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Die Unfallstelle an der Constantin Werner-Schwarz ums Leben kam.

© Kai-Uwe Heinrich

Update

Siebenjähriger wurde 2018 von Lkw überfahren: Wie die Eltern des getöteten Constantin für mehr Verkehrssicherheit kämpfen

Vor 20 Monaten wurde der Siebenjährige von einem abbiegenden Lkw überrollt. Seine Eltern kämpfen dafür, dass nicht noch mehr Kinder auf Berlins Straßen sterben.

Sie haben den großen Verteiler gewählt für ihren Brief: Bundeskanzlerin, Bundespräsident, EU-Kommissionspräsidentin, Verkehrssenatorin.

Zweieinhalb Seiten – auf der ersten schildern die Eltern von Constantin den Moment, in dem ihr Sohn auf dem Weg zur Schule vor den Augen der Mutter bei grüner Ampel von einem rechts abbiegenden Lkw überfahren wurde, und die weiteren Kapitel dieser Tragödie, die folgten: die Überforderung der Seelsorger, die lediglich einen Flyer des Berliner Krisendienstes haben. Die nicht vorhandenen Ansprechpartner in Ämtern und Behörden. Die Ratlosigkeit der Krankenkassen; der erst nach monatelangem quälenden Klinkenputzen aufzutreibende Therapieplatz.

„Die Folgen eines solchen Unglücks zerstören die Hinterbliebenen, ihre Familien, ihre Leben“, heißt es weiter. Julia Werner-Schwarz hat den Brief kurz vor ihrer Rückkehr ins Arbeitsleben – sie betreut ein Dutzend schwerstbehinderte Menschen in einer Neuköllner Einrichtung – formuliert; 20 Monate nach dem Tod von Constantin, der inzwischen neun Jahre alt wäre.

Auf der zweiten Seite geht es um die Abbiegeassistenten, die Lkw-Fahrer daran hindern sollen, fahrlässig Menschen zu töten. Sie sind ab etwa 1000 Euro zu bekommen und inzwischen für die meisten Lastwagen erhältlich, aber EU-weit erst in mehreren Schritten ab 2022 vorgeschrieben.

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„Wie viele Tote muss es noch geben, wie viele weiße Fahrräder müssen noch aufgestellt werden?“, fragt Werner-Schwarz. Sie fordert, den Einbau der elektronischen Helfer sofort vorzuschreiben. „Für uns als hinterbliebene Eltern handeln Sie grob fahrlässig!“, resümiert die Mutter.

Verkehrsminister Scheuer unterstützt die Eltern

Zustande gekommen war der Brief der Spandauerin nach einem Treffen mit dem Bundesverkehrsminister. Die ADFC-Tourenleiterin Beate Flanz, die einen ähnlichen Unfall in Wilmersdorf mit schwersten Verletzungen überlebt hatte, hat den Gesprächswunsch von Constantins Eltern bei Andreas Scheuer (CSU) hinterlassen, dessen Büro sich wenig später zurückmeldete.

Scheuer habe von den Aktivitäten der Logistikunternehmen berichtet und vom Förderprogramm seines Hauses für Nachrüstungen – das allerdings längst erschöpft ist, weshalb beispielsweise der Berliner Senat ein eigenes Programm aufgelegt hat. Es sei ein angenehmes Treffen gewesen Ende Januar im Büro des Ministers, sagt Julia Werner-Schwarz. „Ich habe ihm aber zu verstehen gegeben, dass ich mich als Betroffene damit nicht abfinde.“

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Den Brief habe sie anschließend auf Anregung von Scheuer geschrieben. Dessen Büro habe ihr zugesagt, ihn an alle Fachpolitiker im Bundestag weiterzuleiten. Von dort und von den anderen Adressaten sei bisher keinerlei Resonanz gekommen – was natürlich auch an den gerade zwangsläufig geänderten Prioritäten des Politikbetriebes liegen dürfte. Oder daran, dass der Brief gar nicht alle Adressaten erreicht hat: Der Berliner Grünen-Abgeordnete Stefan Gelbhaaar sagte dem Tagesspiegel am Montag, dass das Schreiben in seinem Bundestagsbüro nicht eingegangen sei und auch das Büro des Verkehrsausschusses auf eine spontane Nachfrage hin nichts von dem Brief wusste.

Allerdings habe sich das Büro der Berliner EU-Parlamentarierin Hildegard Bentele (CDU) gemeldet, die über Zeitungsberichte auf den Kampf von Constantins Eltern aufmerksam geworden war: Bentele wolle ihnen ein Treffen mit Verkehrspolitikern der EU ermöglichen, sobald das wieder realistisch ist.

Julia Werner-Schwarz will die Chance unbedingt nutzen. Jetzt, da das Leben irgendwie weitergeht, kämpft sie dafür, dass anderen die Hölle erspart bleibt, durch die sie mit ihrer Familie gegangen ist.

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