zeigt: Nicht einmal die Hälfte (47 Prozent) der Berliner Beschäftigten ist von einem Tarifvertrag erfasst. Nur noch 18 Prozent der Berliner Betriebe sind tarifvertraglich gebunden, das sind neun Prozent weniger als im Bundesdurchschnitt. Man müsse den Sozialpartnerdialog verstärkt nutzen, um Erwerbsarmut zu bekämpfen, sagt die Sozialverwaltung dazu.

Der Weg raus aus den Minijobs

Auch an die Minijobs, die vor allem von Frauen ausgeübt werden, will der Senat heran und die Frauen „in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung überführen“. Dafür unterstütze man entsprechende Initiativen.

Klar sei, dass von einer Erwerbsarmut besonders diejenigen betroffen seien, die nur über eine geringe Qualifikation verfügen. Hier soll das ESF-Programm des Landes Berlin „Qualifizierung vor Beschäftigung“ helfen, mit dem Menschen die Chance gegeben werden soll, „Abschlüsse nachzuholen oder durch praxisnahe Qualifizierung wieder Fuß zu fassen auf dem ersten Arbeitsmarkt.“

Die Möglichkeiten des Landes seien trotzdem beschränkt. „Wir brauchen den Bund, der entsprechende Rahmenbedingungen schaffen, Gesetzesvorhaben auf den Weg bringen und umsetzen muss.“

Mehr als 30 Prozent des Einkommens allein für die Miete

Ein besonderes Problem stellt mit Blick auf die Altersarmut auch der prekäre Wohnungsmarkt dar. Das Angebot kleinerer Sozialwohnungen für Ein- oder Zweipersonenhaushalte ist zu gering. Zwei Drittel der Haushalte von Menschen über 65 Jahren müssen mehr als 30 Prozent ihres Einkommens auf Miete und Nebenkosten verwenden, wie jüngst eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zeigte.

Der Senat hat zwar die Bemessungsgrenzen für Sozialleistungen und Grundsicherung erhöht und so an den aktuellen Mietspiegel angepasst, doch ohne dass mehr bezahlbarer Wohnraum geschaffen wird, entspannt sich die Lage wohl nicht.

Zur Startseite