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Auch diesen Sonntag wird in Mitte wieder eine Demo für Gleichberechtigung und feministische Anliegen stattfinden.

© Ralf Hirschberger/dpa

Seit 2019 Feiertag: Hat der Frauentag in Berlin etwas verändert?

Wie steht es um die Gleichberechtigung in der Stadt? Zum zweiten Frauentag, der auch ein Berliner Feiertag ist, hat der Senat jedenfalls nichts geplant.

Von Ronja Ringelstein

Das Geschrei hielt eine Minute lang an. Es war nicht zu überhören, ohrenbetäubend. Hunderte Frauen, aber auch Männer, hatten sich in Kreuzberg am Moritzplatz, andernorts in Berlin und weltweit versammelt, um gemeinsam gegen die Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern anzukreischen.

„Ein weiblicher Schrei der Wut, des Zorns, der Trauer, oder auch der Freude“, beschreiben es die Initiatorinnen auf ihrem Flyer, mit dem sie dazu aufrufen, auch an diesem Sonntag, dem 8. März, an dem weltweiten Aufschrei um 16 Uhr Berliner Zeit teilzunehmen. Denn es ist der Internationale Frauentag, oder auch „Frauenkampftag“, je nachdem, wen man fragt. In Berlin ist der Frauentag seit einem Jahr gesetzlicher Feiertag.

Erst Ende Januar 2019 hatte das Abgeordnetenhaus die Gesetzesnovelle noch hastig beschlossen, nachdem eine lange Debatte vorausgegangen war, welcher Tag der neue Feiertag für Berlin werden sollte. Derya Caglar, frauenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion hatte im Anschluss gesagt, die Entscheidung sei „ein ganz großes Zeichen dafür, dass wir auf dem Weg der Gleichstellung von Frau und Mann weiterkommen“.

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Aber: Ist dem so? Und kann ein Feiertag überhaupt dazu beitragen, Rechte von irgendwem zu stärken, in diesem Fall die der Frauen?

Der Berliner Senat plant jedenfalls nichts, keine Veranstaltung oder besondere Aktivität, um die Errungenschaft des sich zum ersten Mal jährenden Feiertags zu feiern. Dort verweist man auf „dezentrale“ Veranstaltungen, sprich: Andere, also Bezirke, Parteien, Frauenverbände planen viel.

Ab 14 Uhr ruft das Bündnis „Frauen*kampftag“ wieder zur Großdemo auf, die vom Leopoldplatz in Wedding bis zum Alexanderplatz ziehen soll. Das wäre wohl auch ohne den Feiertagsstatus so.

Die zuständige Senatsverwaltung für Gesundheit und Gleichstellung vergab am Freitag, wie bereits seit Jahren noch weit vor Einführung des Feiertags, den Berliner Frauenpreis. Diesjährige Preisträgerin ist Yvonne Büdenhölzer, die als Leiterin des Theatertreffens der Berliner Festspiele eine 50-Prozent-Quote für Regisseurinnen bei der Auswahl der Stücke eingeführt hatte.

Eine Erfolgsgeschichte: Beim diesjährigen Theatertreffen vom 1. bis 17. Mai werde die Quote in der „10er Auswahl“ mit sechs Theaterstücken von Regisseurinnen sogar überboten, erklärte Gleichstellungssenatorin Dilek Kalayci (SPD).

Frauentag versus Coronavrius?

Ein Gesamtkonzept zum Frauentag gibt es allerdings nicht. Zu Zeiten des Coronavirus muss die Gleichstellung hinter der Gesundheitsfürsorge zurückstehen. Anfragen und Nachfragen des Tagesspiegels blieben von der Senatsverwaltung unbeantwortet, mit der Entschuldigung der Überlastung wegen des Virus.

Dass ein Virus dazu führen kann, dass der Senat für Gleichstellungsfragen und Frauenförderung keine Zeit mehr hat, liegt laut Christine Rabe an einem strukturellen Problem: „Weil wir keine Landesbeauftragte für Gleichstellung haben, das hatten wir von Rot-Rot-Grün bereits während der Koalitionsverhandlungen 2016 gefordert.“

Rabe ist stellvertretende Vorsitzende des Landesfrauenrats Berlin, einem Zusammenschluss von Berliner Frauenorganisationen und Frauengruppen der Parteien, der Kirchen und Gewerkschaften. „Senatorin Kalayci hat zur Zeit viel anderes zu tun, das Thema ist in der Senatsverwaltung nicht aktuell“, sagt Rabe.

Insgesamt hätte sie sich von einem Senat, in dem Parteien sitzen, die sich stets Frauenförderung auf die Fahnen schreiben, mehr erhofft. „Ich denke, dass Rot-Rot-Grün gute Antworten hat, aber die Umsetzung dauert viel zu lange.“

Das Berliner Paritätsgesetz lässt auf sich warten

Das Paritätsgesetz, das seit Jahren diskutiert wird, sollte für mehr Ausgleich der Geschlechter im Berliner Parlament und in den Bezirksverordnetenversammlungen sorgen. In dieser Woche gab die SPD gegenüber dem Tagesspiegel zu, dass es – selbst wenn es noch dieses Jahr beschlossen werden sollte – für die Berlin-Wahl 2021 zu spät sein wird. Nur ein Drittel der Abgeordneten im Landesparlament sind Frauen.

Auch auf dem Berliner Arbeitsmarkt stoßen Frauen immer noch gegen die „gläserne Decke“ – kommen also nicht weiter nach oben. Sie stellen zwar mit 49,5 Prozent etwa die Hälfte der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten der Stadt, dabei ist ihr Anteil in Minijobs und Teilzeitbeschäftigungen mit 72 Prozent aber besonders hoch. Auf der obersten Führungsetage liegt der Frauenanteil bei rund 30 Prozent. Der Landesfrauenrat kritisiert außerdem, dass die mittlere und leitende Führungsebene in den Bezirksämtern sowie in den Senatsverwaltungen überwiegend männlich besetzt sei.

"Kein verdammter neuer Muttertag"

Maren Jasper-Winter, frauenpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion sieht in der Bilanz einen Beweis dafür, dass der Frauentag als Feiertag „überhebliche Symbolpolitik“ von Rot-Rot-Grün sei. „Wir müssen für die Frauen im täglichen Leben hier etwas verändern“, sagt Jasper-Winter.

„Das einzige, was angegangen wird, ist die Erhöhung der Plätze in Frauenhäusern“, sagt Katrin Vogel von der CDU. „Aber es fehlen immer mehr Kitaplätze, preiswerten Wohnraum für Alleinerziehende gibt es nicht und beim Gender-Pay-Gap hat sich nichts verändert“, sagt Vogel. Daran habe ein Frauentag als Feiertag auch nichts geändert.

„Wir brauchen keinen verdammten neuen Muttertag, an dem ich die Blumenindustrie unterstütze“, hatte Antje Kapek, die Fraktionschefin der Grünen, vor einem Jahr gesagt und das „Hauruckverfahren“ kritisiert, zu dem die Grünen durch die Koalitionspartner SPD und Linke gezwungen worden seien, um den Frauentag zum Feiertag zu machen.

Heute zieht sie eine andere Bilanz, sie glaube, dass sich ihre Befürchtung nicht bestätigt hat. Der Kampf für Gleichstellung und Emanzipation habe an Schwung und die Diskussion darüber an Raum gewonnen, „auch wenn ich mir gewünscht hätte, dass wir gesamtgesellschaftlich mehr erreicht hätten“. Mit zunehmendem Rechtsextremismus, Hass und Hetze im Internet, ginge auch vermehrt sexualisierte Gewalt gegen Frauen einher.

"Wir müssen uns noch viel Macht erkämpfen"

Am Donnerstag wurde im Abgeordnetenhaus angekündigt, den Aktionsplan für Gewalt gegen Frauen zu erneuern und auch digitale Gewalt stärker in den Fokus zu nehmen. Das Abgeordnetenhaus und der Senat machten schon viel, sagte Kapek. „Ich hätte mir vom Senat trotzdem ein klares Bekenntnis zum Frauenkampftag und ein Gesamtkonzept für den Feiertag gewünscht.“

„Der Tag soll die Gesellschaft für das Thema sensibilisieren“, sagt Derya Caglar von der SPD. „Er soll zeigen, dass wir nicht am Ziel sind. Wir müssen uns noch viel Macht erkämpfen, die uns zusteht“. So ein Feiertag solle dafür ein Symbol sein. Genau wie ein minutenlanger Schrei.

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