zum Hauptinhalt
Sie haben gerade Hochkonjunktur - Mietweihnachtsmänner. Aber wer ein guter Weihnachtsmann sein will, sollte so einiges beachten.

© dpa

Schulung für den Weihnachtsmann: Wichtig: Auf keinen Fall klingeln!

Was macht eigentlich ein Miet-Weihnachtsmann? Und worauf sollte er alles achten? Eine Einführung in die Kunst, Kinderaugen zum Glänzen zu bringen.

Wichtig: Auf keinen Fall klingeln! Der Weihnachtsmann klingelt nicht! Er klopft, und zwar kräftig. Andreas Penski in vollem Ornat – schwarze Stiefel, schwarze Hose und roter Mantel mit weißem Pelzbesatz – beugt sich zur Seite und schlägt die Faust gegen die Holzvertäfelung des Hinterzimmers: Pock! Pock! Pock! Klingt ehrfurchtgebietend, und genau das soll es auch. Andreas Penski richtet sich wieder auf. Schaut mit freundlichem Ernst in die Runde. Ein Mann von Ende 50 vielleicht, kurzes graues Haar, grauer Schnauz. Obwohl, das mit dem Alterschätzen ist bei Weihnachtsmännern natürlich schwer. Sobald man einen roten Mantel trägt, verändert sich etwas, das Alter tritt in den Hintergrund und etwas anderes, Zeitenthobenes drängt nach vorn. Sollte es zumindest.

Und genau deshalb sind wir hier, in einem kroatischen Lokal im tiefsten Steglitz: zur Schulung in der Kunst des Weihnachtsmannverkörperns, veranstaltet von der Berliner Weihnachtsmannzentrale, die ihr winziges Büro in einem Trödelladen gegenüber hat. Mehr als 800 Auftritte vermittelt die Agentur jedes Jahr, bis zum Schluss werden Weihnachtsmänner gesucht.

„Zieht Eure Armbanduhren aus!“

Aber worauf kommt es an? Wie bringt man Kinderaugen zum Leuchten? Und was sollte man während der Performance lieber bleiben lassen? Rund zehn Neuweihnachtsmänner sind zur Schulung auf den letzten Drücker gekommen. Studenten, ein Altachtundsechziger mit natürlichem Bart, Männer im besten Alter, die zu allem, was Andres Penski sagt, wissend nickend, als seien sie alte Hasen. Es sitzen auch drei junge Frauen am Tisch, denn bei der Agentur kann man auch „Weihnachtsmann mit Engel“ buchen. Aber zu den Engeln und der Frage, wie sie während der Performance das „Goldene Buch“ halten, kommt Andreas Penski später.

Erst einmal die Basics. Der Weihnachtsmann ist eine positive Figur, die aus der Ewigkeit kommt. Deshalb: „Zieht Eure Armbanduhren aus. Digitaluhren, die beim Geschenkeverteilen unter dem Ärmel hervorschauen? Das geht nicht!“ Andererseits muss der Miet-Weihnachtsmann am Heiligabend natürlich ständig die Zeit im Kopf behalten. So ein Bescherungsauftritt mit Gedichtaufsagenlassen darf gerade nicht ewig dauern, „sonst zerhaut es euch die ganze Tour.“ Man rechnet: fünf Minuten Basiszeit pro Auftritt, plus fünf Minuten für jedes Kind. Während die Kinder mit Geschenkpapieraufreißen beschäftigt sind, sich im Flur von den Eltern schnell bezahlen lassen und dann ab ins Auto gesprungen und weiter zum nächsten Auftrag, zehn oder zwölf sind es innerhalb weniger Stunden. „Aber aufpassen, dass ihr beim Autotürzuschlagen nicht den Mantel einklemmt. Das gibt hässliche Spuren.“

Es meldet sich ein Mann um die 40. Er ist etwas später gekommen und sitzt am Nachbartisch. „Sollte man nicht, während man unterwegs ist, einen Umhang tragen, damit man auf der Straße als Weihnachtsmann nicht erkannt wird?“ Für einen Moment weiten sich Andreas Penskis Augen. Er arbeitet schon sieben Jahre für die Agentur, davor hat er im Bekanntenkreis den Weihnachtsmann gegeben, hat also wirklich Erfahrung. Jetzt schaut er den Fragenden an, als hätte der das Entscheidende nicht verstanden, als ginge es bei diesem wunderbaren Job-für-einen-Tag wirklich nur um die 300 oder 400 Euro. Man erwartet schon ein Donnerwetter, doch stattdessen sagt Penski mit sonorer Stimme: „Im Gegenteil. Man soll dich erkennen! Du bist der Weihnachtsmann! Und zwar für alle! Und deshalb hast du am besten auch immer Bonbons in der Manteltasche, und wenn jemand auf der Straße ruft: ,Hallo, Weihnachtsmann, hast du auch was für mich?’, dann sagst du: ,Ja, natürlich!’, wünschst ihm ,Frohe Weihnachten’ – und gibst ihm einen Bonbon. Und ich verspreche dir: Er ist selig.“

Alle nicken andächtig. Es geht darum, Glück zu schenken und dabei selbst ein wenig glücklicher zu werden. Und erst danach darum, mit einer ungewöhnlichen Sache etwas Geld zu verdienen.

„Geschenke gibt’s erst zum Schluss!“

Die Bonbons sind übrigens auch während der Bescherung immens wichtig. Also: Der Weihnachtsmann steht im Wohnzimmer der Auftraggeberfamilie. Die Kerzen brennen, alle sind schön angezogen und schauen ihn erwartungsfroh an. Der Weihnachtsmann hat den Sack mit den Geschenken neben sich und sein goldenes Buch in der Hand. Er sagt zum ältesten Kind: „Du bist sicher der Moritz, oder?“ Moritz staunt und nickt. „Hier in meinem Buch steht, dass du gern ein Gedicht aufsagen magst.“ Moritz staunt und nickt und sagt das Gedicht auf. „Und dann? Was passiert dann?“ Andreas Penski schaut in die Runde, genauso gütig, wie er während seines Auftritts wohl Moritz anschauen würde. „Dann gebt ihr Moritz auf keinen Fall ein Geschenk aus dem Sack. Denn das würde er sofort aufreißen, und die Situation wäre dahin. Ihr müsst immer an eines denken: Während dieser Viertelstunde seid ihr der Chef. Geschenke gibt’s zum Schluss! Erst einmal kriegt Moritz zur Belohnung ein Bonbon. Das steckt er sich in den Mund, während ihr euch seiner kleinen Schwester zuwendet. Von Groß nach Klein.“

Noch wichtiger als die Bonbons ist allerdings das Vorgespräch mit den Eltern. Telefonisch klärt der Weihnachtsmann Namen und Alter der Kinder. Wo vor der Bescherung die Geschenkübergabe stattfindet und ob ein Jutesack vorhanden ist. Ganz wichtig sind die Zusatzinformationen zu jedem Kind. Was es gut kann und in welchem Bereich sich die Eltern vielleicht etwas Besserung wünschen. Aber Vorsicht: „Wir sind kein Erziehungsersatz! Unsere Aufgabe ist es nicht, das in Ordnung zu bringen, was die Eltern das ganze Jahr über verbockt haben. Wir sprechen jedes Kind höchstens auf eine Sache an. Spielerisch. Wir strafen nicht. Der Weihnachtsmann ist eine positive Figur.“

„Nie hinsetzen! Sitzen schadet der natürlichen Autorität.“

Trotzdem muss Andreas Penski auch zur Sprache bringen, was während so einer Tour weniger positiv verlaufen kann. Was, wenn sich der Auftraggeber nicht an Absprachen hält? Wenn statt der zwei angekündigten Kinder, plötzlich vier vorm Weihnachtsbaum sitzen? Wenn bei der Geldübergabe weniger als abgesprochen im Umschlag steckt? Er guckt zerknirscht. Eigentlich ist er ja nur der Ersatzschuler. Normalerweise führt Frank Knorre, Gründer der Weihnachtsmannzentrale und Oberweihnachtsmann von Berlin, diese Lehrstunden durch, aber Knorre liegt nach einer Operation im Krankenhaus.

„Frank hat eine klare Regel“, sagt Penski. „Der Weihnachtsmann streitet sich am Heiligen Abend nicht um Geld. Er ist und bleibt der Gute. Er beißt in den sauren Apfel und fällt nicht aus der Rolle. Natürlich nehmen wir von dieser Familie im nächsten Jahr keinen Auftrag mehr an.“

Schließlich greift Andreas Penski neben sich nach dem schneeweißen Bart mit Gummizug und legt ihn an. Er nimmt die Lockenperücke, setzt sie auf und stülpt sich zum Schluss die Weihnachtsmannkapuze über den Kopf. Der Bart verschiebt sich, als würde Penski lächeln. „Und noch etwas“, spricht er hinter dem Bart hervor. „Nie hinsetzen! Sitzen schadet der natürlichen Autorität.“

Und dann steht der Weihnachtsmann eine Weile einfach da. In Rot und Weiß, in seiner ganzen Pracht. Auf dass seine Erscheinung in Ruhe betrachtet und seine Autorität und alles, was mit ihr verbunden ist, still auf die Novizen übergehen kann. Auf dass sie dieses Hinterzimmer anders verlassen, als sie es betreten haben.

Zur Startseite