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Maren Heinzerling, Gründerin von "Zauberhafte Physik" und Lothar Zühlke zeigen Physik-Versuche für Schüler und Schülerinnen.

© Thilo Rückeis

„Zauberhafte Physik“ an Berliner Schulen: Integratives Projekt fördert Physik-, Lese- und Rechtschreibunterricht

Das Projekt will mit einfachen, verblüffenden Experimenten Grundschüler für Physik interessieren. Mehr als 40 Schulen nehmen teil. Jetzt bilden sie auch Lehrer aus.

Lichtenrade war nicht angesagt, da hängen kaum Farbtupfer, in Köpenick auch nicht, und Buch ist ganz dürftig. In Buch steckt gerade mal ein blauer Punkt. Charlottenburg, Wedding, das waren die Hotspots, da schimmert es fast flächendeckend grün, blau und rot.

Jeder Farbtupfer ein bunter Stecknadelkopf. Maren Heinzerling hat den riesigen Stadtplan, der an ihrer Wand im Flur hängt, förmlich übersäht damit. Grün signalisiert Willkommensklassen, Rot gilt für die Schulen, die jede Woche Besuch erhielten, Blau steht für die Grundschulen, die kontaktiert wurden. Frohnau war mal ein Hotspot, aber nach Frohnau, sagt Maren Heinzerling, während sie neben der Karte steht, „gehen wir nicht mehr. Dort sind die Schulen gut ausgestattet“.

Gut ausgestattet sind andere Bezirke auch, aber in Frohnau, will sie damit sagen, haben die Schüler offenbar einen besonders guten Zugang zur Physik, dort braucht man Maren Heinzerling und ihr Projekt „Zauberhafte Physik“ nicht mehr.

Aber Hunderte anderer Grundschüler haben durch sie und ihre Helfer diesen Zugang erhalten. Sie haben einfache, verblüffende Experimente gemacht, mit tanzenden Bleistiften, schwebenden Postkarten und Münzen am Abgrund. Sie betraten spielerisch jene Welt, die Kindern unendlich Spaß macht. Sie staunten über Aktionen, die ihnen wie Zauberei vorkamen. „Ich will Grundschulkinder für Physik begeistern“, sagt Maren Heinzerling.

Sie ist jetzt 81, eine elegante, überaus selbstbewusste Dame, früher internationale Vertriebsleiterin bei einem Konzern, die immer noch so begeistert von ihrem Projekt redet, als hätte sie es gestern erst erfunden. In Wirklichkeit tauchte die Maschinenbau-Ingenieurin im Februar 2007 erstmals mit ihrem Experimentierkasten in einer Schule auf, der Schinkel-Grundschule in Charlottenburg. Sie ist Mitglied des Deutschen Akademikerinnenbundes, der auch ins Projekt eingebunden ist.

Schwerpunkt auf die Fortbildung von Lehrkräften

Inzwischen besteht das Team von „Zauberhafte Physik“ aus 18 Mitarbeitern. Paten des Projekts haben mehr als 40 Grundschulen, viele davon regelmäßig, und mehr als 30 Willkommensklassen besucht. Dass bestimmte Gegenden eher selten Besuch erhielten, hat auch viel mit den Fahrtwegen für die Paten zu tun.

Die Schwerpunkte haben sich allerdings geändert. Die Paten, überwiegend Ingenieure, aber auch drei Lehrer und alle Rentner, besuchen nur noch, auf Anfrage, vier Grundschulen regelmäßig, „Zauberhafte Physik“ konzentriert sich jetzt vor allem auf die Fortbildung von Lehrkräften. Die sollen ja vor allem den Kindern die Physik nahebringen.

Tanzende Bleistifte und schwebende Postkarten

„Wir bringen ihnen das Konzept des Unterrichtsablaufs bei“, sagt Maren Heinzerling, „und sie dürfen natürlich selber experimentieren.“ Die Stunden bei Heinzerling gelten als offizielle Fortbildung, man muss sich anmelden. 20 bis 25 Grundschullehrer sitzen dann am Tisch und lernen alles über tanzende Bleistifte, schwebende Postkarten und Münzen am Abgrund. Gags für jede Party.

Kein Wunder, dass die Reaktionen vor allem positiv sind. Eine Lehrerin schrieb: „Mit einfachen Materialien kann man tolle Dinge machen. Eine positive Energie und Dynamik im Workshop.“ Neben Maren Heinzerling sitzt Lothar Zühlke, seit zehn Jahren Pate, Doktor der Chemie, ehemaliger Studiendirektor für Naturwissenschaften am Gabriele-von-Bülow-Gymnasium in Tegel. Der 73-Jährige leitet mit Maren Heinzerling die Workshops, auch er ist von den Rückmeldungen überwältigt. „Da kann man fast sentimental werden.“

Maren Heinzerling und er haben verschiedene Koffer mit Materialien zusammengestellt, die man für die Experimente benötigt. Einfache Dinge wie Lochzangen oder Unterlagsscheiben. Die Werkzeug-Kisten sind abgestuft, je nach Schwierigkeitsgrad der Experimente, angepasst an die Fähigkeiten der Schüler.

Vorgefertigte Werkzeug-Kisten wären Entlastung

Auf ihrer Website haben sie aufgelistet, was in den jeweiligen Koffer gepackt werden muss, allerdings müssen die Lehrer diese Materialien bislang selber kaufen. Das ist nicht schwierig, nur zeitaufwendig, deshalb suchen Zühlke und Maren Heinzerling eine Firma, die diese Kisten mit entsprechendem Inhalt produziert und anbietet. „Berlin hat einen Markt für ein paar tausend Kisten“, sagt Zühlke. Sie sind gerade am Verhandeln.

Für die Lehrer wären die Kisten eine Erleichterung. Dass das Konzept pädagogisch funktioniert, ist längst klar. Denn eigentlich ist die „Zauberhafte Physik“ eine Kombination aus Physik-, Lese- und Rechtschreibunterricht. Die Zeiten, in denen mehrere Paten im Unterricht mit den Kindern experimentiert haben, sind längst vorbei. Jetzt bilden Kinder jeweils ein Paar und basteln gemeinsam. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass dies wunderbar funktioniert“, sagt Zühlke.

Leicht verständlich und bebildert

Als Grundlage dienen den Schülern die Anleitungen, die sie erhalten, einfach geschrieben, mit vielen Bildern, in der Sprache abgestuft im Schwierigkeitsgrad. Außerdem werden alle Materialien ausgelegt und namentlich benannt. Auch damit lernen die Kinder einzelne Begriffe. „Jeder kann diese Experimente ohne Physikkenntnisse machen“, sagt Zühlke.

Sie haben sogar überlegt, die Anleitungen auf Türkisch oder Arabisch zu produzieren, sind dann aber wieder davon abgekommen. „Wir haben es nicht gemacht, weil wir mit Bildern und einfachen Sätzen arbeiten“, sagt Zühlke.

Vor allem bei Flüchtlingskindern sind die Experimente ausgezeichnet angekommen. Ein achtjähriger Afghane schrieb auf seinem Unterrichtsblatt, welche Begriffe er gelernt hat: „Schwerkraft, Fliehkraft, Experiment.“ Dazu malte er ein Bild mit seiner Versuchsanordnung. Ein gleichaltriger deutscher Junge notierte begeistert: „Es war sehr schön zu sehen, wie man so etwas herstellt.“

Unterricht fördert Integration

Und dazu, als wunderbarer Nebeneffekt, fördert der Unterricht auch die Integration. Zühlke beobachtete es an seiner Schule, dem Bülow-Gymnasium, wo er geflüchtete Jugendliche unterrichtete, 13 bis 17 Jahre alt. „Mädchen mit Kopftuch haben mit Jungs Zweierteams gebildet, die Zusammenarbeit hat wunderbar funktioniert. Da gibt es keine Abgrenzung.“

Wenn Schulleiter fragen, kommt die „Zauberhafte Physik“ immer noch in Willkommensklassen. Auch die Mütter der Flüchtlingskinder lernten die Experimente kennen, eine Flüchtlingsorganisation hatte die „Zauberhafte Physik“ angesprochen. „Die Mütter waren fantastisch“, sagt Zühlke. Sie konnten auf einfache Art Deutsch lernen und mit ihren Kindern zu Hause die Versuchsanordnungen nachspielen.

Projekt braucht Unterstützung

Aber Heinzerling und Zühlke benötigen Unterstützung, Spenden zum Kauf ihrer eigenen Materialien und neue  Paten. Schon aus Altersgründen können nicht mehr so viele Grundschulen wie früher besucht werden, die Paten werden ja nicht jünger, zudem gibt es die Idee, die „Zauberhafte Physik“ auch in Sekundarschulen anzubieten. Ohne personelle Verstärkung jedenfalls läuft wenig.

Immerhin, einen Neuzugang können sie schon registrieren. Ein Rentner, ehemaliger Kaufmann, der sich für Naturwissenschaften begeistert, hat sich gemeldet. Offenbar genau der richtige Mann. Wenn Maren Heinzerling von ihm erzählt, lächelt sie, als hätte sie ein neues Experiment erfunden. „Der ist richtig gierig.“

Kontakt: www.zauberhafte-physik.net. Spendenkonto: Deutscher Akademikerinnenbund, Sparkasse KölnBonn, Kennwort: Zauberhafte Physik, IBAN: DE 19370501980002792315

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