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Die Schauspielerin und Autorin Senta Berger.

© Torsten Silz/ddp

Senta Berger für Stolpersteine: "Die Kinder wollen wissen"

Die Schauspielerin Senta Berger erklärt, warum sie die Stolpersteine auf Berliner Gehwegen ergreifend findet. In einem Brief empfiehlt sie, die Gedenksteine für Holocaust-Opfer auch in München zu erlauben.

Während Stolpersteine in Berlin seit Jahren zum Straßenbild gehören, bleibt diese Möglichkeit des Gedenkens den Angehörigen von Holocaust-Opfern in München verwehrt. Das Verbot auf öffentlichem Straßenland wurde gerade politisch bestätigt. Das Hauptargument dagegen, die kleinen, ins Trottoir eingelassenen Würfel seien keine würdige Form des Gedenkens, wird vor allem von der Israelitischen Kultusgemeinde und deren Vorsitzender Charlotte Knobloch vorgetragen (eine Zusammenfassung der Debatte aus Sicht der Stolpersteingegner finden Sie hier). Andere Holocaust-Überlebende und Angehörige von Holocaust-Opfern sind für die Stolpersteine. Eine Initiative um den Deutsch-Amerikaner Terry Swartzberg kämpft seit Jahren für Stolpersteine auch in München, mit einer Petition werden Unterschriften gesammelt.

Claudia Keller hat die Münchener Debatte in einer Reportage für den Tagesspiegel differenziert dargestellt. Die Journalistin und Schriftstellerin Amelie Fried trat nach der politischen Bestätigung für das Verbot nun mit einem Kompromissvorschlag hervor. Daraufhin schrieb ihr Senta Berger mit Blick auf ihre Berliner Erfahrungen folgenden Brief, den wir hier - samt ergänzenden Worten von Senta Bergers Ehemann, dem Regisseur Michael Verhoeven - mit freundlicher Genehmigung von Senta Berger, Michael Verhoeven, Amelie Fried und Terry Swartzberg dokumentieren.

Brief von Senta Berger an Amelie Fried

Liebe Amelie Fried,

mein Mann und ich sind gerade aus Berlin zurückgekommen. Wir wohnen dort in Charlottenburg, Mommsenstraße. In unseren Umkreis gibt es fast kein Haus, vor dem nicht die kleinen glänzenden Stolpersteine eingelassen sind. Mir sind die Namen, die auf ihnen stehen, mittlerweile vertraut. Ich kann mir vorstellen und ich muss es auch, wie alt diese Berliner Bürger waren, als sie zur Verschleppung, zur Vernichtung abgeholt worden sind. Die Reihenfolge der "Abholungen" bei Tag und bei Nacht lässt mich die unerträglichen Verhältnisse verstehen. Der Ehemann und die Tochter kamen zuerst "auf Transport ", die Ehefrau und ihre Schwester erst ein paar Monate später und manche von den Familienmitgliedern erst Ende 1944. Das Warten, die Angst, die Ausweglosigkeit - das steht da vor mir geschrieben auf den Stolpersteinen.

Sicher ergreifen die Stolpersteine nicht alle Mitbürger meines Berliner Viertels in dem Maße, wie sie mich ergreifen. Aber zu sehen, wie die Kinder vom Walter-Benjamin-Platz kommen und mit ihren kleinen Fahrrädern, noch mit Stützrädern - oder kleinen Tretrollern - vor den Steinen stehen bleiben und ihre Mütter, ihre Begleiter fragen ….was steht da ? Und warum? Wer ist das ?….- das freut mich, das finde ich wichtig. Auch wenn die Antworten oft ungenügend sind wie … weiß nicht … haben hier gewohnt …. Die Kinder wollen wissen. Und irgendwann wird ihnen jemand die Antwort geben. Und die Häuser in ihrer Umgebung bekommen Gesichter.

Ich danke Ihnen sehr für Ihr Engagement, mit lieben Grüßen, Senta Berger

Brief von Michael Verhoeven an Terry Swartzberg

Lieber Terry,

mein weiterer Gedanke dazu ist, dass man an einer Tafel eher achtlos vorbeigeht, aber bei den Stolpersteinen kann man gar nicht einfach vorbeigehen. Ich sehe ja auch die Leute stehenbleiben und lesen und nachdenken. Die Gegner der Stolpersteine fürchten, dass die Leute gedankenlos drüber gehen. Ja, einige oder sogar viele werden das tun. Aber die können auch an Fassaden-Tafeln vorbeigehen.

Böswillige können eine Tafel sogar anspucken, fürchte ich. Was unbedachte oder absichtliche Tritte auf die goldenen Steine angeht, erinnert mich das an die Diskussion in München um die in den Boden vor der Uni gelegten Flugblätter der Weißen Rose.

Das Argument der "Beschützer" war, dass ja jetzt die Studenten und Passanten achtlos auf die Flugblätter steigen könnten. Deshalb sollten die Flugblätter wieder herausgenommen werden. Aber sie blieben und liegen dort als sehr eindringliches Mahnmal. Freunde und Nachkommen der Widerstandsgruppe "Weiße Rose" fanden das gut. Einige meinten, wer da achtlos oder bösartig "drüberlatscht", der tut, was damals auch viele Studenten getan haben, als die echten Flugblätter in der Uni ausgelegt waren.

Die verewigten Flugblätter halten das aus, so wie die echten das damals ausgehaltenhaben. Das tut ihrer Botschaft keinen Abbruch. Amelie Frieds Vorschlag ist ein wirklicher Kompromiss, denn dann können die Wandtafler sich für die Lösung der Tafeln entscheiden und die Stolpersteinler entscheiden sich für die Steine. Dann haben beide Seiten recht. So sieht meiner Meinung nach ein Kompromiss aus.

Grüß bitte die Amelie Fried.

Sei auch du herzlich gegrüßt!

Dein Michael

Senta Berger

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