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Die Helferinnen. Schülerpatin Sabine Achilles (l.) und Vereins-Geschäftsführerin Charlotte Schippmann.

© Frank Bachner

Zielgruppe sind arabische Kinder und Jugendliche: Berliner Verein vermittelt Patenschaften für Hausaufgaben und Freizeit

Der Verein Schülerpaten vermittelt Ehrenamtliche mit Kindern, vor allem aus arabischen Familien. Nachhilfe ist nur ein Teil des Konzepts.

Auch in diesem Jahr bittet der Tagesspiegel bei der Weihnachtsaktion „Menschen helfen!“ um Spenden der Leser und Leserinnen. Wie bei jeder Spendenrunde wollen wir auch mit der 29. Aktion bei jenen Problemen und Krisen helfen, über die wir im Jahresverlauf öfter berichtet haben: Corona-Pandemie, Obdachlosigkeit in Berlin, Klimakrise weltweit, humanitäre Krise in Afghanistan.

Wir stellen in unserer Spendenserie zu „Menschen helfen!“ 2021/22 einige Projekte stellvertretend für alle 42 vor, für die wir Gelder sammeln. In dieser Folge: Schülerpaten e.V. Berlin.

Dachsparren? Was, verflixt, sind Dachsparren? Wie soll sie denn um Himmels Willen ausrechnen, wie lange Dachsparren bei einem Hausbau sein müssen, wenn sie nicht mal das Wort kennt? Haneen ist seit sechs Jahren in Deutschland, geflohen mit ihren Eltern aus Syrien, sie hat schon einiges drauf, aber Dachsparren? Nie gehört.

Also klärte Sabine Achilles die 15-Jährige auf. Damit war das Problem gelöst, Haneen, die Neuntklässlerin von der Hufelandschule in Buch, konnte ihre Mathematik-Hausaufgaben lösen. Dabei ist Mathe eigentlich nicht gerade das Lieblingsfach von Sabine Achilles, in Englisch ist sie viel besser, sie hat ja zehn Jahre in englischsprachigen Ländern gelebt. Also erzeugt ihr Nachhilfeunterricht in Englisch die größten Fortschritte „Ich habe mich in Englisch sehr verbessert“, sagt Haneen, „ich hatte früher Angst zu reden, aber jetzt ist das anders, jetzt habe ich mehr Selbstbewusstsein.“ Zwischenziel erreicht.

Corona war eine Zäsur für Sabine Achilles, sie ist aus ihren Job als E-Commerce-Managerin ausgestiegen, sie suchte eine sinnvolle Ehrenamtsaufgabe, sie fand den Verein „Schülerpaten“, nun betreut sie seit Dezember 2020 die 15-jährige Haneen und hilft ihr wöchentlich bei den Hausaufgaben oder bereitet sie auf Tests vor.

Für die Schüler ist das Lob der Paten motivierend

Eine von insgesamt 230 Paten und Patinnen des Vereins. In einem Besprechungsraum der „Schülerpaten“ im Kulturzentrum „Alte Münze“, sitzt Charlotte Schippmann und sagt: „Für die Kinder und Jugendlichen ist es sehr motivierend, wenn ein Erwachsener jede Woche kommt und sich nur für sie interessiert. Und es ist motivierend, wenn sie Lob erhalten.“

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Die Historikerin Schippmann ist Geschäftsführerin der „Schülerpaten“, bei ihr laufen alle Fäden zusammen. „Unsere Zielgruppe sind Kinder und Jugendliche aus dem arabischen Raum. Derzeit kümmern wir uns vor allem um Syrer“, sagt sie.

Es sind Schüler aus Haushalten mit finanzieller Bedürftigkeit, bei denen die Eltern bei Schulaufgaben nicht helfen können, weil sie kein Deutsch sprechen oder noch viele andere Kinder haben. Haneen etwa hat sieben Geschwister. Der Verein hilft aber auch alleinerziehenden Müttern, die knapp über der Sozialhilfe liegen.

Einer der Maßstäbe für die Bedürftigkeit ist der Besitz des Berlin-Passes, viel tiefer forschen die Vereins-Verantwortlichen nicht nach der finanziellen Situation der Eltern. Viel wichtiger sind andere Punkte. Sind die Kinder motiviert? Ziehen die Eltern mit? Sind sie vom Konzept überzeugt? Stimmen sie zu, dass der jeweilige Pate auch mit dem Kind Ausflüge macht, um das Vertrauen zu stärken und die Motivation zum Lernen zu vergrößern?

Der Verein lehnt Kinder ab, die nur auf Druck der Eltern kommen

Ein Kind, das nur auf Druck seiner Eltern eine Lesepaten nähme, lehnt der Verein ab. „Aufgabe von Ehrenamtlern ist es nicht, Motivationsblockaden zu durchbrechen“, sagt Charlotte Schippmann. „Wir unterstützen nicht die größten Härtefälle, weil es da keine Aufsicht auf Erfolg gibt.“

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Um solche Härtefälle frühzeitig zu identifizieren, findet auch ein persönliches Gespräch mit dem Kind statt, ohne Eltern. Da kommt dann schnell heraus, ob das Kind einen Lesepaten nur wegen Papa und/oder Mama akzeptierte.

Aber wenn die Chemie stimmt, dann sind die Erfolge schnell da. Haneen hatte schon vor Sabine Achilles eine Patin, eine Studentin, aber die musste dann aus zeitlichen Gründen ihr Ehrenamt abgeben. 80 Prozent der Paten sind jünger als 30 Jahre, viele studieren und wechseln später in einen beruflichen Alltag.

In der Regel bleiben Paten knapp zwei Jahre bei ihrem jeweiligen Schüler

In der Regel bleiben Paten knapp zwei Jahre bei ihrem jeweiligen Schüler. Haneen wollte unbedingt einen neuen Paten, ihr Vater kümmerte sich darum, so kam Sabine Achilles ins Spiel.

Sie sprach lediglich einmal mit den Eltern, das genügte für den Eindruck, dass die hinter dem Konzept Patenschaft stehen. Nicht überraschend, sie kannten es ja schon. „Wenn ich zur Nachhilfe zu Haneen kam“, sagt Achilles, „hat die Familie das Wohnzimmer freigeräumt. Das ist so ein Zeichen der Wertschätzung für meine Arbeit und die von Haneen.“

Die größte Baustelle war Englisch, für Sabine Achilles die einfachste Herausforderung. Sie besorgte sich Bücher mit Tiermotiven und Alltagsgegenständen, so war es einfach, Vokabeln zu lernen.

Normalerweise findet das Lernen bei den Schülern statt

Seit Monaten findet die Nachhilfe allerdings bei der Patin statt, dort ist ein ruhiges Lernen schlicht einfacher. Der Normalfall ist das nicht, die Paten sollen eigentlich ganz bewusst zu Hause bei den Kindern lernen. „Dann erhält der Paten einen Eindruck von der Familie“, sagt Charlotte Schippmann. „Gibt es dort Orte zum Lernen? Läuft den ganzen Tag der Fernseher?“

Die Schüler sollen ja strukturell in der Lage sein, vernünftig zu lernen. Nachhilfe ist nur ein Teil des Konzepts. „Die Patenkinder sollen lernen, dass sie einen ruhigen Ort zum Arbeiten benötigen“, sagt Schippmann. Notfalls gehen sie in die Bibliothek, dort haben sie ihre Ruhe.

Die Paten spüren sofort den übertriebenen Druck der Eltern

Vor allem spüren Paten bei ihren Hausbesuchen sofort, wenn die Eltern zu viel Druck auf ihre Kinder ausüben. „Einige Eltern haben vielleicht überzogene Erwartungen an die Möglichkeiten und die Erfolge der Patenschaft“, sagt Charlotte Schippmann. „Aufgabe der Paten ist es dann, diesen Druck von den Kindern zu nehmen und Eltern entsprechend zu informieren.“

In einem Fall musste der Pate sogar die Mutter zu einer Beratungsstelle vermitteln, weil der Vater ihr gegenüber psychische Gewalt ausgeübt hatte. „Aber das“, sagt Schippmann, „ist die absolute Ausnahme.“

Haneen möchte Innenarchitektin werden

Haneen und Sabine Achilles stehen für die Regel. „Ich finde es gut, dass Haneen so aufgeweckt und motiviert ist“, sagt die Patin. Die 15-Jährige sitzt neben ihr, sie nickt zufrieden und sagt: „In Ethik stehe ich auf einer Eins und in Kunst auch. Ich kann sehr gut zeichnen.“ Innenarchitektin hatte sie vor ein paar Monaten als Berufswunsch. Oder „mit Menschen arbeiten, das macht mir auch viel Spaß“. Bald wird ein dreiwöchiges Schülerpraktikum in einer Kita absolvieren. 

[Das Spendenkonto: Empfänger: Spendenaktion Der Tagesspiegel e.V., Verwendungszweck: „Menschen helfen!“, Berliner Sparkasse BIC: BELADEBE, IBAN: DE43 1005 0000 0250 0309 42]

Allerdings muss sie für solche Berufswünsche erstmal einen vernünftigen Schulabschluss erreichen. „Wenn sie den Mittleren Schulabschluss schaffen will, muss sie noch etwas tun“, sagt Sabine Achilles, „das ist trotz aller Fortschritte noch Luft nach oben.“ Aber da lächelt Haneen nur gelassen. „Im Moment sage ich, dass ich den MSA locker schaffe, weil ich gut arbeite.“

Haneen und ihre Patin beteiligten sich an einer Schnitzeljagd durch Berlin

Zur Arbeit mit Sabine Achilles gehören auch die gemeinsamen Freizeitaktivitäten. „Ich halte das zeitweise für wichtiger als Nachhilfe“, sagt die Patin. Die Motivation zum Lernen wird gesteigert, und die Schüler entdecken auch ihre eigene Stadt. Es gibt Kinder, die bis zum 16. Lebensjahr nie aus ihrem Bezirk gekommen sind. Also beteiligten sich Haneen und ihre Patin an einer Schnitzeljagd. Die begann in der Friedrichstraße und endete am Fernsehturm, ein Riesenspaß für beide.

Diese Kombination aus Lernerfolgen und Freizeit-Impulsen spricht sich natürlich herum in der arabischen Community. Große Werbung müssen die Schülerpaten nicht machen. „Wir haben zehn Anfragen pro Woche“, sagt Charlotte Schippmann. „Die meisten würden in unser Konzept passen.“ Aber dazu fehlen ihr die entsprechenden Paten. Deshalb sucht der Verein auch ständig Ehrenamtler, die sich um die Schüler kümmern. „Wir haben eine Warteliste, die arbeiten wir ab“, sagt die Vereins-Geschäftsführerin.

Haneen kümmert sich derweil darum, ihre Kenntnisse bei der Berechnung der Ausmaße von Dachsparren zu verbessern. Durchaus erfolgreich. „Mein Mathelehrer sagt, dass ich sehr gut geworden bin“, sagt sie. Den Beweis schiebt sie sofort hinterher. „Für eine Mathe-Hausaufgabe habe ich eine Eins plus erhalten.“

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