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Aufgepasst! Ein Lehrer führt durchs Städtchen. In Wahrheit ist es Horst Gutsche, Vorsitzender der Herzberger Münzfreunde, ein heimatverbundenes Urgestein. Foto: Andreas Franke/LKEE

© Andreas Franke/LKEE

Serie "Durch Luthers Brandenburg", Folge 3: Herzberg an der Schwarzen Elster: Es war einmal ein Fegefeuer

In Herzberg löste Martin Luther das Kloster auf, und Philipp Melanchthon verfasste seine richtungsweisende Schulordnung. Auch heute machen sie im Städtchen vieles richtig. Und tun eine Menge dafür, dass es sich schmuck und heiter präsentiert.

Am 22. April 1522 rollte eine von sechs Pferden gezogene Kutsche in Herzberg ein. Darin saß Martin Luther. Der Reformator wollte nicht überprüfen, ob und wie seine Lehren umgesetzt wurden, er kam als Abwickler. Sein Ziel: Das Augustinerkloster. Was an Inventar und Wertvollem dort noch vorhanden war, sollte er im Auftrag des Rats der Stadt Torgau sichten und sichern. Die meisten Mönche des Ordens, dem Luther selbst angehört hatte, hatten das Kloster zu diesem Zeitpunkt längst verlassen. Nun wurde das Konvent komplett aufgelöst. An seinen Standort erinnern heute nur die Namen Klosterstraße und Mönchstraße. Kein Mäuerchen ist übriggeblieben von dem Bau.

Ein biblisches Bilderbuch prangt im Gewölbe

Dafür steht die Stadtkirche St. Marien noch immer groß und mächtig an Ort und Stelle. Gut 42 Meter lang und 22 Meter breit ist dieses Gotteshaus aus Backstein. Sicher ist Martin Luther hineingegangen und hat drinnen, genau wie wir, den Kopf in den Nacken gelegt.

Philipp Melanchthon am Schulgebäude: 1538 verfasste der Reformator und Mitstreiter Luthers die Herzberger Schulordnung.
Philipp Melanchthon am Schulgebäude: 1538 verfasste der Reformator und Mitstreiter Luthers die Herzberger Schulordnung.

© Andreas Franke/LKEE

Denn oben in den Rippengewölben prangt ein biblisches Bilderbuch. Die Malereien, im 15. Jahrhundert a secco, auf trockenem Putz ausgeführt, sind faszinierend. Bunte Figuren schweben dahin, Engel sitzen mit der Harfe da, Petrus schließt die Pforte auf zum Himmelstor. Teile der Hölle sind weg. Das Fegefeuer wurde bei den umfassenden Restaurierungen im 19. Jahrhundert übermalt. Der preußische Baumeister Karl-Friedrich Schinkel hatte vergeblich dagegen protestiert.

Luther und Melanchthon forderten auch eine Schule für Mädchen

Nicht weit entfernt von der Marienkirche befindet sich das historische Schulgebäude. Daran befestigt ist eine bronzene Büste von Philipp Melanchthon. 1538 hatte er die Herzberger Schulordnung verfasst, die später in ganz Deutschland eingeführt wurde. Das vorgeschlagene Unterrichtsprogramm mutet durchaus ehrgeizig an. Los ging es um sechs Uhr morgens mit grammatischen Übungen, danach wurden antike Dichter wie Vergil, Terenz und Cicero analysiert, bis nach gemeinschaftlichem Mittagssingen lateinische Grammatik gebüffelt wurde. Drei Klassenstufen gab es. Und in die wurden die Schüler nicht nach Alter eingruppiert, sondern nach Fähigkeit. Der kluge Melanchthon dachte voraus und forderte, gemeinsam mit Luther, früh auch eine Schule für Mädchen.

Bildung nahm eine zentrale Stelle während der Reformation ein. Der Erlös aus den Klöstern floss in eine Art Sozialkasse, aus der Lehrer und Bedienstete bezahlt wurden. Auch in Herzberg war das der Fall. Zudem war man auf Spenden angewiesen. Schon 1524 gab es in Herzberg vier redliche Bürger, die darauf achteten, dass das Geld den „Richtigen“ zugute kam und nicht den „Mussiggengern und willig Armen“. Die Unterstützung sollte vor allem mittellosen Familien helfen und ihren Kindern Chancen auf Bildung eröffnen.

Beschauliches Städtchen. Herzberg aus der Vogelperspektive.
Beschauliches Städtchen. Herzberg aus der Vogelperspektive.

© juergen hohmuth/zeitort.de

In Herzberg machen sie noch immer vieles richtig. Beschaulich, fast heiter wirkt das Städtchen. Am Markt steht ein schmuckes Rathaus, in dem es eine Trattoria gibt. Vielleicht ist es kein Zufall, dass die Einwohner ihr Städtchen nicht nur mögen, sondern sich auch dafür engagieren. So wie Ulf Lehmann. Der Elektromeister arbeitet in seiner Freizeit nicht nur als Fremdenführer, sondern forscht über die Geschichte Herzbergs und hat auch Bücher übers Städtchen verfasst. War da nie der Wunsch fortzuziehen? „Nein, nie“, sagt der 44-jährige Familienvater, „ich hänge an Herzberg.“

Willkommen im Jugendstilgarten mit geschwungenen Wegen

So, wie wohl auch Reinhard Straach, der den Jugendstilgarten im Ort betreut. Geschwungene Wege führen hindurch, es gibt ein Teehäuschen und einen „Alpingarten“. Straach ist ganz vernarrt in sein Idyll. „Ein Kleinod“, schwärmt er, „gereift in 100 Jahren.“. Jetzt blühen die Rhododendren, dann die Rosen, im November überrascht die Zaubernuss. „Jeden Monat ist wieder was anderes zu bewundern", sagt der Gärtner, der eigentlich Schauspieler ist.

Den Garten hatte der Fabrikant Wilhelm Marx zu Beginn des 20. Jahrhunderts angelegt. Seine schöne Villa gehört heute der Stadt und wartet auf Sanierung. Gegenüber steht das 1907 erbaute Kurhaus, in dem es schon lange keine Anwendungen mehr gibt. Und die, die man früher anbot, fruchteten wohl wenig. Herzberg hatte sich trotzdem für eine Weile eigenmächtig das Wörtchen „Bad“ vorangestellt, wie manche historischen Postkarten belegen.

Viel Spaß mit dem Herzberger "Wunderstein"

Vor dem Kurhaus steht der „Wunderstein“, angeblich von Studenten 1506 dort aufgestellt. Vorne drauf steht: „Wer dreymal diesen stein umwallt, wird ueber hundert jare alt.“ Wer rückwärts lesen kann, verliert die Hoffnung schnell. Denn hinten auf dem Stein entziffert man: „Doch nur falls er nicht vorher sterbt und so sich selbst den Spaß verderbt.“

Spaß kann man reichlich haben in Herzberg. Zum Beispiel, in dem man an der Schwarzen Elster, ein Nebenfluss der Elbe, ein Kanu besteigt und bis nach Sachsen-Anhalt paddelt. Oder man besucht den Tierpark neben Schloss Grochwitz. Dort sind Affen, Lamas, Ziegen oder Schweine gratis zu betrachten. Während die Kinder dort herumstromern, sitzen die Eltern gemütlich in „Zwiebels Grillhütte“.

Wie zu Omas Zeiten. Kaffee-Päuschen im reizenden "Café Plätzchen".
Wie zu Omas Zeiten. Kaffee-Päuschen im reizenden "Café Plätzchen".

© Hella Kaiser

In Herzberg gibt es einen ordentlichen Schlachter, mehrere Bäcker, Gemüseläden und andere Geschäfte für den täglichen Bedarf. Das Wichtigste aber: „Wir haben verschiedene Schulen und Kindergärten“, sagt Ulf Lehmann. Deshalb zögen auch Familien zu, was natürlich gut sei für die Entwicklung des Ortes. „Von denen, die auswärts gearbeitet haben, sind manche zurückgekommen und bauen sich hier etwas auf“, erzählt Lehmann zufrieden. Vielleicht gibt es deshalb zahlreiche Cafés und Restaurants im Ort und sogar zwei (!) Buchläden.

Wie überall, stehen allerdings auch in diesem Städtchen Geschäfte leer. Das sieht man aber erst auf den zweiten Blick, weil zahlreiche Schaufenster in diesem Jahr mittelalterlich dekoriert sind. Mit Leinengewändern, Barbiermessern und Holzschuhen zum Beispiel.

Ein Shuttle vom Bahnhof zum Zentrum steht auf der Wunschliste

Vielleicht ist Ulf Lehmanns Elan, der im Sommer auch noch Open-Air-Kino organisiert, ansteckend. „Einige hier wollen auch was bewegen“, sagt er zufrieden. Gemeinsam überlegen sie, was man als nächstes auf die Beine stellen könnte. Die Einrichtung eines Shuttles vom Bahnhof zum Zentrum wäre gut. Denn der Weg dorthin zieht sich arg. „Manche Besucher sind fix und fertig, wenn sie bei mir auftauchen“, erzählt Barbara Gloél, Leiterin der Touristeninformation. Die Auskunftsstelle befindet sich in der Marien-Kirche. Barbara Gloél ist bei keiner Frage um eine Antwort verlegen und natürlich stempelt sie jedem auf Wunsch den Lutherpass ab. „Menschen sind ja Jäger und Sammler“, sagt sie lächelnd.

Der Grammatik-Guru floh aus dem Städtchen

Gegenüber ist das Geburtshaus von Johannes Clajus d.Ä. (1535 – 1592). Auf der Gedenktafel steht: „1578 Verfasser des Buches ‚Grammatik' für die deutsche Sprache.“ Zwei Jahre hat Clajus in Herzberg als Lehrer gearbeitet, die Stadt dann aber für immer verlassen. Es heißt, die Kleinbürgerlichkeit habe ihm missfallen.

Das erwähnt Ulf Lehmann natürlich nicht. Lieber erzählt er von einem anderen berühmten Herzberger: Werner Janensch. Der Paläontologe war 1878 bei der Tendaguru-Expedition in Tansania. Im Team buddelten sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts dort das Skelett des Brachiosaurus brancai aus. In kompletter Schönheit ist der Dino im Berliner Naturkundemuseum zu betrachten, obwohl doch, wie Lehmann scherzhaft sagt, ein Stück davon Herzberg zustehen würde.

Wir finden, dass sich manch ein Ort in Brandenburg eine Scheibe abschneiden könnte von Herzberg.

Luthers Thesen haben die Welt verändert. Nicht auf einen Schlag, sondern ganz allmählich. Doch wie war das damals, als Pfaffen verjagt wurden, Bürger rebellierten und Mönche nichts mehr zu sagen hatten?

In Brandenburg kann man der Geschichte nachspüren. In sechs Städten haben wir uns umgesehen und gestaunt, wie viel vom Mittelalter geblieben ist. Und was die Gegenwart bietet. Bitte, folgen Sie uns!

Die nächsten Folgen unserer Ausflugsserie erscheinen an folgenden Tagen: Mittwoch, 17 Mai, Brandenburg a.d. Havel; Sonnabend, 20. Mai, Mühlberg a.d. Elbe und Mittwoch, 24. Mai, Neuzelle im Landkreis Oder-Spree.

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