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Über Jahre hinweg soll der ehrenamtliche Jugendwart Kinder missbraucht haben.

© Inga Kjer/dpa

Sexuelle Übergriffe in 354 Fällen: Berliner Jugendwart soll Kinder im Angelverein über Jahre missbraucht haben

Am Dienstag hat der Prozess gegen einen ehrenamtlichen Jugendwart vor dem Berliner Landgericht begonnen. Bis jetzt schweigt der Mann zu den Vorwürfen.

Der Schock war groß, als die Festnahme des ehrenamtlichen Jugendwarts eines Angelvereins in Kladow bekannt wurde.

Michael M. soll über Jahre hinweg ihm anvertraute Kinder und Jugendliche missbraucht haben. Rund fünf Monate nach der Verhaftung des 50-Jährigen hat am Dienstag der Prozess vor dem Landgericht begonnen.

Es sind 354 mutmaßliche Taten, die dem damaligen Jugendwart zur Last gelegt werden. In seinem Wohnwagen, auf einem Boot und im Bettenhaus des Jugendhauses des Vereins soll es von Sommer 2012 bis Oktober 2019 zu sexuellen Übergriffen gekommen sein. 

Sieben Jungen werden in der Anklage genannt – sechs Jahre alt sei das jüngste Opfer gewesen. Mehrere der Kinder habe er immer wieder missbraucht.

In seinem Wohnwagen soll es zu den Übergriffen gekommen sein

Als die Staatsanwältin nun die Anklage verlas, senkte der Mann in grauer Kapuzenjacke seinen Blick.

Mehrfach soll er gleich mehrere Jungen in seinen Wohnwagen, der auf dem Gelände des Vereins stand, gelotst und dort angefasst haben. 

Er habe teilweise Gewalt eingesetzt, wenn sich ein Opfer widersetzte und gehen wollte. Michael M. soll von einigen Jungen auch Sex untereinander verlangt und dabei zugesehen haben. 

Er habe auch gefordert, dass Zehn- und Elfjährige Sexspielzeug einsetzten.

Über 3000 kinderpornografische Bilddateien seien bei ihm gefunden worden

Der Jugendwart soll Schülern zudem pornografische Videos gezeigt und verbotene Bilder von ihnen angefertigt haben.

Im letzten August habe er auf seinem Boot, das sich auf der Havel in der Nähe des Vereinsgeländes befand, Fotografien von nackten Kindern gemacht, heißt es in der Anklage. 

Auf einer Festplatte, einem Tablet-PC und einem USB-Stick von M. seien bei seiner Festnahme Anfang November insgesamt 3831 kinderpornografische Bilddateien gefunden worden.

Verteidiger kündigte Erklärung an

„Zunächst wird sich mein Mandant durch Schweigen verteidigen“, erklärte der Verteidiger. Er kündigte aber an, dass es zu einem späteren Zeitpunkt eine schriftliche Erklärung geben werde. Weil er erst seit Ende Februar für M. tätig sei, benötige er noch Zeit für Gespräche mit seinem Mandanten, so der Anwalt.

Die sieben Betroffenen waren im Verfahren vor laufender Kamera befragt worden. Die Videos werden nun im Gerichtssaal abgespielt – unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Im November 2019 wurde der Mann festgenommen

Am 1. November 2019 rückten Zielfahnder des Berliner Landeskriminalamts gegen 19 Uhr auf dem Vereinsgelände an und nahmen den 50-jährigen M. in einem Wohnwagen fest. Der stand mit Erlaubnis der Vereinsführung auf dem Gelände, M. übernachtete dort immer dann, wenn er spätabends oder nachts noch geangelt hatte und er nicht mehr in seine Wohnung fahren wollte.

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Die Aussage eines Jungen hatte die Polizei auf die Spur des Angeklagten gebracht. Der Junge soll zu den Opfern gehören, die M.  missbraucht haben soll. 

Den Eltern des Kindes fiel auf, das ihr Sohn in der Schule immer schlechtere Noten erhielt, sie machten sich Sorgen. Irgendwann vertraute sich der Junge seinem Vater an und erzählte, was der Angeklagte gemacht haben soll. Der Vater ging sofort zur Polizei. 

Die Ermittler des Kommissariats 132 beim Landeskriminalamt, zuständig für Sexualdelikte, benötigten allerdings Zeit, um dem Verdacht nachzugehen. Es ging um kindgerechte Vernehmungen und Beweissicherung.

Der Vorsitzende des Vereins zeigte sich fassungslos

Der Vorsitzende des Vereins erklärte nach der Verhaftung, „dass ich wie alle im Verein völlig fassungslos und schockiert bin“. Denn der Angeklagte habe durchaus einen guten Ruf im Verein gehabt. Er sei 2014 in den Klub eingetreten und habe als Jugendwart sehr gute Arbeit geleistet. 

„Die Jugendgruppe bei uns ist gewachsen, die Kinder hatten viel Spaß und immer wieder gefragt, wann sie wieder aufs Wasser konnten“, sagte der Klubchef.

Nie habe er etwas negatives über den Jugendwart gehört

Michael M. hatte mit den Kindern und Jugendlichen des Vereins geangelt, entweder an Land oder von einem Boot aus, er hatte ihnen auch beigebracht, wie man die gefangenen Fische ausnimmt und zubereitet. Er führte sie auch in den Umgang mit Haken, Posen und Gewichten ein.  

Der Vereinsvorsitzende sagte, er habe auch nie irgendwelche Hinweise oder sonstige Signale erhalten, dass der Angeklagte kritikwürdiges Verhalten gezeigt habe. „Ansonsten hätte ich sofort reagiert oder er wäre ohnehin nie Jugendwart geworden.“ Er kenne den Mann seit 15 Jahren, er habe in dieser Zeit nie etwas Negatives über ihn gehört.
Auch externe Hinweise habe er nie erhalten. 

Der Angeklagte war auch in anderen Vereinen Mitglied, auch dort habe er offenbar unauffällig gearbeitet. Allerdings gibt es einen Verein in Tegel, bei dem der Angeklagte durchaus auch negativ aufgefallen war. In dem Verein wurde er als Eigenbrötler beschrieben, der schnell aufgebracht und aufbrausend gewesen sei, und der, im Gegensatz zu anderen Männern im Klub, nie eine Frau oder eine Freundin mitgebracht habe.

M. musste nie ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen

Ein erweitertes Führungszeugnis musste Michael M. in dem Verein in Kladow nie vorlegen. Denn er war als Jugendwart ehrenamtlich tätig, er erhielt kein Honorar für seine Funktion, deshalb sah man im Verein keine Notwendigkeit, ein Führungszeugnis zu verlangen. Ohnehin war der Vereinsvorsitzende froh, dass er überhaupt jemanden für den Posten des Jugendwarts gefunden hatte.

Am Dienstag, dem Tag des Prozessbeginns,  erklärte der Vereinsvorsitzende dem Tagesspiegel, dass sich aufgrund des Vorfalls im Klub „einiges Organisatorisches geändert hat, das aber noch nicht spruchreif ist“. 

Am 20. April wird der Prozess fortgesetzt

Ohnehin sei jetzt wegen der Coronakrise keine geregelte Vereinsarbeit möglich. Einen neuen Jugendwart habe der Verein noch nicht, auch keinen kommissarischen. Es gebe die Überlegung, die Funktion nicht nur mit einer Person zu besetzen. 

Möglicherweise übernehme auch ein Gremium diese Aufgabe, das sei aber noch nicht klar. Auf jeden Fall müssen jetzt Funktionsträger im Verein obligatorisch ein Erweitertes Führungszeugnis vorlegen. Die Jugendarbeit werde aber unverändert fortgesetzt, aufgrund der Verhaftung habe es nur einen Austritt aus dem Verein gegeben. Die Jugendabteilung besteht derzeit aus acht Mitgliedern. 

„Wir haben sogar Anfragen nach einer Mitgliedschaft in unserem Verein“, sagt der Klubchef. Insgesamt habe sich die Atmosphäre im Verein entspannt, es gebe jetzt nicht mehr bloß ein Thema, über das geredet werde.     Der Prozess gegen Michael M. wird am 20. April fortgesetzt.

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