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Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Bündnis 90/Die Grünen) möchte in Berliner Landesbetrieben Richtlinien gegen sexuelle Belästigung festlegen.

© dpa

Sexuelle Belästigung in Berlin: So wollen Berliner Landesbetriebe ihre Angestellten vor sexueller Belästigung schützen

Fast jede dritte Frau wurde im Job einmal sexuell belästigt. Im Umgang damit sollen Berliner Landesbetriebe laut Senatorin Pop mit gutem Beispiel vorangehen.

Berlin feiert diese Woche zum ersten Mal den Weltfrauentag als gesetzlichen Feiertag. Für viele erwerbstätige Frauen (und auch einige Männer) bedeutet das nicht nur ein paar arbeitsfreie Stunden, sondern auch die Möglichkeit, für einen Tag einem Ort fernzubleiben, an dem sie Übergriffen durch Kollegen ausgesetzt sind. Fast ein Drittel aller deutscher Frauen, genauer: 28,7 Prozent der Befragten, wurde schon einmal am Arbeitsplatz sexuell belästigt. Zu diesem bestürzenden Ergebnis kommt eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag des Tagesspiegels.

Das Meinungsforschungsinstitut überließ es dabei den Befragten, zu entscheiden, was sie als „sexuelle Belästigung“ werten und was nicht. Anders hingegen der Gesetzgeber, der mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) eine sehr genaue Definition geschaffen hat. Zur Belästigung zählen demnach unerwünschte sexuelle Handlungen genauso wie bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen oder das unerwünschte Zeigen von Pornografie. Mit dem 2006 in Kraft getretenen Gesetz haben Mitarbeiter das Recht, sich zu beschweren, sowie Anspruch auf Entschädigung und Schadensersatz. Zugleich verpflichtet es Arbeitgeber zur Fürsorge und zum Schutz der Mitarbeiter.

Soweit die graue Theorie. In der Realität fehlen hingegen häufig noch die entsprechenden Strukturen, um das Recht der Angestellten umzusetzen. Das beweist die Civey-Umfrage: Die Mehrheit der Befragten, 42 Prozent, gab an, dass an ihren Arbeitsplätzen keine klaren Prozesse und Strukturen für den Umgang mit sexueller Belästigung existieren.

Pop: "Kein Pardon bei sexueller Belästigung"

Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Pop möchte, dass sich das ändert. „Es muss im Unternehmen auf allen Ebenen vorgelebt werden, dass es absolut kein Pardon bei sexueller Belästigung gibt“, sagt die Grünen-Politikerin. Die etwa 200 Betriebe, an denen das Land beteiligt ist, sollen mit gutem Beispiel vorangehen und Richtlinien zum Umgang mit sexueller Belästigung verabschieden. Solche Richtlinien oder Betriebsvereinbarungen legen den Beschwerdeablauf schriftlich fest: So können Betroffene genau wissen, wen sie im Falle einer Belästigung kontaktieren können und dass sie zu jedem Zeitpunkt die Kontrolle über die Fallbearbeitung haben.

Um solche Betriebsvereinbarungen flächendeckend einzuführen, müssen die Beteiligungsrichtlinien für die landeseigenen Betriebe in Abstimmung mit der Senatsverwaltung für Finanzen aktualisiert werden. Dort heißt es, man nehme den Umgang mit sexueller Belästigung als Thema ernst. Es werde regelmäßig im Rahmen der Compliance-Berichterstattung in den Unternehmensorganen angesprochen. Konkrete Schritte wurden bislang allerdings nicht umgesetzt.

Einige große Landesbetriebe wie die Charité oder die Berliner Wasserbetriebe haben schon eine Betriebsvereinbarung. An der Charité etwa war 2014 der Fall eines Mädchens, das sich von einem Pfleger sexuell belästigt fühlte, Auslöser für eine Auseinandersetzung mit dem Thema. Hier wurde deutschlandweit zum ersten Mal an einem Universitätsklinikum das Thema Grenzüberschreitung und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz untersucht. 6000 Beschäftigte nahmen teil. Im April 2017 trat die Richtlinie zum Umgang mit sexueller Belästigung an der Charité in Kraft. Im Vorfeld wurden in Kooperation mit der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung 92 Betriebsvereinbarungen unterschiedlicher Unternehmen untersucht, vom öffentlichen Dienst bis zur Industrie.

Die Studie kam zum Ergebnis, dass ein transparentes und strukturiertes Beschwerdeverfahren und konkrete Ansprechpartner für Betroffene notwendig sind. Außerdem müssen Führungskräfte in ihrer Vorbildfunktion etwa durch Fortbildungen gestärkt und Beschäftigte ausreichend informiert werden. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) zählen zu den Landesbetrieben, die bislang noch keine Betriebsvereinbarung festgeschrieben haben. Dabei hofft die BVG darauf, den Frauenanteil bei den Beschäftigten bis 2022 von 20 auf 27 Prozent zu erhöhen.

Arbeitsgruppe für Fälle sexueller Belästigung bei der BVG

„Gemeldete Fälle von sexueller Belästigung gibt es bei der BVG wenige“, sagt Petra Kaiser-Kaliska, die seit 2016 als Gesamtfrauenvertreterin des Unternehmens amtiert. Trotz der #Metoo-Debatte, die vor zwei Jahren vor allem Belästigungsfälle im Filmbetrieb in die Schlagzeilen gebracht hat, werde das Thema im Alltag immer noch nicht gerne angesprochen, sagt Kaiser-Kaliska. „Es wird gerne bagatellisiert.“ Nur wenn es regelmäßig auf der und durch die Führungsebene kommuniziert wird, könne es zur Selbstverständlichkeit werden. Es gebe noch genug Leute, die bei Belästigung weghörten, auch aus Unsicherheit. Kaiser-Kaliska vermutet, dass die Angst vor Bloßstellung eine Hemmschwelle bei der Meldung von Belästigungsfällen ist.

2016 wurde bei den Verkehrsbetrieben eine Arbeitsgruppe für Fälle von sexueller Belästigung initiiert. In der Gruppe sind unter anderem die Gesundheits- und Sozialberatung, die Gesamtarbeitnehmervertretungen, die Personalabteilung und die betriebliche Beschwerdestelle nach dem AGG vertreten. Gemeinsam haben sie unter Berücksichtigung des AGG und Landesgleichstellungsgesetzes (LGG) einen Beschwerdeablauf festgelegt. Er definiert, wer wann zu welchem Zeitpunkt informiert oder hinzugezogen wird und welche Maßnahmen eingeleitet werden. Zu jedem Punkt, bei jeder Entscheidung ist das Einverständnis der oder des Betroffenen das Wichtigste, sagt Kaiser-Kaliska. Bisher hat die AG allerdings erst einen Fall behandelt.

Unabhängig von der BVG sei es „leider immer noch traurige Realität, dass das Opfer am Ende der oder die Leidtragende in der Situation ist“. Etwa durch Mobbing oder gar eine Versetzung. Deshalb würden Betroffene häufig lieber „lass mal gut sein“ sagen. Aber egal, wie rau der Umgangston an einem Arbeitsplatz sei, jede Person entscheidet für sich, was Bedrängung ist. Und diese Entscheidung müsse respektiert werden, sagt Kaiser-Kaliska.

Eine Möglichkeit zur besseren Information sei ein Leitfaden zum Umgang mit sexueller Belästigung, der allen Mitarbeitern über das Intranet zugänglich ist. Das könnte die Scheu nehmen einzugreifen. „Mit dem Leitfaden ist man gewappnet, sensibel zu verhandeln, wenn unter den eigenen Mitarbeitern ein Fall vorkommt“, sagt Kaiser-Kaliska.

Private Unternehmen einen Schritt weiter

Einen kleinen Schritt weiter beim Thema sind einige Unternehmen in der Privatwirtschaft. Etwa der größte Arbeitgeber in der Stadt, die Deutsche Bahn: Der Konzern hat bereits 1999 in einer Betriebsvereinbarung sexuelle Belästigung klar definiert und sich verpflichtet, Diskriminierung, Mobbing und sexuelle Belästigung zu unterbinden und zu ahnden, sagt Bahnsprecherin Elke Schänzler. Im Intranet des Unternehmens wiederum finden die Mitarbeiter Informationen zu den verschiedenen Anlaufstellen, bei denen sie sexuelle Belästigungen melden können und die Beratung und Unterstützung bieten. „Neben der Führungskraft, dem Personalbetreuer oder dem zuständigen Betriebsrat vor Ort können sich DB-Mitarbeiter mit dem Thema sexuelle Belästigung an die zentrale Ombudsstelle wenden, die auf Wunsch auch vertraulich Unterstützung leistet, oder an das konzernweite interne Hinweismanagement, das Hinweise auf Straftaten entgegennimmt.“

Außerdem stehen betroffenen Mitarbeitern zwei externe Vertrauensanwälte als Ansprechpartner zur Verfügung. Seit 2012 bietet das Unternehmen zudem den Mitarbeitern die externe Telefonhotline des „Mitarbeiter-Unterstützungsteams“ an, wo Sozialberater und Psychologen kostenfrei und auf Wunsch anonym Beratung und Hilfestellung bei Problemen im beruflichen und privaten Umfeld bieten.

Um herauszufinden, wie das Thema bei der BVG wahrgenommen wird, könne eine anonymisierte Umfrage unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern helfen, sagt Kaiser-Kaliska. Die Umfrage der Charité hat gezeigt, dass mehr als 60 Prozent der befragten Männer und 70 Prozent der Frauen schon einmal Grenzüberschreitungen wie verbale Belästigung erfahren haben, und etwa 20 Prozent, vor allem Frauen, auch körperliche. Kaiser-Kaliska sieht, dass bei der BVG gerade ein Prozess des Umdenkens stattfindet. Man müsse kontinuierlich daran arbeiten, attraktive Arbeitsbedingungen für alle zu schaffen. „Die BVG möchte als seriöse Arbeitgeberin wahrgenommen werden.“ Dafür müssten die Unternehmenswerte nach innen und außen immer oberste Priorität haben. Es soll gezeigt werden, dass bei der BVG ein respektvolles Klima herrscht. Denn technikversierte Frauen gibt es, und sie sollen Lust bekommen, bei der BVG zu arbeiten.

Mitarbeit: Johannes C. Bockenheimer

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