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Die Skyline von Berlin - aufgenommen vom Dach der Treptowers.

© Kitty Kleist-Heinrich

Senat warnt vor Bauwut in Berlin: Streit um Grünflächen in der Stadt

Die Umweltverwaltung möchte mehr Grünflächen in der Stadt. Das fordern auch Naturschützer. Doch die Wirtschaft will bauen.

Die Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz will die Hauptstadt grüner machen. Deshalb wurden nun Entwürfe für eine „Charta“ und ein „Handlungsprogramm“ vorgelegt. Die beiden Entwürfe enthalten nicht viel Konkretes. Trotzdem treffen sie bereits auf Kritik. Der Bauwirtschaft gehen sie viel zu weit, aber Umweltschützern nicht weit genug.

Die Hauptstadt ist grüner, als viele Bewohner denken. Fast 44 Prozent des Landes Berlin bestehen aus Frei- und Grünflächen. Dazu gehört nicht nur das Tempelhofer Feld. Es gibt zahllose Parks, Straßenbäume, Klein- und Gemeinschaftsgärten, aber auch richtige Wildgebiete. Doch durch vermehrte Bautätigkeit sind viele dieser Flächen bedroht.

Berlin müsse „die Stadtentwicklung vom Grün her denken“, sagt Staatssekretär Stefan Tidow. Die Verwaltung ruft die Bürger auf, sich mit eigenen Ideen einzubringen. Eins sei jedoch sicher: „Die Antwort kann nicht sein: Bauen, Bauen, Bauen.“

Das bedeutet seiner Ansicht nach: Grünflächen erhalten – und neue schaffen. Zum Beispiel an Straßen oder durch die Begrünung von Dächern. Wenn es nach der Stadtgrün-Charta geht, soll jeder Berliner in Zukunft sechs Quadratmeter Grünanlage in Wohnungsnähe nutzen können. Das wären höchstens 500 Meter Entfernung.

Grün für alle – das klingt gut. Doch was bedeutet das eigentlich? Wie viel Grün der durchschnittliche Berliner im Moment zur Verfügung hat, konnte die Verwaltung zunächst nicht beantworten. Insgesamt bleiben die Vorschläge der Verwaltung schwammig.

"Stadt ist Stadt"

Um dem Bevölkerungswachstum gerecht zu werden, müssten Brachen in der Stadt geschlossen werden, sagt David Eberhart vom Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen. Die Stadt wachse nun einmal, da habe das Bauen Priorität. „Stadt ist Stadt“, sagt Eberhart, deshalb fordert er eine weitere Verdichtung. Die Berliner könnten Grünflächen im nahegelegenen Brandenburg finden.

Auch was die Begrünung von Dächern angeht, ist Eberhart eher skeptisch. Gerade in heißen Sommern würden sich Dachflächen „extrem aufheizen“. Daher müssten sie dort mit großem Aufwand bewässert werden. Nicht zuletzt stiegen dadurch die Kosten für Bau und Instandsetzung. Das sei eine „weitere Hürde“ für die Schaffung bezahlbaren Wohnraums.

"Brauchen wir noch mehr Eigenheime?"

Jutta Sandkühler vom Naturschutzbund Deutschland hingegen begrüßt die Entwürfe. Sie enthielten „durchweg positive Ansätze“. Allerdings gingen sie nicht weit genug. Freiflächen wie der Güterbahnhof Pankow dürften nicht nur als Bauland gesehen werden, denn sie seien wichtige Lebensräume für geschützte Amphibien oder Insekten wie Wildbienen und Falter. Die müssten in der Stadt auch erhalten werden.

Es reiche zudem nicht aus, Erholungsflächen für Menschen zu schaffen, sagt Sandkühler. In Parks müsse es auch Flächenanteile für "Nichtnutzung" geben. Große Freiflächen gingen durch Baumaßnahmen für die Natur verloren. Das könne nicht durch kleinräumige Grünflächen auf Dächern oder an Straßen ausgeglichen werden.

Generell solle besser in die Höhe gebaut werden als in die Breite, zum Beispiel durch die Überbauung von Supermärkten mit Wohnungen. "Brauchen wir noch mehr Eigenheime?", fragt Sandkühler.

Schwieriger Kompromiss

Nach Auskunft der Senatsverwaltung wurde der Charta-Entwurf auf einer Reihe von Fachveranstaltungen zwischen Oktober 2018 und März 2019 ausgearbeitet. Beteiligt waren daran neben der Senatskanzlei  auch diverse Verwaltungen auf Landes- und Bezirksebene. Zum Thema Nachverdichtung äußerte sich unter anderem die Senatsverwaltung Stadtentwicklung und Wohnen.

Forscher und Bürgerinitiativen wurden befragt, ebenso die Grüne Liga und Naturschutzverbände, außerdem Kleingarten- und Sportvereine. Die Industrie- und Handelskammer vertrat Interessen der Gewerbetreibenden.

Wenn sich im Verlauf der nun öffentlichen Debatte noch weitere Interessengruppen zu Wort melden, dürfte eine Einigung kaum einfacher werden. Es bleibt daher eine spannende Frage, welche konkreten Maßnahmen am Ende auf die Charta folgen werden.

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