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Ein Brand von vielen. In der Nacht zum 1. Februar 2018 ging in Neukölln der Wagen von Ferat Kocak in Flammen auf. Die mutmaßlichen Täter werden jetzt angeklagt

© Ferat Kocak/Die Linke/dpa

Serie rechtsextremer Angriffe in Neukölln: Erstmals Anklage gegen Berliner Neonazis wegen Brandanschlägen

Die Generalstaatsanwaltschaft nimmt sich die mutmaßlichen Brandstifter Sebastian T. und Tilo P. vor. Auch wegen weiterer Delikte.

Von Frank Jansen

Nach jahrelangen Ermittlungen zur Serie rechter Angriffe in Neukölln ist es soweit: Die Generalstaatsanwaltschaft hat vor dem erweiterten Schöffengericht beim Amtsgericht Tiergarten Anklage gegen die Neonazis Sebastian T. (34) und Tilo P. (38) wegen zweier Brandanschläge erhoben. Bei T. geht es zudem um weitere Delikte.

Die beiden Extremisten sollen in der Nacht zum 1. Februar 2018 kurz hintereinander den Wagen des Buchhändlers Heinz Ostermann und den des Linken-Politikers Ferat Kocak angezündet haben. Die Nazi-Gegner sollten offenbar für ihr Engagement bestraft und eingeschüchtert werden.

Die Fahrzeuge wurden durch das Feuer zerstört. Die Anschläge gelten als ein trauriger Höhepunkt der Serie von mehr als 70 rechten Attacken in Neukölln seit 2013, darunter 23 Brandanschläge. Die Taten beunruhigen die Stadt, die Sicherheitsbehörden stehen unter Druck.

Die Generalstaatsanwaltschaft ist sicher, dass zumindest die Brandanschläge vom 1. Februar 2018 den Neonazis nachzuweisen sind. Sebastian T. und Tilo P. gelten als Hauptverdächtige einer ganzen Reihe rechtsextremer Straftaten. Bislang hatten die Erkenntnisse der Ermittler jedoch nur für zwei Anklagen zu geschmierter und geklebter Nazi-Propaganda in Neukölln gereicht. Doch nun sind die Sicherheitsbehörden einen Schritt weiter. Und es erscheint möglich, dass alle drei Verfahren zu einem verbunden werden. Doch ob es im Fall der Brandanschläge zu einer Verurteilung von T. und P. kommt, ist ungewiss.

Die Generalstaatsanwaltschaft hatte im Dezember 2020 beim Amtsgericht Haftbefehle gegen die beiden Neonazis wegen der Brandanschläge erwirkt, doch T. und P. sind auf freiem Fuß. Das Amtsgericht bejahte einen dringenden Tatverdacht, ordnete aber Haftverschonung an. Die Generalstaatsanwaltschaft widersprach, T. musste in U-Haft bleiben. Doch im Januar ließ ihn das Landgericht frei, hob den Haftbefehl auf und verneinte den dringenden Tatverdacht auf Brandstiftung. Im Fall von Tilo P. dauert die Haftverschonung an, zu ihm hat sich das Landgericht nicht geäußert.

Tilo P. prahlte mit seinem Täterwissen

Die Indizien, die T. und P. belasten, sind allerdings bedrückend. Sicherheitskreise sagten dem Tagesspiegel, in der jetzt erhobenen Anklage werde beschrieben, wie Ostermann und Kocak schon lange vor den Brandanschlägen von T. und P. ausgespäht wurden. Die Ermittler bekamen bei der Überwachung der Neonazis mit, wie diese seit 2017 am Telefon und bei WhatsApp die Ausforschung der Opfer, bis hin zur gezielten persönlichen Verfolgung, besprachen.

Auf makabere Weise hat zudem Tilo P. kurz nach dem Anschlägen vom 1. Februar 2018 mit den Taten gegenüber einem LKA-Beamten geprahlt. Im Gefühl der Unantastbarkeit sagte der Neonazi, "wir wissen doch alle, wer die Autos anzündet. Sie wissen das, ich weiß das, alle anderen wissen das". Dann nannte er seinen Kumpan Sebastian T. Aber keiner könne es ihm beweisen.

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Sicherheitsexperten schildern auch Parallelen zu weiteren Brandanschlägen. Bereits in fünf Fällen von April 2014 bis Juli 2017 gingen in jeweils einer Nacht die Fahrzeuge von zwei Nazi-Gegnern in Flammen auf. Heinz Ostermann war auch da schon betroffen. Am 23. Januar 2017 brannte sein erster Wagen. Außerdem waren im Dezember 2016 Steine gegen die Scheiben von Ostermanns Buchhandlung geflogen.

Bislang reichen der Generalstaatsanwaltschaft allerdings nur die Indizien für den Brandanschlag vom 1. Februar 2018, um Sebastian T. und Tilo P. als mutmaßliche Täter anzuklagen. Aber die Strafverfolger ermitteln weiter. Zumal es Indizien gibt, dass Sebastian T. jahrelang Informationen über Personen gesammelt hat, die er für "links" hält.

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Bei einer Durchsuchung der Wohnung der Freundin von T. gleich nach den Brandanschlägen vom 1. Februar 2018 stellte die Polizei eine Festplatte sicher. Bei der zeitaufwändigen Auswertung stellte sich heraus, dass Daten zu mehr als 580 Personen gespeichert waren. Betroffen sind unter anderem Politiker, Anwälte, Polizisten und Journalisten. Auch der Tagesspiegel ist, wie bereits berichtet, auf der Feindesliste eingetragen.

Es geht auch um mehrere Betrügereien

Bei Sebastian T. sind zudem in der jetzt erhobenen Anklage noch mehr Vorwürfe fällig. Es gehe es um weitere politisch motivierte Delikte sowie um mutmaßliche Betrügereien, sagten Sicherheitskreise. Der Neonazi und ein bislang nicht bekannter Kumpan sollen im März 2019 in Neukölln auf drei Gebäude Beleidigungen und Todesdrohungen gegen Nazi-Gegner gesprüht haben, darunter das Wort „Kopfschuss“.

Im Fall der mutmaßlichen Betrügereien sind drei Delikte anhängig. Sebastian T. soll im April 2020 bei der Investitionsbank Berlin (IBB) 5000 Euro staatliche Corona-Soforthilfe beantragt und auch bekommen haben. Der Neonazi soll im Antrag behauptet haben, seine Gartenbaufirma sei in der Pandemie in wirtschaftliche Probleme geraten. Nach Erkenntnissen der Ermittler war das Kleinunternahmen aber nahezu inaktiv. Im September 2020 durchsuchte die Polizei wegen des Vorwurfs auf Subventionsbetrug die Wohnung von T. und weitere Objekte. 

Sebastian T. soll Staat um mehr als 20.000 Euro geschädigt haben

Die beiden weiteren mutmaßlichen Betrugsfälle stammen aus den Jahren 2017 und 2019. Zunächst soll Sebastian T.  von Februar 2017 an für seine Wohnung Zahlungen des Jobcenters Neukölln im Rahmen des Arbeitslosengeldes II bezogen haben, obwohl er bei seiner Freundin eingezogen war.

Von Februar 2018 bis August 2019 soll der Neonazi zudem seine Wohnung untervermietet haben. Auch davon, so sieht es die Generalstaatsanwaltschaft, habe das Jobcenter nichts erfahren. Bei allen drei Betrugsfällen, die in der Anklage genannt werden, soll Sebastian T. den Staat um insgesamt mehr als 20 000 Euro geschädigt haben.

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