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Hinter dem Kanal „Was ihr nicht seht“ steht Dominik Lucha, 29, der in Neukölln lebt und Medienmanagement studiert

© Divimove

Sichtbarkeit von Schwarzen Menschen: „Wir müssen Antirassisten werden“

Das Instagram-Projekt „Was ihr nicht seht“ macht Alltagsrassismus sichtbar. Zehntausende folgen dem Kanal. Ein Gespräch mit dem Macher Dominik Lucha.

Rassismus gehört in Deutschland zum Alltag. Das Instagram-Projekt „Was ihr nicht seht“ hat es sich zum Ziel gemacht, strukturellen gesellschaftlichen Rassismus, vor allem gegen Schwarze Menschen, sichtbar zu machen. Vor zwei Wochen gestartet, folgen der Seite inzwischen mehr als 45.000 Menschen. Hinter dem Kanal steht Dominik Lucha, 29, der in Neukölln lebt und Medienmanagement studiert.

Herr Lucha, wie hat sich Ihr Leben in den vergangenen 14 Tagen verändert?
Eigentlich bin ich gerade im Endspurt meiner Masterarbeit und führe wichtige Interviews. Jetzt werde plötzlich ich befragt. Mein Arbeitstag ist länger geworden, bis zu 21 Stunden. Ich möchte allen Menschen antworten, die ihren erlebten Alltagsrassismus auf meiner Seite teilen – dafür gehen im Moment die Nächte drauf.

Wann haben Sie realisiert, dass das Projekt „Was ihr nicht seht“ groß wird?
Ich habe anfangs Bekannte über meinen privaten Kanal gefragt, welche Erfahrungen sie gemacht haben. Da kam so viel zusammen, dass ich dem eine eigene Plattform geben wollte. Die Seite wuchs dann irre schnell, auch große Kanäle haben die Inhalte geteilt. Es ist zwar schön, dass der Account so wächst und dass mir so viele schreiben. Vor allem ist es aber auch traurig.

Wieso brauchte es den Mord an George Floyd, um auch in Deutschland eine Debatte über strukturellen Rassismus zu führen?

Will Smith sagt, Rassismus ist nicht neu, aber er wird jetzt gefilmt. Das sehe ich auch so. Das Video von Floyd ist so erschütternd, es rüttelt wach und es ging viral. In Deutschland gibt es aber auch jeden Tag Fälle, bei denen Menschen rassistisch behandelt, teilweise offen beleidigt oder angegriffen werden. Aber oft fehlen Bilder davon, der Rassismus bleibt verborgen. Das soll „Was ihr nicht seht“ ändern.

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Was hat der Vorfall bereits verändert?
Auf einmal haben mich alle Menschen gefragt, was ich vom Fall Floyd halte. Dass ich Schwarz bin, macht mich aber noch nicht per se zum Aktivist und vor allem nicht zum Experten. Ich bin, wie alle Schwarzen Menschen, die ich kenne, in einer weißen Mehrheitsgesellschaft aufgewachsen. Jetzt beschäftige ich mich das erste Mal in dieser Intensität mit meinem Schwarzsein und den Folgen.

Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Schlimmen Rassismus habe ich zum Glück nie erlebt. Aber auch ich mache Erfahrungen, die Weiße nicht machen. Wenn ich in eine Kneipe gehe, wird es garantiert ein Thema, wo ich herkomme. Ich sage dann aus Ravensburg, das reicht meinem Gegenüber aber nicht. Dann sage ich: Mama aus Baden, Papa aus Bayern. Trotzdem wird nachgehakt und ich erlöse sie. Mein Gegenüber meint das nicht böse, aber welche Rolle spielt das für unser Gespräch? Ich frage auch nie zurück. Es ist mir völlig egal, ich frage das, was mich an der Person wirklich interessiert.

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Was machen diese scheinbar harmlosen Fragen auf Dauer mit einem?
Es zementiert das Gefühl, dass man anders ist. Und ich passe mich dem an. Wenn Stromausfall ist, sag ich immer schon selbst: Hihi, jetzt kann man mich nicht mehr sehen. Ich sage das, damit es niemand anders macht, also um mich zu schützen. Das Grundproblem ist, dass diese vielen vermeintlich kleinen Sachen das Fundament für eine größere Sache oben sind. Rassismus beginnt mit der unreflektierten Betonung des Anderssein. Wie für viele schwarze Menschen, war Alltagsrassismus für mich tolerierte Normalität geworden. Den Stromausfall-Witz würde ich heute nicht mehr machen.

Ist es nicht die Aufgabe von Weißen, diese Witze nicht mehr zu machen?
Natürlich! Es reicht aber nicht neutral zu sein, denn damit macht man schon mit. Gerade Weiße müssen Stellung beziehen. Es reicht nicht zu sagen, dass man kein Rassist ist. Wir müssen zu Antirassisten werden. Den Mund auch bei scheinbar harmlosen Sprüchen aufmachen und dazwischen gehen. Das muss ganz früh anfangen, wir sollten unsere Kinder explizit zu Antirassisten erziehen.

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Warum haben Sie für Ihr Projekt Instagram genutzt? Die Plattform gilt als eher unpolitisch.
Es gibt nicht die unpolitische Plattform, selbst TikTok hat mittlerweile politische Inhalte. Ich bin nicht strategisch vorgegangen, mir liegt Instagram einfach. Jetzt sehe ich vor allem zwei Nutzergruppen, die ihre Erfahrungen teilen und die Gruppe derer, die sich dem Problem Alltagsrassismus nicht bewusst waren. Die haben jetzt ihren Aha-Moment und beginnen zu reflektieren, dass Deutschland, vielleicht aber auch ihre Freunde und sie selbst ein Rassismusproblem haben.

Ein Großteil Ihrer Follower kommt aus Berlin. Sie leben – mit Unterbrechungen – seit zehn Jahren hier. Ist die Stadt so tolerant, wie immer gesagt wird?
Es wäre vermessen, eine ganze Metropole vom Rassismus freizusprechen. Ich habe hier keine negativen Erfahrungen gemacht, aber bislang auch in Kreuzberg und Neukölln gelebt. Da ist Berlin bunt und divers, die Menschen erleben hier das vermeintlich Fremde. Das ist nicht repräsentativ für ganz Berlin. Und selbst in den Multikulti-Bezirken gibt es viele, die sich schwertun, sich explizit als Antirassisten zu bezeichnen.

Wie wollen Sie verhindern, dass die aktuelle Debatte wieder verpufft?
Ich möchte die Seite mindestens so lange betreiben, wie ich Zuschriften bekomme. Und ich möchte künftig online und offline eine Plattform anbieten, die Menschen zusammenbringt, die jetzt der Seite folgen – nicht nur die schwarzen Menschen. Da möchte ich die Brücke für einen Dialog bauen.

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