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Berlin: Siegfried Heinrichs

Geb. 1941.

In des Waldes finstern Gründen und in Höhlen tief versteckt, ruht der Räuber allerkühnster, bis ihn seine Rosa weckt …“ Er war der Mann des Tages, ach was der Saison, wenn nicht des Jahrhunderts, Christian August Vulpius. Die Damen beteten ihn an, den edlen Räuber Rinaldo Rinaldini, dessen Lebensroman ein sensationeller Publikumserfolg wurde. Vulpius’ Verleger konnte in die Hände klatschen. Johann Wolfgang von Goethe hingegen wird sich ein wenig gegrämt haben, denn seine Bücher verkauften sich durchaus schleppender als die seines Schwagers.

Der Ruhm eines Verlegers bemisst sich nicht an Verkaufszahlen, er bemisst sich am Wagemut und ein wenig auch am Wahnsinn seines Tuns. 1985 übernahm Siegfried Heinrichs den maroden Oberbaumverlag. „Ein kleines Zimmer in der Neuköllner Pannierstraße 54“, erinnert sich der Freund und Autor Utz Rachowski, „das der junge Lyriker Walter Thümler und ich ausweißten, ein Tapeziertisch, 12 Plastikstühle drumherum, ein paar Regale an der Wand. Wenn sich unerwartet wieder einmal ein alter Gläubiger mittels Gerichtsvollziehers ankündigte, packten wir am Vorabend blitzschnell unseren Verlag zusammen, Bücher, Akten, Tapeziertisch, 12 Stühle, versteckten sie in unseren Wohnungen und Kellern.“

Heinrichs finanzierte den Verlag durch seine Arbeit als Materiallagermeister in einer Kreuzberger Firma für Sanitäreinrichtungen, 25 Jahre verkaufte er Kloschüsseln. Seine Autoren brachten ihm wenig ein. Obwohl sie das Zeug dazu hatten: „Ich habe vieles ausgegraben, was auch in großen Verlagen längst, wenn man es nur wollte, hätte veröffentlicht werden können.“ Wie alle guten Verleger war er beruflich der kleinen Familie der widerborstigen Trüffelschweine zugehörig.

„Geboren wurde ich im Kriegsjahr 1941. Herbst war es. Die Zugvögel über Deutschlands Wäldern sammelten sich, durchflogen den Rauch der zerbombten Häuser, noch jenseits der Grenzen. Zwei Jahre später fiel, mit dem Dank des Führers für Treue und Tod, mein Vater vor Stalingrad. Heimlich beseitigt, weiß ich heute, durch einen Schuss in den Rücken. Als Sozialdemokrat klebte er Plakate gegen Hitlers Endsieg.“

Siegfried – „meiner Mutter Sorgenkind durch Krankheiten, Schwierigkeiten in der Erziehung eines frühzeitig Ungehorsamen“ – schrieb schon als junger Mann Gedichte und Erzählungen, gab sie seinem Bruder, Abel vertraute Kain. Die Folge: siebeneinhalb Monate Stasi-Untersuchungshaft, dann drei Jahre im Zuchthaus Waldheim, wo schon Karl May einsaß.

„1096 Tage und Nächte inhaftiert für einige Gedichte, zusammen mit Mördern, Malern, Kinderschändern, Dieben. „Auch nach der Entlassung lebte ich in meinem Land, keine Zeile gedruckt, abgelehnt, alles, mit üblichen Begründungen, und suchte wenigstens das eine Gramm Hoffnung und Zärtlichkeit mir zu erhalten, zu erobern, im Wort, im Leben, das jeder Mensch für seinen Atem braucht.“

1974 verlässt er die DDR, ausgebürgert, „im Gepäck nichts als einige Bücher und Bitterkeit“.

„Die Gitter sind meinem Wort eingewachsen – deshalb versuche ich, sie mit meinem Atem, meinem Vers, zu zersägen.“

Er glaubte an das Wort, immer schon, und er konnte heraushören, wie andere die Worte verwendeten, ehrlich oder verlogen. Einspruch erheben. Das geht auch in Versen. Das geht besonders gut in Versen, weil die Worte nicht abgenutzt sind, neu erwogen werden, anders bedacht. Nur Sesselfurzer nehmen ihren Wohnsitz im Elfenbeinturm. Er schrieb einen offenen Brief an Anna Seghers, wünschte ihr darin, dass sie ihrem „Siebten Kreuz“ nicht noch ein achtes, das des ewigen Schweigens, hinzufügen möge, während die Menschen des Landes ihr Kreuz zu tragen hätten, „bei der Wanderung durch die Hölle der Realität“.

Auf der Visitenkarte eines guten Verlegers sind nicht die Verkaufszahlen vermerkt, sondern die Namen der Autoren, die er in seine Obhut genommen hat. Anna Achmatowa, Maria Zwetajewa, Boris Pasternak, Sergej Samjatin. Oder der aus Syrien exilierte Ali Ahmad Said, der unter dem Pseudonym Adonis schreibt. Oder Ousmane Sembène aus dem Senegal.

Kurz vor der Vergabe des Nobelpreises wurde Siegfried Heinrichs immer unruhig. Er hatte ja Brodsky im Programm, Walcott, er führte zwei Titel des Chinesen Ba Jin, und im letzten Jahr hatte das schwedische Fernsehen bereits einen Termin mit ihm am Tag der Bekanntgabe vereinbart, wegen Adonis, dem berühmten Dichter der arabischen Welt. Es wurde dann doch nichts mit dem ganz großen Erfolg. So wie es auch mit dem ungarischen Weltbürger Sándor Márai nichts wurde.

Er hatte Márais autobiografisches Werk und die Briefe in der Zeit des Umbruchs im Ostblock für 2000 D-Mark gekauft. 1996 erscheinen die „Bekenntnisse eines Bürgers“, Startauflage 500 Stück. Drei Jahre bevor Márais Wiederentdeckung in den Feuilletons gefeiert wurde. Als dann plötzlich alle ihn lasen, hatte Heinrichs die Rechte an den Piper-Verlag abgetreten, der ein Vermögen damit verdiente. Ein guter Coup, von wem auch immer.

Aber Erfolg ist schnell vergessen. Erinnern wird man sich an Siegfried Heinrichs, an einen, der für seine Verse in den Knast ging und der dennoch unverbrüchlich an die Verwandlungsmacht der Worte glaubte: „Eines Morgens erwachst du und das Leben ist anders.“ Gregor Eisenhauer

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