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Mit Kopfschüssen getötet. Der Attentäter kam mit einem Fahrrad und erschoss Zelimkhan Khangoshvili.

© Christoph Söder/dpa

Update

Schwerer Vorwurf gegen das Putin-Regime: Bundesanwaltschaft erhebt Anklage nach Tiergarten-Attentat

Als Auftraggeber für den Mord an dem Georgier in Berlin wird die russische Regierung genannt. Außenminister Maas droht mit weiteren Strafmaßnahmen.

Von Frank Jansen

Den deutsch-russischen Beziehungen droht eine weitere Belastungsprobe. Die Bundesanwaltschaft hat am Donnerstag Anklage erhoben gegen den Russen Vadim Krasikov alias „Vadim Sokolov“, der am 23. August 2019 im Berliner Stadtteil Moabit den tschetschenischen Georgier Zelimkhan Khangoshwili erschossen haben soll.

In der rund 70 Seiten umfassenden Anklage wirft die Bundesanwaltschaft dem Putin-Regime vor, für den Mord verantwortlich zu sein. "Staatliche Stellen der Zentralregierung der russischen Föderation" hätten den Auftrag erteilt, den Georgier zu "liquidieren", heißt es.

Der russische Botschafter in Deutschland, Sergej Netschajew, wiederholte am Donnerstag die Position des Kremls, die Anschuldigungen würden durch keinerlei Fakten und Beweise gestützt. Das ganze erinnere an die „Geschichte mit den so genannten russischen Hackern“ auf den Bundestag und deutsche Behörden, hinter den den russische Geheimdienste stehen sollen, sagte Netschajew. Auch diese Vorwürfe weist Moskau zurück.

Die Bundesanwaltschaft nennt das Opfer in der Anklage „Tornike Kavtaradze“. Khangoshwili war mit dem Tarnnamen in Deutschland eingereist, um sich vor einem russischen Angriff zu schützen.

Nach der Anklage wegen des Mords an dem Georgier hat Außenminister Heiko Maas Russland mit weiteren Strafmaßnahmen wegen des Falls gedroht. „Die Bundesregierung behält sich weitere Maßnahmen in diesem Fall ausdrücklich vor“, sagte Maas am Donnerstag in Wien.

Der Anschlag hatte schwere Irritationen im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und Russland ausgelöst. Die Bundesregierung wies im Dezember zwei Mitarbeiter der russischen Botschaft aus. Die Männer waren für den russischen Militärgeheimdienst GRU tätig. Russland antwortete mit der Ausweisung von zwei Diplomaten der deutschen Botschaft in Moskau.

Zwei russische Geheimdienstleute ausgewiesen

Als einen Beleg für einen Mord im Auftrag des russischen Staates nennen Sicherheitskreise unter anderem den Pass, den Vadim Krasikov in Berlin bei sich führte. Das Dokument mit dem falschen Namen Sokolov entspricht Pässen, die russische Agenten bei früheren Aktionen nutzten. Den Pass auf den Namen Vadim Sokolov hatte die Einwanderungsbehörde im russischen Bryansk am 18. Juli 2019 ausgestellt. Deshalb geht die Bundesanwaltschaft davon aus, dass Stellen des russischen Staates vor dem 18. Juli den Auftrag zur Tötung von Khangoshwili erteilten.

Die Bundesanwaltschaft wirft Vadim Krasikov Mord und einen Verstoß gegen das Waffengesetz vor. Der Russe hatte sich im Kleinen Tiergarten auf einem Fahrrad dem Opfer genähert. Krasikov schoss mit einer Pistole der Marke Glock 26 mit aufgeschraubtem Schalldämpfer Khangoshwili in den Oberkörper und dann zweimal in den Kopf. Der Georgier war sofort tot.

Der mutmaßliche Mörder. Vadim Krasikov auf einem Foto der Polizei
Der mutmaßliche Mörder. Vadim Krasikov alias Vadim Sokolov auf einem Aufruf der Polizei zu Hinweisen nach dem Attentat in Moabit.

© Polizei

Zeugen beobachteten, wie Krasikov das Fahrrad und einen Beutel in die Spree warf. Kurz darauf konnte die Polizei den Russen festnehmen, er war auf einem Motorroller unterwegs. Krasikov bestritt, etwas mit dem Mord zu tun zu haben. Danach sagte er bis heute nichts mehr.

Russland hielt das Opfer für einen Terroristen

Aus Sicht der Ermittler wurde der 40-jährige Khangoshwili getötet, weil er für das Putin-Regime ein unangenehmer Gegner war. Der Georgier hatte zwischen 2000 und 2004 im zweiten Tschetschenienkrieg an der Seite der Rebellen gegen die russische Armee gekämpft.

Im kurzen Kaukasuskrieg 2008 zwischen Georgien und Russland führte er eine Truppe georgischer Freiwilliger. Khangoshwili soll zudem für georgische und US-amerikanische Nachrichtendienste tätig gewesen sein. Für die russische Regierung war der Mann ein Terrorist.

Khangoshwili überlebte 2015 in der georgischen Hauptstadt Tiflis nur knapp ein Attentat, ein unbekannter Täter hatte auf ihn geschossen. Der Georgier setzte sich in die Ukraine ab, 2016 kam er nach Deutschland und beantragte Asyl.

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Die deutschen Behörden stuften ihn zunächst als islamistischen Gefährder ein, Anlass waren russische Behauptungen über Verbindungen Khangoshwilis zur Dschihadistenszene. Belegen ließ sich das jedoch nicht, der Georgier konnte in der Bundesrepublik bleiben.

Der Mörder hatte wahrscheinlich Komplizen

Sicherheitskreise vermuten, Khangoshwilis Mörder habe nicht alleine gehandelt. Vadim Krasikov habe vermutlich die Tatwaffe von einem bislang unbekannten Komplizen erhalten, heißt es.

Außerdem sei zu vermuten, dass Khangoshwili ausgespäht wurde, bevor Vadim Krasikov in Berlin eintraf. Der Russe war am Tag vor der Tat von Warschau nach Berlin gekommen. Womöglich hatte er in Warschau die Pistole Glock bekommen.

Für den Anschlag auf Khangoshwili könnte ein ganzes Team verantwortlich sein, sagen Sicherheitskreise. Es sei auch nicht auszuschließen, dass es für solche Attentate eine russische „Struktur“ in Deutschland und weiteren europäischen Ländern gebe.

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