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Grüne Oase. Das Hotel Parkroyal on Pickering in Singapore (aus dem Buch „Hortitecture“).

© Patrick Bingham-Hall

Serie: Erste Einblicke in das „Futurium“: Wo Gärten zum Himmel wachsen

Stadtnatur macht glücklich – und hilft dem Klima. Mit kluger Planung und visionärer Architektur könnten grüne Metropolen entstehen.

In drei Wochen öffnet das „Haus der Zukünfte“ in Berlin. An vier Donnerstagen stellen wir die „Denkräume“ des Futuriums vor und blicken auf Zukunftsthemen, die in den interaktiven Ausstellungen des Hauses erlebbar werden. Diese Woche geht es um grüne Städte.

Tiergarten, Grunewald, Tempelhofer Feld, dazu viele kleine und große Parks in den Kiezen: Berlin gilt als grünste Hauptstadt Europas. Noch, denn die Stadt wächst und die Natur gerät zunehmend unter Druck. Viele Brachflächen werden zubetoniert, Kleingärten und Friedhöfe zu Bauland umgewidmet. Gleichzeitig entdecken Metropolen wie Mailand, New York, Singapur oder Paris die Bedeutung von Stadtnatur für den Menschen. „Es gibt gute Argumente, das Stadtgrün Berlins nicht nur zu erhalten, sondern noch zu erweitern“, sagt Ingo Kowarik, der das Fachgebiet Ökosystemkunde und Pflanzenökologie am Institut für Ökologie der Technischen Universität Berlin leitet.

Der Wissenschaftler weiß, wie entscheidend Natur zur Lebensqualität einer Stadt beiträgt. „Pflanzen reinigen die Luft und bringen Abkühlung“, sagt er. Das helfe in den zunehmend heißen Sommern, die Wärmebelastung der Bewohner zu verringern. „In der Nähe von Parks ist die Temperatur bis zu zehn Grad niedriger.“ Vor allem kühle Nächte seien wichtig, um erholsam zu schlafen. Auch die Seele lebt auf: In Studien wurde nachgewiesen, dass beispielsweise Depressionen abklingen, wenn Menschen Grünflächen besuchen oder Kontakt zur Natur haben.

Da Ingo Kowarik auch Berliner Landesbeauftragter für Naturschutz und Landschaftsplanung ist, erlebt er unmittelbar, wie in der wachsenden Stadt der Druck auf die Natur zunimmt. Doch er beobachtet auch ein Umdenken in der Bevölkerung. Laut „Umweltbewusstseinsstudie“ von Bundesumweltministerium und Umweltbundesamt halten die Deutschen den Umwelt- und Klimaschutz für immer wichtiger. Viele Städter würden zum Beispiel Artenvielfalt als positiv wahrnehmen, sagt Kowarik. Der Berliner Senat habe gute Konzepte entwickelt, die jetzt bei der Stadtentwicklung berücksichtigt werden müssten.

Viel mehr Hausdächer ließen sich begrünen

Gute Beispiele sind dem Forscher zufolge der Gleisdreieckpark, das Tempelhofer Feld sowie der Naturpark Schöneberger Südgelände. „Aber man kann noch wesentlich mehr tun.“ Er sieht vor allem zwei Ansätze: „Zum einen sollte die Erweiterung der Stadt auf vernünftig geplanten Entwicklungsachsen auch ins Brandenburger Umland führen.“ Zum anderen müsse verstärkt Natur in die bestehende Infrastruktur integriert werden. Fahrbahnmittelstreifen etwa böten Raum für Artenvielfalt, blühende Pflanzen seien Lebensraum für Insekten, viel mehr Hausdächer ließen sich begrünen.

Bäume auf Dächern, Bewuchs an Fassaden, stapelbare Gärten: Das und mehr gehört zum Forschungsbereich von Almut Grüntuch-Ernst, die an der Technischen Universität Braunschweig das Institut für Entwerfen und Gebäudelehre leitet und zum Thema auch ein Buch herausgegeben hat („Hortitecture – The Power of Architecture and Plants“, Jovis Berlin, 288 Seiten, 35 Euro). Am Lehrstuhl der Architektin dreht sich alles um nachhaltige Gebäudestrategien. Ihre Forschung konzentriert sich auf Hortitecture – die Kombination von Pflanzen mit Architektur (hortus, lat.: Garten). „Die globale Verstädterung zählt zu den Hauptverursachern des Klimawandels“, sagt die Professorin. Die Folgen bekommen Städter bereits zu spüren: Starkregen überflutet Straßen, weil das Wasser durch die vielen versiegelten Flächen nicht abfließen kann. Und Städte werden zu „Hitzeinseln“, weil die Gebäude Wärme speichern und die Verdunstungskälte von Pflanzen fehlt. Eine grüne Stadt hingegen trage dazu bei, dem Klimawandel entgegenzuwirken, sagt Grüntuch-Ernst. Je mehr Pflanzen es gibt, desto mehr Kohlendioxid wird gebunden.

Auch in Berlin gibt es Hortitecture-Projekte

„Die Idee, Pflanzen als Teil der Gebäudestruktur zu verwenden, ist nicht neu“, gibt die Wissenschaftlerin zu. In Zeiten zunehmender Verstädterung müsse sie aber in moderner Form wiederbelebt werden. Gebäude und Menschen profitierten immens von den Ökosystemleistungen der Pflanzen, die beispielsweise kühlen und schützen – und sogar Lebensmittel genau dort produzieren, wo sie gebraucht werden. Hortitecture untersucht die Leistung begrünter Außenflächen von Gebäuden, vor allem um die mikroklimatischen Bedingungen in Städten zu verbessern. „In Zukunft werden Gebäude daran gemessen, wie viel Feinstaub und Verschmutzung sie absorbieren, wie viel Sauerstoff und Verdunstungskälte sie über integrierte Pflanzen produzieren und wie viel Niederschlagswasser sie speichern“, ist die Architektin überzeugt.

Auch in Berlin gibt es spannende Hortitecture-Projekte. Das Institut für Physik der Humboldt-Universität zu Berlin in Adlershof misst und bewertet die Ökosystemleistungen und die Wirksamkeit von Fassadenbegrünung vor Glasflächen im Vergleich zu herkömmlichen Verschattungssystemen. Und zu den Projekten, die Grüntuch-Ernst-Architekten in der Hauptstadt planen, gehört ein Bürogebäude mit großzügigem öffentlichen Dachpark am Spreebord in Charlottenburg – für die grüne Pause hoch über dem Großstadtdschungel.

Andreas Monning

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