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Ein Polizeiauto fährt zur Kontrolle der Sperrstunde durch Berlin-Friedrichshain

© Christophe Gateau/dpa

Sind sie Treiber der Pandemie in Berlin?: Zwei Raverinnen erzählen, wieso sie trotz Corona feiern

Immer wieder gibt es Partys von jungen Leuten im Weinbergspark oder im James-Simon-Park. Warum können sie sich nicht zurücknehmen? Zwei Raverinnen erzählen.

Ein Samstagabend Ende September in Mitte, Weinbergspark und James-Simon-Park, der Regen des Tages hat sich verzogen. Es ist Partyzeit. Die Polizei rückt mit 300 Beamten an, um die Feier zu beenden und musste, so sagt es ein Sprecher später, „mit Nachdruck“ vorgehen, um die Menschen aus den Parks zu drängen. Einige warfen Flaschen oder zündeten Pyrotechnik.

Wenn es um die eigene Party geht, versteht Berlin keinen Spaß. Wie kaum eine andere Stadt in Europa steht die Hauptstadt für eine vibrierende Elektroszene, für durchtanzte Nächte und Clubkultur. Raven in Berlin ist zum Gegenstand von Filmen und Büchern geworden.

Es ist ein Wert an sich. Für nicht wenige scheint all das auch in der Corona-Pandemie unverzichtbar. „Raven war für mich immer eine Form von Selfcare, von psychischer Reinigung“, schwärmt Nadja. Die 26-Jährige studiert Politik, will bald ihren Master abschließen.

Ihren richtigen Namen will sie, wie auch alle anderen Personen in diesem Text, öffentlich nicht nennen. Sie ist eine derjenigen, die trotz der Corona-Pandemie, der Einschränkungen und Infektionsgefahren, an größeren Raves teilgenommen haben.

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Nach Ausbruch der Pandemie versuchte Nadja zunächst, mit ihren Freunden im Rahmen des Erlaubten zu bleiben. „Natürlich haben wir uns unsere Gedanken gemacht. Wir waren nur ganz wenige und haben auch eine Liste geführt“, erinnert sie sich an eine Hausparty am ersten Wochenende nach den Clubschließungen.

Als härtere Verbote auch solche Feiern unmöglich machten, hielt sich die Raverin zwei Monate lang zurück – auch aus Angst vor hohen Strafen.

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Dann ging auch Nadja zu den illegalen Partys in der Hasenheide, war auf der Suche nach dem Gefühl von früher. Allzu großen Spaß hatte sie nicht, sagt sie. Dennoch verbrachte sie einige Sommerwochenenden im mittlerweile für seine Raves berüchtigten Park. „Eigentlich achte ich sehr auf hochwertige Musik. Die gibt es in der Hasenheide allerdings nicht“, sagt sie.

Die Polizei beschlagnahmte 18 Boxen und Soundgeräte

Seit dem Frühjahr fanden dort regelmäßig illegale Partys statt. Immer wieder löste die Polizei Veranstaltungen mit bis zu mehreren Tausend Teilnehmern auf – und beschlagnahmte Musikanlagen. Seit 10. August dokumentiert die Polizei die Zahl des beschlagnahmten Equipments auch statistisch: Insgesamt 18 „Lautsprecherboxen und Tonabspielgeräte“ wurden in der Hasenheide beschlagnahmt. Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel (SPD) witzelte, dass die Polizei mit den ganzen Boxen selbst „in die Clubszene einsteigen“ könnte.

In der Hasenheide wechselte das Publikum. Am Christopher Street Day, die Straßenparade war offiziell abgesagt, feierten unzählige Menschen aus der queeren Community in der Hasenheide. Später habe sich die Klientel gewandelt, sagt Nadja. Dass auch Menschen mitfeiern, die die Existenz des Coronavirus leugnen, ist ihr klar.

[Mehr zum Thema: Corona-Überlebenskampf des Tagesspiegel-Redakteurs - „Ein zweites Mal diese Tortur – das würde ich nicht schaffen“]

Anders als Nadja geht Sophie nicht mehr zu den Partys. Die 32-Jährige arbeitet für ein Start-up, liebt Elektromusik und das Tanzen in dunklen Clubs. Jetzt meidet sie größere Veranstaltungen. Davor hat Sophie ihre Wochenenden häufig im Berghain verbracht. Den Drang, auf eine Party zu gehen, verspürt sie nach wie vor.

Bei einem illegalen Rave fühlt man sich nicht sicher

Doch das Erlebnis, sagt Sophie, wäre nicht mehr das gleiche. „Dieses Gefühl, sich an einem sicheren Ort, an einem Safe Space, zu befinden, kann man gerade nicht haben, wenn das ein illegaler Rave ist, der im Wald stattfindet und jederzeit hochgenommen werden kann“, sagt die Techno-Liebhaberin.

Doch es ist nicht nur die Illegalität, die sie abschreckt: „Wenn ich tanze, dann möchte ich jemandem meine Wasserflasche geben, wenn er die gerade braucht. Ich will Begegnungen machen und nicht auf Abstand bleiben.“

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Von einem Sehnsucht nach dem einstigen „Safe Space“ spricht auch Nadja. Die Hasenheide habe sich nie sicher angefühlt, gerade als Frau oder queere Person, sagt sie. Aber weil die Leute so oder so nach Wegen suchten, um feiern zu gehen, müssten mehr Partys im offiziellen und legalen Rahmen erlaubt werden. „Auch die Hygiene kann man leichter einhalten, wenn es Toiletten gibt und Desinfektionsmittel. Irgendwo im Gebüsch ist das nicht der Fall“, argumentiert sie.

Etliche Veranstalter versuchen aktuell, die Stadt mit eigenen Hygienekonzepten zu überzeugen. Im Berghain-Garten etwa fanden bereits Partys statt. Nadja war dort: „Ich hatte dort keine Angst, mich mit Corona anzustecken. Dort haben alle Masken auf dem Dancefloor getragen.“

Im Winter ist es vorbei mit Open-Air-Events

Sophie ist selbst das bislang noch zu riskant, aber auch sie ist überzeugt davon, dass man mit schlichten Verboten nicht viel erreichen kann. „Leute, die das Gefühl haben, dass da jetzt ein riesiger Bestandteil aus dem Leben herausgerissen wird, kann ich sehr gut verstehen.“

Inzwischen diskutieren der Senat und die Bezirke darüber, die Regeln zu Virus-Eindämmung wieder zu verschärfen, die zweite Corona-Welle rollt. Die Clubs leiden. „Die waren die ersten, die dicht machen mussten und werden wohl auch die letzten sein, die irgendwann zum Normalbetrieb zurückkehren“, sagt Sophie. Gerade Menschen, die ihr Geld in der Szene verdienen, trifft das besonders schwer, sagt Nadja.

Auch für Nadja wird im Winter vielleicht Schluss sein mit Elektropartys. Schon im Sommer feierte und tanzte sie nur an der frischen Luft. Sophie überlässt weiter ihrem Bauchgefühl, wann sie wieder tanzen geht. „Ich glaube, ein Großteil von uns hat seine engsten Freundschaften in den Clubs geschlossen. Das ist und bleibt einfach ein Riesending für uns“, sagt sie.

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