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Mitarbeiter des Gesundheitsamts Berlin-Mitte in einer ambulanten Corona-Test-Station.

© Britta Pedersen/dpa

Sie bekämpfen die Corona-Pandemie: Berlins Gesundheitsämter brauchen 500 Fachkräfte

Im Kampf gegen das Coronavirus kritisieren die Amtsärzte den Senat. Doch die Bezirke selbst sind nicht alle gleich gut vorbereitet. Es gibt große Unterschiede.

Die Berliner Gesundheitsämter stehen im Kampf gegen die Corona-Pandemie vorn – und suchen in den nächsten Monaten dennoch 500 Fachkräfte.

Die Zahl ergibt sich aus nicht besetzten, aber existenten Stellen, wonach 210 Mitarbeiter fehlen, dazu kommen 270 nicht eingerichtete, aber fest geplante Posten sowie mindestens 20 Mediziner, Verwaltungsfachkräfte und Sozialpädagogen, die demnächst in Rente gehen.

Die Amtsärzte der Bezirke warnten vor der Personalnot – und kritisierten Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) für ihr Krisenmanagement. Dabei haben sich auch die Bezirke unterschiedlich gut (also zuweilen schlecht) vorbereitet – die Debatte um marode Gesundheitsämter ist jedenfalls alt. Unbesetzte Stellen gibt es überall, die meisten in Friedrichshain-Kreuzberg, Marzahn-Hellersdorf, Spandau.

Auffällig aber ist, dass einige Bezirke grundsätzlich mehr Stellen eingerichtet haben als andere. Grundlage des Vergleichs ist ein mit dem Senat vereinbartes Personalkonzept, das „Mustergesundheitsamt“, kurz MGA. Demnach müssten in den Ämtern zusammen circa 2000 Stellen existieren, davon fehlen 270 Stellen für Sozialpädagogen, Verwalter, Übersetzer, seltener Ärzte.

In Reinickendorf fehlen insgesamt mehr als 60 Fachleute

Dem Tagesspiegel liegen Zahlen aller Bezirke von 2019 vor, die sich bisher allenfalls geringfügig geändert haben. Mitte hat demnach alle 200 Stellen nach MGA-Plan geschaffen, aber 18 nicht besetzen können. Reinickendorf hat am meisten nachzuholen: Von 162 MGA-Stellen gibt es 109, davon sind noch zehn unbesetzt. Dennoch sei der Bezirk „mindestens durchschnittlich“ aktiv, sagt ein Landespolitiker, der die Lage stadtweit kennt. Vielleicht ist das ein Grund dafür, dass der örtliche Amtsarzt, Patrick Larscheid, Senatorin Kalayci besonders deutlich kritisierte.

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Dem Amtsarzt vorgesetzt ist Stadtrat Uwe Brockhausen (SPD). „Wir wollen die fehlenden Stellen sukzessive einrichten“, sagt Brockhausen. „Bislang gab es dafür aber ohnehin kein Personal.“ Dass Larscheid sich zu Missständen in der Stadt äußere, habe geholfen, die Bevölkerung „zu sensibilisieren“ und den Gesundheitsämtern „mehr Akzeptanz“ verschafft, die unter anderem für Seuchenbekämpfung, Hilfe für Nichtversicherte und Schuluntersuchungen zuständig sind.

Tatsächlich arbeiten die Gesundheitsämter seit jeher im Schatten der Politik. Im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag heißt es: „Die Personalvorgaben aus dem Mustergesundheitsamt werden vom Land finanziert.“ Doch während Praxen und Kliniken weitgehend von Krankenkassen finanziert werden, konkurrieren Gesundheitsämter mit Bauaufsicht und Kitas um Steuergeld.

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Derzeit müssen die Amtsärzte die Kontaktpersonen der Coronavirus-Infizierten finden. Die Lockerungen erschweren die Arbeit. Schon vor zwei Wochen warfen die Amtsärzte der Senatorin vor, zu Corona-Maßnahmen „vorab fachlich-medizinisch in keiner Weise angehört“ worden zu sein.

Kalayci verweist in internen Runden darauf, die Bezirke hätten es nicht geschafft, ausfinanzierte Stellen zu besetzen. Sie hätten in ihren Haushalten durchaus Spielraum, gesundheitspolitische Akzente zu setzen. Nach Reinickendorf sind stellenmäßig Marzahn-Hellersdorf und Pankow besonders knapp aufgestellt, was hinlänglich bekannt ist. Die Zahlen aus Charlottenburg-Wilmersdorf hingegen dürften überraschen.

"Gesundheitsämter haben in Verteilungskämpfen den Kürzeren gezogen"

Auch der dortige Gesundheitsstadtrat Detlef Wagner (CDU) hatte Kalaycis Krisenarbeit kritisiert. Die Senatorin wiederum problematisierte Wagner in internen Sitzungen. Wagners Amtsärztin ist für die Abnahme der Covid-19-Notklinik auf der Messe zuständig, was länger dauerte, als von Kalayci erhofft. In Charlottenburg-Wilmersdorf gibt es statt 180 MGA-Stellen 148 Posten. Wagner sagt, die 32 fehlenden Stellen werde er 2021 einrichten; für 13 unbesetzte der 148 schon existenten Posten wolle er dieses Jahr Fachleute finden. Wagner kam im Frühjahr 2019 ins Amt, der Bezirkshaushalt war da schon abgesegnet.

„Die Gesundheitsämter haben in den bezirksinternen Verteilungskämpfen oft den Kürzeren gezogen – was sich in einer Pandemie auch offensichtlich rächt“, sagt Neuköllns Stadtrat Falko Liecke (CDU), der viele Stellen geschaffen hat, aber dafür noch 20 geeignete Kandidaten – darunter Ärzte für den sozialpsychiatrischen Dienst – braucht. „Aber die Bezirke können nicht alles stemmen. Der Senat hätte früher zusichern können, zweckgebundene Stellen für den Gesundheitsdienst zu finanzieren.“

Liecke verweist auf Kalaycis aktuelle Zusage, sofort fünf Stellen pro Bezirk zu finanzieren, um dem MGA-Plan näherzukommen: „Das ist ein richtiger Schritt, er reicht nur nicht.“ Das Geld für die stadtweit insgesamt 60 Stellen ist zweckgebunden. Die Senatorin sagt auf Anfrage: „Ich erwarte, dass die Stellen eingerichtet und erfolgreich beworben werden. Die von mir verbesserten Arbeitsbedingungen sind ein attraktives Angebot.“

Zu Jahresbeginn hatten sich Kalayci und Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) geeinigt, Ärzte in Ämtern erstmals nach dem in Kliniken üblichen Tarif zu bezahlen. Zuvor war deren Lohn bis zu 1500 Euro brutto niedriger als der eines ranggleichen Kollegen im Krankenhaus.

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