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Lisa Paus führt die Berliner Bundestagsliste der Grünen an.

© Annette Riedl/dpa

So lief der Parteitag der Berliner Grünen: Bundestagsabgeordnete Lisa Paus wird mit 98 Prozent zur Spitzenkandidatin gewählt

Berlins Grüne präsentierten sich am Parteitagswochenende inhaltlich geeint. Nur Identitätsfragen irritieren manche Mitglieder.

Erneut haben Berlins Grüne die Bundestagsabgeordnete Lisa Paus zur Spitzenkandidatin gewählt. Sie erhielt am Sonntag im Mercure Hotel in Moabit nach einer selbstbewussten, starken Rede 98 Prozent der Stimmen. Paus formulierte einen klaren Regierungsanspruch der Grünen – in Berlin und im Bund. „Wir haben alle Gesetzesentwürfe dafür schon in der Schublade“, sagt sie.

Es war ein straff durchgeplanter, dreitägiger Parteitag. Am Freitag sprach Bettina Jarasch, Spitzenkandidatin für die Abgeordnetenhauswahl, da wurde auch das einzig größere strittige Thema abgeräumt: Ab wann soll der Verkehr in der Innenstadt emissionsfrei sein?

Die Partei entschied sich für den Vorschlag, die Innenstadt bis „spätestens 2030“ zur Null-Emissions-Zone umzugestalten – und nicht schon bis 2025, wie die Grüne Jugend es gefordert hatte. Auch in der Frage, ob man Wohnungsunternehmen notfalls enteignen wolle, stimmte die Partei in überwältigender Mehrheit mit Ja.

Zuvor hatten Landesvorstand und Antragskommission fast alle anderen strittigen Themen abgeräumt. Es gab mehr als 1200 Änderungsanträge zum 90-seitigen Wahlprogramm. Auch lange Redeschlachten blieben am Wochenende weitgehend aus, die digitalen Debatten verlangten Disziplin. Und bei der Bundestagsliste war das Wichtigste vorab geklärt – linker Flügel und Realos hatten sich auf die vorderen Plätze geeinigt.

Auf Listenplatz zwei wurde der Bundestagsabgeordnete und Verkehrsexperte Stefan Gelbhaar mit 86 Prozent gewählt. Listenplatz drei erhält Renate Künast, seit 2002 im Bundestag, mit 87 Prozent.

Bettina Jarasch (l) beglückwünscht ihre Parteikollegin Renate Künast zum Listenplatz für den Bundestag.
Bettina Jarasch (l) beglückwünscht ihre Parteikollegin Renate Künast zum Listenplatz für den Bundestag.

© Annette Riedl/dpa

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Auf Listenplatz vier wurde Andreas Audretsch aus dem Kreisverband Neukölln mit 91 Prozent nominiert, der in seiner Rede besonders die soziale Frage in den Mittelpunkt stellte. „Unsere imperiale Lebensweise, mit der wir uns einfach alles nehmen, wird am Ende uns alle zu Grunde richten“, rief Audretsch und bekam euphorischen Applaus. Solche Sätze kamen an bei den knapp 150 Delegierten.

Auf Platz fünf wurde die derzeitige Landesvorsitzende Nina Stahr nominiert, sie erhielt 84 Prozent der Stimmen. Die ersten fünf Plätze dürften nach dem bisherigen Umfragestand recht sicher für den Einzug in den Bundestag reichen.

Die erste ernsthafte Kampfabstimmung folgte auf Platz sechs. Die Digitalpolitikerin Laura Dornheim kandidierte auf diesem Platz mit dem Segen beider Parteiflügel für ein Bundestagsmandat. Sie setzte sich deutlich gegen den ehemaligen Bundestagsabgeordneten Özcan Mutlu durch. Dornheim erhielt 77 Prozent, Mutlu 13 Prozent der Stimmen.

Auf weiteren vorderen Plätzen wurden Annkatrin Esser, Grüne Jugend, Juliana Wimmer und Bernd Schwarz gewählt. Damit kandidieren auf den ersten Plätzen sieben Frauen und drei Männer für den Bundestag.

Weniger Diversität als geplant

Spitzenfrau Bettina Jarasch hatte am Sonnabend künftig mehr Diversität in der Bundestagsliste gelobt. „Ja, wir müssen besser werden“, sagte sie in einer Rede. Laut einem 2017 beschlossenen Vielfaltspapier sollte in diesem Jahr ein Drittel der Plätze mit Menschen mit Migrationsgeschichte besetzt sein.

Juliana Wimmer, Deutsch-Brasilianerin, und Özcan Mutlu, in der Türkei geboren, verloren jedoch ihre Abstimmungen. Mutlu taucht nicht mehr auf der Liste auf. Wimmer rutschte einen Platz nach hinten. Beide hatten aktiv mit ihrer Herkunft und den damit verbundenen Erfahrungshorizonten geworben. „Der Anteil von Frauen mit Migrationsgeschichte im Bundestag ist verschwindend gering und ich finde, das ist ein Demokratiedefizit“, sagte Wimmer.

Özcan Mutlu hat die Abstimmung verloren.
Özcan Mutlu hat die Abstimmung verloren.

© picture alliance / Sophia Kembow

[Die Ereignisse des Landesparteitags können Sie auch hier in unserem Blog nachlesen.]

Besonders auf den hinteren Plätzen, die für den Einzug in den Bundestag eher unbedeutsam sind, schienen identitätspolitische Fragen am Sonntag dann doch eine Rolle zu spielen. Männer, die auf den hinteren Plätzen gegen Frauen antraten, wurden auf dem Parteitag gefragt, ob sie sich mit „kritischer Männlichkeit auseinandersetzen“.

Ein männlicher Kandidat wurde nach seiner Kandidatenrede gefragt, warum er glaube, er sei „besser als eine junge Frau mit Migrationshintergrund“ geeignet. Seine Antwort: „Ich bin nicht besser als eine Frau mit Migrationshintergrund. Null. Nada. Das Einzige, was ich anbieten kann, ist meine Expertise und mein Herzblut.“ Er verlor.

Irritation über Aussage von Bettina Jarasch

Irritation löste in Teilen der Partei eine Aussage von Spitzenkandidatin Jarasch aus. Sie hatte in einem öffentlichen Gespräch mit Parteichef Werner Graf auf dem Parteitag gesagt, sie wäre als Kind gern Indianerhäuptling geworden. Beide lachten, eine harmlose Geschichte.

Manche Mitglieder reagierten jedoch verärgert darauf, dass Jarasch das Wort „Indianer“ überhaupt verwendet hatte. Es wird besonders in post-migrantischen politischen Strömungen als diskriminierend betrachtet. Jarasch sprach später in einer Rede, in der sie unter anderem für diskriminierungsfreie Sprache warb, mit Bezug auf ihre Aussagen von „unreflektierten Kindheitserinnerungen“. Sie sagte: „Auch ich muss dazu lernen.“

Es blieben eher leise Störgeräusche eines Wochenendes, das die Grünen einig wie selten zeigte. Der Landesvorstand setzte sich am Sonnabend mit allen Vorschlägen für das Wahlprogramm bei den Delegierten durch. Dass der Parteitag erstmal in der Geschichte des Landesverbandes und aus Pandemie-Gründen im Delegiertenprinzip stattfand, wurde in Parteikreisen dafür mitverantwortlich gesehen.

„Klimaschutz muss endlich oberste Priorität fürs gesamte Regierungshandeln bekommen. Deshalb wollen wir die nächste Regierung anführen und aus dem Roten Rathaus die Weichen stellen für eine klimaneutrale, lebenswerte und soziale Zukunft.“ So bekräftigte Spitzenkandidatin Jarasch am Sonnabend ihren Anspruch, ins Rote Rathaus einzuziehen. Und zwar an der Spitze einer grün-rot-roten Koalition, wie Spitzengrüne am Wochenende so oft es ging betonten.

Die Grünen gehen mit drei Zielen in den Wahlkampf: Klimaschutz steht für sie an erster Stelle. Sie wollen den Chefinnensessel im Rathaus. Und zwar an der Spitze eines Bündnisses mit SPD und Linken. Unterdessen ließ sich SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey vergangene Woche von der Zeitschrift „Bunte“ interviewen. Auf einem Foto hält sie drei große Luftballons. Sie sind rot, grün und gelb und leuchten in Ampelfarben.

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