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Spurensuche. Wo war die einst bekannteste Ost-Schwulenkneipe, der „Burgfrieden“? Frank Schäfer ist sich nicht ganz sicher.

© Michele Galassi

Kieztour mit Szenefriseur Frank Schäfer: Was vom schwulen Prenzlauer Berg übrig ist

Der Prenzlauer Berg galt vor der Wende als der schwule Ost-Bezirk. Was bleibt davon? Auf Kieztour mit Szenefriseur Frank Schäfer – der auch heute gern hier ist.

Die Wände in dem kleinen Friseurladen in der Rodenbergstraße 6 sind gespickt mit Kitsch, Kunst und fünfzig Jahren Prenzlauer-Berg-Geschichte. „Schau her“, sagt Frank Schäfer und zeigt auf eine Schwarz-Weiß-Fotografie. „Sven Marquardt und ich, irgendwann in den Achtzigern.“ Mit dem Fotografen und Berghain-Türsteher verbindet den Friseur seit Jahrzehnten eine Freundschaft.

Die beiden hatten sich Ende der Siebziger Jahre kennengelernt. Damals fing der Prenzlauer Berg gerade an, sich einen Ruf als Ost-Berlins schwules Viertel zu erobern. Sven und Frank sind jung und hübsch, aber vor allem sind sie Punks. In der aufkommenden Künstlerszene des Bezirks fühlen sie sich wohler als auf Schwulenpartys, wo es „gutbürgerlich“ zugeht: „Da wurden wir nie eingeladen, wir waren denen zu schrill.“

Als Paradiesvogel gilt der Sohn des bekannten DDR-Schauspielers Gerd. E. Schäfer noch heute. Klar, das liegt an seinen Piercings und den vielen Tattoos. Manche prangen unübersehbar in seinem Gesicht, am Kinn oder über der Braue. Beeindruckender an Frank Schäfer als all sein Körperschmuck ist aber seine sympathische Berliner Schnauze.

"Die Westler wollten den Ost-Hype"

Die ebnet dem 1959 Geborenen Anfang der Achtziger den Weg in die Modewelt des Prenzlauer Bergs. Schnell gehört er zu Gruppen wie „Chic, Charmant und Dauerhaft“ oder später „allerleirauh“, deren Modenschauen republikweit bekannt werden. Nicht alle Mitglieder des Kollektivs leben im Prenzlauer Berg. „Es war noch überhaupt nicht wichtig, in welchem Bezirk man wohnte.“

Zum Mythos als Schwulenbezirk des Ostens trägt vor allem Heiner Carows Schwulen-Film „Coming out“ bei, der am Tag der Maueröffnung Premiere hatte. Die Kneipenszenen wurden im „Burgfrieden“ gedreht. Helga hieß die Besitzerin des Lokals, eine alte Kundin des Starfriseurs: „Helga fand es toll, Heiner Carow kennenzulernen und Carow fand die Szenerie dort ungewöhnlich und bunt.“

Frank Schäfer in seinem Friseursalon.
Frank Schäfer in seinem Friseursalon.

© Michele Galassi TSP

Frank Schäfer hatte bereits 1988 „in den Westen gemacht“. Erst 1993 kehrte er in seinen Heimatbezirk zurück. Damals begann der Hype um den „Prenzlberg“. Bekannte West-Schwule wie Matthias Frings oder Thomas Hermanns fühlten sich von der Mischung aus DDR-Ambiente und junger Szene genauso angezogen, wie von der Wildheit der Fassaden. Plötzlich sahen West-Bezirke wie Schöneberg oder Kreuzberg verdammt alt und fertig aus – für Schwule aus dem Westen, wohlgemerkt.

Doch der Erfolg in der Szene währte nur kurz: „Die DDR-Kneipen verloren schnell ihren Charme, weil natürlich nur noch Leute hingingen, die darauf warteten, dass etwas Tolles passiert. Die Westler wollten den Ost-Hype vorgeführt bekommen. Die Ostler waren aber natürlich längst alle im Westen.“

Wenn aus "Klappen" Cafés werden

Den „Burgfrieden“ gibt es schon lang nicht mehr. Frank Schäfer will zeigen, wo er sich einst befand, „gleich um die Ecke in der Wichertstraße“. Nur, welches Haus? Das ist gar nicht leicht herauszufinden. „War der Eingang jetzt hier oder da oder nebenan?“ Schäfer kann sich nicht entscheiden. Nichts erinnert mehr an die einstmals legendärste Schwulenkneipe der DDR.

Weiter geht’s: An der nächsten Ecke befindet sich bis heute die „Greifbar“, erste und mittlerweile fast letzte schwule Cruising-Bar von Prenzlauer Berg. Natürlich ist auch deren Besitzer Kunde in Franks Salon. „Anfang der Neunziger habe ich ihm dazu geraten, eine Bar wie in Schöneberg zu eröffnen, so mit Dunkelraum und Pornofernseher. Dirk war eigentlich eher bieder und fand das persönlich gar nicht gut, aber kaum hatte er damit angefangen, war der Laden proppevoll.“

Der schwule Kiez im Prenzlauer Baerg.
Der schwule Kiez im Prenzlauer Baerg.

© Fabian Bartel/Tsp

Heute ist die Greifbar fast schon ein Relikt. Seit der Jahrtausendwende haben die meisten Clubs und Kneipen im Prenzlauer Berg dicht gemacht. Viel ist über den angeblichen Niedergang der lokalen Schwulenszene geschrieben worden. Doch Frank sieht das anders: „Es wurde immer gesagt, die Gentrifizierung sei schuld, die vielen Schwaben und die steigenden Mieten. In Wahrheit ist einfach niemand mehr in die Kneipen gegangen. Das Internet ist zur neuen Kontaktbörse geworden.“

Von der Wichertstraße schlendert er weiter Richtung Humannplatz. Dort befand sich zu DDR-Zeiten ein rot geklinkertes Toilettenhäuschen, nachts ein Treffpunkt schwuler Männer. Hier konnten sie im Schutz der Dunkelheit und hinter verschlossenen Türen ausleben, was die Gesellschaft der Siebziger in West und Ost für eine „perverse Neigung“ hielt.

Die "Greifbar", erste und aktuell fast letzte schwule Cruising-Bar von Prenzlauer Berg.
Die "Greifbar", erste und aktuell fast letzte schwule Cruising-Bar von Prenzlauer Berg.

© Michele Galassi

Das Häuschen steht noch, doch wo es früher streng roch, duftet es heute nach Backwaren und Latte Macchiato. Die einstige „Klappe“ ist heute ein Café. Von dem, was sich hier seinerzeit abspielte, haben die heutigen Gäste nicht den Hauch einer Ahnung.

"Vielleicht kommt die Szene wieder"

Über die Erich-Weinert-Straße läuft er zurück, vorbei am Ladenlokal des „Sonntags-Clubs“ in der Greifenhagener Straße, der einzigen politischen Schwulengruppe der DDR, die 1973 im Prenzlauer Berg gegründet wurde und bis heute existiert. Ein lesbisches Pärchen sitzt draußen in der warmen Herbstsonne. „Der Sonntagsclub hat bestimmt seine Berechtigung“, sagt Frank Schäfer, „aber ich bin da nie hin, ich hatte mit meiner Homosexualität kein Problem. Ich habe mich lieber mit den Schwulen getroffen, die ich toll fand.“

In seinem Friseursalon in der Rodenbergstraße wieder angekommen, zieht Frank Schäfer ein Fazit. Schwules Leben im Prenzlauer Berg sei heute vor allem eine Selbstverständlichkeit: „Ich laufe hier am Tag an zehn Transfrauen vorbei, das juckt keinen. Klar war der Prenzlauer Berg in den Neunzigern ein krasserer Bezirk. Aber ganz Deutschland war krasser, heute ist alles gesetzter. Und natürlich zieht eine Szene immer weiter.“

Bald, so sagt Schäfer, werden die Kinder der Familien vom Kollwitzplatz in dem Alter sein, in dem sie anfangen Partys zu feiern – „und dann kommt die Szene vielleicht ganz schnell wieder.“

Frank Schäfers Autobiografie erschien im Frühjahr: „Ich bin nicht auf der Welt, um glücklich zu sein“, aufgeschrieben von Patricia Holland Moritz, Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf, 280 Seiten, 12,99 Euro.

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