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Berlin: Schulen in Ost-Berlin: Hauptfach: DDR-Nostalgie

Die einen nennen es "DDR-Nostalgie", die anderen "Demokratie-Defizit": Zwölf Jahre nach dem Mauerfall diagnostizieren Schulräte und Lehrer immer noch ein großes Maß an altem Denken bei den Pädagogen in einigen Ost-Berliner Schulen. Jetzt hat sich ein bunt gemischter Kreis von Schulleuten an die Öffentlichkeit gewandt, um auf das Problem aufmerksam zu machen.

Die einen nennen es "DDR-Nostalgie", die anderen "Demokratie-Defizit": Zwölf Jahre nach dem Mauerfall diagnostizieren Schulräte und Lehrer immer noch ein großes Maß an altem Denken bei den Pädagogen in einigen Ost-Berliner Schulen. Jetzt hat sich ein bunt gemischter Kreis von Schulleuten an die Öffentlichkeit gewandt, um auf das Problem aufmerksam zu machen. Der "Ost-West-Arbeitskreis" fordert eine bessere Durchmischung der Kollegien und mehr Fortbildungen, um die folgenden Generationen vor Infiltration durch das "Wertesystem der DDR" zu bewahren.

"Man bekommt es mit Totschweigen nicht hin", lautet das Resumee von Karla Werkentin. Die langjährige Grünen-Politikerin aus Schöneberg leitet eine Oberschule in Weißensee und beobachtet eine zunehmende "Verklärung" der DDR-Verhältnisse und der DDR-Schule. Wenn man jetzt nicht mit Diskussionen und Fortbildungen gegenhalte, lasse sich die "Legendenbildung" über eine DDR-Schule, die angeblich "doch gar nicht so schlimm war", nicht verhindern.

Das Beispiel Karla Werkentin zeigt, dass es keineswegs nur CDU-Leute und frustrierte DDR-Oppositionelle sind, die Alarm schlagen. Zu der genannten Arbeitsgruppe, die sich schon im Frühling vergangenen Jahres an Schulsenator Klaus Böger (SPD) wandte, gehört auch der inzwischen pensionierte Landesschulamtsleiter Wilfried Seiring, der noch immer enge Kontakte zu vielen Schulen pflegt und das TU-Institut für die Ausbildung der Lebenskunde-Lehrer leitet.

SPD-Mitglied Seiring war einst auf der Seite jener, die sich nach der Wende für eine großzügige Integration der DDR-Lehrer in das Gesamtberliner Schulsystem eingesetzt hatte. Heute sagt er: "Unsere Liberalität wurde nur zum Teil belohnt". Er hatte erwartet, dass sich die Pädagogen dankbar in die neue Freiheit stürzen und zu Vermittlern der Demokratie würden. Doch stattdessen sei eine "Relativierung und Verklärung der DDR-Schule" gang und gäbe.

Mit Schrecken sieht Seiring, dass "DDR-tradierte Weltbilder" an die Schüler vermittelt werden - dass man "an den Tag der Republik denkt, aber eben nicht an den Tag der Deutschen Einheit". Seiring, Werkentin und ein gutes Dutzend weiterer Schul-Fachleute hatten sich Ende 1999 auf Initiative der Oberschulrätin Christine Sauerbaum-Thieme in der Arbeitsgruppe Ost-West zusammengefunden und eine Bestandsaufnahme versucht. Sie trugen in unzähligen Gesprächen mit Ost-Lehrern und Ost-Schulleitern Beispiele zusammen, um das Problem zu veranschaulichen (s. unten).

Auffällig ist, dass nur wenige Fälle an die Öffentlichkeit kommen. "Wir haben Angst, dass wir dann im Kollegium isoliert werden", begründete eine Schulleiterin aus dem Ost-Teil im Gespräch mit dem Tagesspiegel ihr Schweigen. Allgemein bekannt wurde lediglich das Schicksal des Tempelhofer Lehrers Peter Klepper, der ebenfalls im Ost-West-Arbeitskreis aktiv ist. Er war nach der Wende voller Elan an ein Lichtenberger Gymnasium gegangen, wo er sich für die Umbenennung der Schule zu Ehren Robert Havemanns einsetzte. Das erzeugte Diskussionen, an deren Ende Klepper wegen "Störung des Schulfriedens" im März 1993 vorzeitig in den Westen zurückversetzt wurde.

Der zuständige Lichtenberger SPD-Stadtrat und seine Schulrätin Marion Weigelt gingen bei Kleppers Versetzung so rabiat vor, dass sich die Wochenzeitung "Die Zeit" an "schlimmste DDR-Zeiten" erinnert fühlte. Die "Taz" diagnostizierte ein "Trauerspiel um Schule und Demokratie". Für den damaligen CDU-Schulsenator Jürgen Klemann war der Fall ein Schlüsselerlebnis auf dem Weg zum Landesschulamt: Er entmachtete die Volksbildungsstadträte, damit es keinen weiteren Fall wie den Kleppers geben sollte.

Kleppers Lust an der politischen Standortbestimmung ist durch seine Erfahrungen in Lichtenberg eher noch größer geworden. Er organisiert mit Vorliebe Diskussionsveranstaltungen an seinem Tempelhofer Gymnasium und zuletzt auch eine Spendenaktion für die Opfer des Terror-Anschlags von New York. Zurzeit gilt seine Hauptsorge allerdings Ulrich B., einem Lehrer des Lichtenberger Pestalozzi-Gymnasiums, der sich gemobbt fühlt. Der Pädagoge hatte ebenfalls eine Spenden- und Solidaritätsaktion für Amerika angeregt, woraufhin ein Kollege mit einem US-feindlichen "Thesenanschlag" im Lehrerzimmer reagierte.

B., der in der DDR politisch verfolgt wurde, war über die Thesen und darüber, dass sie unbeanstandet tagelang im Lehrerzimmer hängen konnten, so empört, dass er Klepper informierte, der das Ganze öffentlich machte. Nun steht B. am Schul-Pranger, die zuständige Schulrätin heißt immer noch Marion Weigelt, ist aber inzwischen dem Landesschulamt untergeordnet, und wollte gestern am späten Nachmittag eine Aussprache im Kollegium herbeiführen. "Die Situation wäre anders, wenn im Kollegium auch einige Kollegen aus dem West-Teil säßen", ist sich Klepper sicher.

Der Arbeitskreis nennt deshalb die stärkere Ost-West-Durchmischung der Kollegien als wichtigsten Verbesserungsvorschlag auf dem Weg zu einer demokratischeren Schule. Erst danach folgen Empfehlungen wie die forcierte Fortbildung für Lehrer. Zudem fordern sie, dass Abiturarbeiten bezüglich der darin enthaltenen "Tradierung des Wertesystems der DDR" systematisch ausgewertet werden. Und sie verlangen, dass Staat und Weltanschauungsgemeinschaften bei den Vorbereitungen zur Jugendweihe stärker getrennt agieren.

Wie positiv sich eine Ost-West-Mischung auswirkt, zeigen Beispiele wie das Pankower Rosa-Luxemburg-Gymnasium. Es hat weit über den Bezirk hinaus einen guten Ruf als lebendige, qualitätsbewusste Schule. Leiter Ralf Treptow spricht von einer "sehr angenehmen Zusammenarbeit". Ob jemand aus Ost oder West komme, sei "nicht mehr von Interesse". Ähnliches hört man aus der Robert-Havemann-Schule in Buch. Der aus dem Westen stammende Studiendirektor Dieter Woltmann beobachtet, dass sich in den letzten Jahren viel getan hat. Die Bereitschaft, sich kritisch mit der DDR-Geschichte zu befassen, sei gewachsen. Politische und fachliche Unterschiede gebe es noch, "aber sie beginnen zu verschwimmen".

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