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Walter Homolka ist der mit Abstand bekannteste deutsche Rabbiner.

© Andreas Klaer

Skandal am Rabbiner-Kolleg in Potsdam: Sexuelle Belästigung, Machtmissbrauch – Walter Homolka lässt Ämter ruhen

Sein Mann soll Penisfotos an einen Studenten gesendet haben. Auch an Walter Homolka, mächtigster Mann des liberalen Judentums in Deutschland, gibt es Kritik.

Wer das Eckbüro vom Rektor des Potsdamer Abraham-Geiger-Kollegs, Rabbiner Walter Homolka, betritt, sieht den Erfolg des Mannes an der Wand: In Vitrinen sind zahlreiche Orden ausgestellt, aus Luxemburg, Frankreich und Deutschland. An der Wand hängen zwei große Fotografien, auf denen der Potsdamer Theologe den Päpsten die Hand schüttelt: Benedikt XVI. ebenso wie Franziskus. Und auf dem Schreibtisch steht die Nationalflagge von Rwanda. Denn Homolka ist ganz nebenbei auch noch Honorarkonsul des afrikanischen Landes.

Der Potsdamer Rabbiner hat ein breites Netzwerk aufgebaut: Ohne ihn würde es keine jüdische Theologie an der Universität geben. Und wer sich in Deutschland für liberale jüdische Theologie interessiert, kommt an ihm nicht vorbei: Homolka ist nicht nur der mit Abstand bekannteste deutsche Rabbiner, er ist auch Vorsitzender des Vorstands der Union progressiver Juden in Deutschland, des Ernst-Ludwig-Ehrlich-Studienwerks und hat zahlreiche weitere Ehrenämter.

Am Freitag allerdings scheint der Erfolgssträhne des Potsdamer Rabbiners gerissen zu sein: Er lässt seine Ämter vorerst ruhen. Der Grund: Die Tageszeitung „Die Welt“ veröffentlichte schwere Vorwürfe gegen Homolka und das Geiger-Kolleg.

Der Ehemann des Rabbiners, der selbst als Dozent am Kolleg tätig war, hatte im Jahr 2019 einem Studenten ein sexuell belästigendes Video geschickt. Es zeigt einen erigierten Penis.

Jonathan Schorsch, Professor vom Institut für Jüdische Studien und Religionswissenschaft an der Universität Potsdam, erklärte zudem, ihm seien weitere Fälle von Fehlverhalten, darunter sexuelle Belästigung gemeldet worden. Am Abraham-Geiger-Kolleg soll es eine Untersuchungskommission gegeben haben, die am Ende allerdings lediglich zu einem Mediationsverfahren geraten habe.

Vorwurf des Machtmissbrauchs gegen Homolka

Wie es im Bericht der „Welt“ heißt, sei das auch eine Folge der starken Position Homolkas: Die Zeitung wirft ihm eklatanten Machtmissbrauch vor. Am Abraham-Geiger-Kolleg soll ein „Klima der Angst“ herrschen.

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Durch sein Netzwerk könne Homolka Gelder und Posten verteilen – und über beruflichen Erfolg ebenso wie über das Ende von Karrieren entscheiden. Zudem sei sein Lebenslauf auf der Website der Allgemeinen Rabbinerkonferenz nicht korrekt: Er sei nicht am Leo Baeck-College, sondern vielmehr von Rabbi Walter Jacob in Pittsburgh ordiniert worden.

Zentralrat der Juden für Untersuchung durch unabhängige Experten

Der Zentralrat der Juden in Deutschland äußerte sich am Freitag entsetzt. „Schockiert müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass es nach Recherchen der ,Welt‘ am Abraham-Geiger-Kolleg mehrere Fälle sexueller Belästigung gegeben haben soll“, sagte Zentralratspräsident Josef Schuster. „Eine solche Nachricht über eine Ausbildungsstätte für Rabbinerinnen und Rabbiner entsetzt mich.“

Eine schnellstmögliche und umfassende Klärung des gesamten Sachverhalts sei unverzichtbar. „Diese kann nur durch vom Abraham-Geiger-Kolleg unabhängige Experten erfolgen.“

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Deutlich wurde auch die erste jüdische Kantorin in Deutschland, Avitall Gerstetter. „Die Enthüllungen zu Rabbiner Walter Homolka, seinem Ehemann und dem Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdam sind erschütternd und beschämend“, sagte Gerstetter am Freitag auf Anfrage des Tagesspiegels. „Das nun aufgedeckte Verhalten ist ein schwerer Schlag für das liberale Judentum in Deutschland.“

Kantorin Avitall Gerstetter.
Kantorin Avitall Gerstetter.

© picture alliance/dpa/epd-Pool

Es sei dringend nötig, dass alle Vorwürfe restlos aufgeklärt und die Verletzungen der bedrängten Personen geheilt werden. „Der offensichtliche Machtmissbrauch muss ein Ende haben“, sagte Gerstetter. „Ein Neuanfang ist nicht nur in Potsdam dringend nötig, strukturell wie personell.“

Forschungsministerin nimmt Vorwürfe sehr ernst

In der Brandenburger Landeshauptstadt schaut man ebenfalls mit Sorge auf das bisherige Vorzeigeprojekt Abraham-Geiger-Kolleg, mit dem sich die Landespolitik in der Vergangenheit oft und gerne schmückte.

Ein Sprecher von Wissenschaftsministerin Manja Schüle (SPD) erklärte am Freitag, die Ministerin nehme die Vorwürfe sehr ernst. Schüle gehe davon aus, dass die Vorwürfe durch die Universität Potsdam umfassend und unabhängig aufgeklärt werden.

Brandenburgs Wissenschaftsministerin Manja Schüle (SPD).
Brandenburgs Wissenschaftsministerin Manja Schüle (SPD).

© Ottmar Winter/PNN

Der Universität indes scheinen die Vorwürfe schon länger bekannt zu sein. Universitätspräsident Oliver Günther hat laut einer Stellungnahme der Universität bereits vor einigen Wochen eine sechsköpfige Untersuchungskommission eingerichtet. Ein Bericht soll bis zum August 2022 vorliegen. Mit ihrem Abschlussbericht an den Präsidenten werde die Kommission konkrete Empfehlungen und Vorschläge zum weiteren Vorgehen vorlegen.

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Homolka selbst äußerte sich in einer von der Kanzlerin des Abraham-Geiger-Kollegs, Anne Brenker, verschickten Stellungnahme betroffen. „Angesichts der heute in der Presse erhobenen Anschuldigungen möchte ich meiner persönlichen Betroffenheit Ausdruck verleihen“, sagte Homolka. „Es tut weh, solche Dinge lesen zu müssen.“

Sein Engagement habe auch Gegner, sagte Homolka

Er selbst habe sein gesamtes Leben in den Dienst des liberalen Judentums gestellt und versucht, „Möglichkeiten zu fördern, um sich angstfrei und kreativ mit der Jüdischen Tradition auseinanderzusetzen zu können und sich vielfältig in das Jüdische Gemeindeleben einzubringen.“ Alles Engagement finde aber auch Gegner, denen nicht gefalle, was man bewege.

„Ich bin in meinen Aufgaben immer bestrebt, das Richtige zu tun, und davon überzeugt, mich auch hier richtig verhalten zu haben“, sagte Homolka. „Auf das Verhalten mir nahestehender Menschen habe ich jedoch keinen Einfluss und möchte ihn auch nicht haben.“

Menschlich sei er enttäuscht, wenn dies sein Engagement und seine Arbeit diskreditiere. „Ich habe mich dazu entschieden, bis zur Klärung des Sachverhalts, die aktive Ausübung meiner Aufgaben in der Jüdischen Gemeinschaft und an der Universität ruhen zu lassen.“

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