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Berlin: Silvia Tollmann (Geb. 1958)

Dann wurden Antworten erwartet, Entscheidungen, sofort.

Sie ist weit gekommen mit ihren großen, schnellen Schritten, die man schon von Weitem hören konnte. Schnell, schnell, das ist wichtig in ihrer eiligen Branche, so wichtig wie das Handy ständig am Ohr. „Toll – mann“, sagte sie, verbindlich und nett, auch wenn es zum hundertsten Mal klingelte, nicht „Ja“ oder „Was“. Dann waren Agenturen dran oder Ämter, Assistenten, Hotelmanager, Chauffeure, Friseure, Regisseure, Requisiteure, Maskenbildner, Caterer, ob in Russland, Spanien, Marokko oder Deutschland. Und es ging fast immer um Geld.

Millionen Menschen haben ihren Namen schon mal gesehen, und zwar im Filmabspann. Produktionsleitung: Silvia Tollmann. Sie hat „Vera Brühne“ gemacht, „Das Parfüm“, „Die Päpstin“, „Der Baader Meinhof Komplex“, „Der Untergang“. So sagt man das: „gemacht“. Sie war für fast alles, was nicht Kunst ist, zuständig. Man muss dafür ein paar Fähigkeiten mitbringen, die mit groß und schnell zu tun haben.

Groß sind die Zahlen. Für „Das Parfüm“ wurden fast 50 Millionen ausgegeben. Es gehörte zu ihren Aufgaben, darüber zu wachen, wann und wofür. Wenn der Regisseur einen Drehtag mehr brauchte und dann noch einen, weil der Lavendel in Südfrankreich zu spät blühte, berechnete sie die Zusatzkosten. Wenn der Kameramann eine weitere Kamerakranfahrt für nötig hielt, wofür der Kran einen Tag zusätzlich gebucht werden musste, hatte sie die Kosten parat. Wenn den Komparsen ihre Kostüme nicht passten, die Requisite nach handbeschrifteten Apothekerfläschchen verlangte, ein Stempel auf der Drehgenehmigung fehlte, immer klingelte ihr Handy, „Toll – mann“, und dann wurden Antworten erwartet, Entscheidungen, sofort.

Dass zum guten Leben die Herausforderung gehört, galt für sie schon früh. Ihr erstes Glück fand sie im Balletttanz. Sie war gut, sie wurde weiterempfohlen, tanzte sogar an der Deutschen Oper in Berlin. Den zwölften Schwan im Schwanensee.

Es folgte eine viel zu frühe Ehe, die nicht lange hielt. Auch den Tanz gab sie mit Ende 20 auf. Sie geriet an ein Tourneetheater. Das war in den achtziger Jahren in West-Berlin, als die Grenzen nach außen zwar aus Beton waren, die inneren aber umso durchlässiger.

Sie organisierte die Tourneen, arbeitete dann für kleine Fernsehproduktionen, immer freiberuflich, aber immer beschäftigt und mit immer größeren Zuständigkeiten. Sie wurde gemocht: von Auftraggebern, weil sie zuverlässig war und genau, und von allen, weil sie unter Druck mindestens freundlich blieb und auch mal lachte, wenn gar nichts klappte.

Vor zehn Jahren meldete sich bei ihr die Herstellungsleiterin der großen Münchner „Constantin Filmgesellschaft“. Mit ihr sollte sie von nun an fast ausschließlich zusammenarbeiten. Zwei Frauen und immer größere Projekte, das war schon eine Sensation für sich. Und dann wurden die Filme auch noch pünktlich fertig, die Budgets hielten.

Silvia Tollmann bewies ein gutes Händchen dafür, wo man das Geld zusammenhalten kann – und wo nicht. Was bei ihr nicht vorkam: beim Essen sparen. Weil schlechtes Essen schlechte Laune macht und schlechte Laune schlechte Filme. Auch wurden die vielen hundert Filmbeteiligten nie in Containern untergebracht, sondern immer in Wohnungen, Apartments oder Hotels.

Kann man so einen Beruf lernen? Vielleicht nicht. Bei ihr jedenfalls war da eine tief empfundene Selbstverständlichkeit. Ganz selbstverständlich verbrachte sie für die Arbeit Wochen und Monate im Ausland. Filmleute müssen sich oft selbst Heimat sein, wenn sie nicht untergehen wollen. Kollegen aus der Filmbranche wurden ihre guten und besten Freunde.

Wieder zu Hause in Berlin war ein italienisches Restaurant hinter der Deutschen Oper ihr Ersatzwohnzimmer, wo immer eine Platte gemischte Antipasti für sie auf dem Holztisch stand und ein Glas Weißwein. Wenn sie von einem langen Dreh zurückkam, rief sie bei ihren Freunden durch: „Bin wieder da! Was machen wir?“ Oft gingen sie dann ins Kino.

Als der Krebs über ihren Körper herfiel, änderte sie an ihrem Leben nichts. Außer, dass sie nun keine traurigen Filme mehr sehen mochte. Einmal konnte sie so den Krebs zurückdrängen. Dass er wiederkam, hat sie schwer getroffen. Sie fühlte sich betrogen von ihrem Körper.

Bis zum Schluss hat sie gearbeitet, mit der Kostenaufstellung für eine Produktion angefangen, obwohl sie wusste, sie würde den Drehbeginn nicht mehr erleben. Sie ließ kaum jemanden merken, wie es um sie stand. Im Februar feierte sie noch bei Berlinale-Empfängen mit.

Die Filmemacherei war ihr Leben. Die harte Arbeit war ihr keine Last, sie hat das gemocht. Die Constantin-Kollegen haben Silvia Tollmann, als „Das Parfüm“ zu Ende gedreht war, einen Gutschein für ein Wellness-Wochenende geschenkt. Sie hat ihn nie eingelöst. Ariane Bemmer

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