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Citizen Science im Futurium Lab, wo Workshopteilnehmer „senseBoxen“ kennenlernen. Die Messstationen für daheim erheben Werte wie Temperatur, UV-Strahlung und Feinstaubbelastung, die dann online verfügbar gemacht werden.

© Ali Ghandtschi

Serie: Erste Einblicke in das "Futurium": Von Verwandlungskünstlern, Energiefängern und Naturtalenten

In der Abteilung „Stadtdschungel“ im Denkraum Natur des Futuriums blühen viele Ideen auf.

In drei Wochen öffnet das „Haus der Zukünfte“ in Berlin. An vier Donnerstagen stellen wir die „Denkräume“ des Futuriums vor und blicken auf Zukunftsthemen, die in den interaktiven Ausstellungen des Hauses erlebbar werden. Diese Woche geht es um grüne Städte.

Können Bäume waagerecht aus Hausfassaden wachsen? Eine verrückte Frage. Warum aber soll man mit Blick auf die Zukunft nicht genau solche aberwitzigen Fragen stellen? Das Stuttgarter Start-up Visioverdis hat es getan und mit seiner „Graviplant“ eine verblüffende Antwort gegeben: Aus einem Fassadenelement wächst ein bis zu zwei Meter hoher Baum, der durch die Drehung des integrierten Pflanzkübels horizontal gedeiht. Für Fassadenbegrüner, Bauinvestoren und Stadtplaner kann diese Technik weit mehr als ein spektakulärer Hingucker sein. Denn sie kombiniert Wärme- und Schallschutz mit Schadstofffilterung und Sauerstoffproduktion.

„Graviplant“ ist nur eine von vielen Ideen, die in der Abteilung „Stadtdschungel“ im Denkraum Natur des Futuriums präsentiert werden. Es geht um ganz unterschiedliche Ansätze und Konzepte, der Natur in Städten wieder mehr Raum zu geben. „Wie können wir in den kommenden Jahrzehnten unsere Städte stärker nach den Prinzipien der Natur planen und gestalten – das ist unsere Leitfrage“, erläutert Rosalina Babourkova, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin diesen Teil des Futuriums betreut. Neben visionärer Architektur, bei der die Begrünung von Fassaden, Balkonen und Dächern selbstverständlicher Bestandteil eines Gebäudes ist, spielt vor allem der Erhalt und Ausbau naturnaher Lebensräume in den Städten eine Rolle.

Natürliche Kreisläufe in den Städten wiederherstellen

In Berlin zum Beispiel sind als Folge der jahrzehntelangen Teilung große verwilderte Brachflächen entstanden, die heute als intakte Ökosysteme für die Biodiversität und das Klima in der Metropole elementar wichtig sind. Ein anderes Beispiel ist der Naturpark Vacaresti in der rumänischen Hauptstadt Bukarest, der sich aus einem unvollendeten hydrotechnischen Projekt entwickelt hat. Heute ist das 183 Hektar große Areal das größte innerstädtische Naturschutzgebiet Europas, eine Sumpflandschaft in Zentrumsnähe, in der sich sogar der Otter wieder angesiedelt hat. Für viele andere Ballungszentren sind solche Vorbilder Ansporn, vermeintlich ungenutzte Flächen für die freie Entfaltung der Natur unter Schutz zu stellen.

Nicht minder wichtig ist es, natürliche Kreisläufe in den Städten so weit wie möglich wiederherzustellen. Das gilt insbesondere für den Wasserkreislauf, der durch großflächige Versiegelungen nachhaltig gestört ist. Wie das gelingen kann, zeigt die Renaturierung der Emscher im Ruhrgebiet. Im Zeitalter der Schwerindustrie war dieser Fluss eine kanalisierte Abwasserkloake ohne jeden ökologischen Wert. Nach dem Ende von Kohle und Stahl ist der Fluss in den vergangenen 20 Jahren weitgehend renaturiert worden und dient heute wieder als Wasserreservoir für Feuchtwiesen und andere Biotope. Die Natur hat sich so ein kleines Stück Stadt zurückerobert – zum Wohl all ihrer Bewohner, ob Pflanze, Tier oder Mensch.

Die Ausstellung will Anstöße für die Zukunft liefern

Auch das „Urban Farming“ – Obst- und Gemüseanbau im städtischen Raum – wird Thema im Futurium sein. Und alte und neue Baustoffe der Natur sowie ihre Nutzbarkeit in der Zukunft: Holz und Bambus könnten als nachwachsende Ressourcen wichtiger werden, ebenso Verbundmaterialen aus einer gehärteten Pilzmasse und Bambus. Geht es um naturnahes Bauen, wird auch der Jahrtausende alte Baustoff Lehm früher oder später eine Renaissance erleben.

„Unsere Ausstellung will Anstöße liefern, worüber wir uns in den nächsten Jahrzehnten bei der Weiterentwicklung unserer Lebensräume Gedanken machen müssen und wie wir dabei zur Harmonie mit der Natur zurückfinden“, sagt Babourkova. Das gilt auch für die weiteren Abteilungen im Denkraum Natur: Unter der Überschrift „Verwandlungskünstler“ geht es um natürliche Kreislaufsysteme und die Vision eines Lebens ohne Abfall. Im Kapitel „Energiefänger“ werden die Herausforderungen des Klimawandels und der Energiewende beleuchtet. Und in der Abteilung „Naturtalente“ stehen Ideen aus der Natur Pate für zukunftsweisende Entwicklungen in Medizin, Technik oder Ernährung.

Beherrschendes Element ist eine raumgreifende Holzskulptur, deren Konstruktion sich am Aufbau winziger Organismen orientiert. Das Objekt versinnbildlicht die Genialität der Natur selbst in den kleinsten Details des Lebens. Und erinnert daran, dass der Mensch in seiner vermeintlichen Überlegenheit noch viel von ihr lernen kann.

Klaus Grimberg

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