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St. Hedwigs-Kathedrale der Berliner Domgemeinde in Mitte. Sie soll nach Willen des Erzbistums Berlins umgebaut werden - ein Gericht hat den Plänen jetzt stattgegeben.

© Kai-Uwe Heinrich

Wie weit reicht das Urheberrecht?: Die Hedwigskathedrale darf umgebaut werden

Klagen von sechs Künstlern und ihren Erben wurden abgewiesen. Der Bau darf zwar nicht verändert werden - wohl aber zerstört, urteilte ein Gericht.

Von Fatina Keilani

Landgericht Berlin, Dienstag kurz vor zwölf. Die Verhandlung um den Umbau der Hedwigskathedrale ist in einen anderen Saal verlegt, den Gang hinunter, vorbei an einer Tür mit der Aufschrift „Kirchenaustritte“, Saal 0208. Vor der Tür drängen sich Zuhörer, Journalisten, die Parteien und Anwälte. Es geht hier nicht um Religion, aber eine Art Glaubenskrieg ist es doch: Bewahrer gegen Erneuerer.

Das Erzbistum Berlin möchte den Innenraum seiner Zentralkirche St. Hedwig am Bebelplatz neu gestalten. Das Werk des Architekten Hans Schwippert soll damit zerstört werden. Die sechs Kläger, Nachfahren und Erben der beteiligten Künstler,wollen das verhindern und haben dies schon im Januar vor dem Verwaltungsgericht versucht, indem sie gegen die denkmalrechtliche Genehmigung des Umbaus klagten – erfolglos. Nun haben sie es über das Urheberrecht probiert – vergeblich. Die Klagen wurden abgewiesen.

Der Vorsitzende Richter Claas Schaber, der die Sache vertretungsweise übernommen hatte, sagte zur Begründung: „Die Rechte des Eigentümers haben hier Vorrang.“ Das Werk werde vollständig zerstört, dies sei das Recht des Eigentümers. Um diese Frage war kurz gerungen worden.

Die Kläger, vertreten durch die Anwälte Lothar C. Poll und Paul W. Hertin, hatten angezweifelt, dass es sich bei dem geplanten Umbau um eine Totalzerstörung handele, denn Kuppel und Säulenarchitektur blieben vom Werk Hans Schwipperts ja übrig. „Eine Totalvernichtung werden wir nicht verhindern können“, das war auch Hertin klar, hier handele es sich aber nicht um eine solche: „Schwipperts architektonisches Werk wird grob entstellt.“

Damit drang er allerdings nicht durch. Kuppel und Säulen gab es schon, bevor die Kathedrale in den Fünfzigerjahren umgebaut wurde und ihr heutiges Aussehen bekam. „Eine Kuppel ist eine Kuppel, und die Säulen sind nötig für die Statik“, kommentierten die Anwälte des Erzbistums, Carl-Stephan Schweer und Felix Laurin Stang aus der Kanzlei Raue.

Vorwürfe der Täuschung und Trickserei

Das Urteil ist nicht rechtskräftig; Berufung zum Kammergericht wäre also möglich. Selbst wenn sie eingelegt wird, beeinflusst dies nicht den Baufortschritt. Kläger Horst Peter, Neffe und Alleinerbe Schwipperts, wollte sich noch nicht festlegen, ob er die nächste Instanz anruft. Er habe das Geld nicht und werde wohl aufgeben, sagte er. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Deutsche Stiftung Denkmalschutz übernommen.

Ein Demonstrant befestigt bei einer Protestwache ein Transparent mit der Aufschrift "Kulturvernichtung in St. Hedwig stoppen".
Ein Demonstrant befestigt bei einer Protestwache ein Transparent mit der Aufschrift "Kulturvernichtung in St. Hedwig stoppen".

© Jörg Carstensen/dpa

In der Verhandlung zeigte sich erneut, wie zerstritten die Lager sind. Die Nachfahren der Künstler fühlen sich übergangen. Man bezichtigte sich gegenseitig der Täuschung und Trickserei. Die Klägerseite behauptete in der Verhandlung, die Orgel sei abgebaut und verschrottet worden. Bistumssprecher Stefan Förner stöhnte leise auf und stellte nach der Verhandlung klar, das sei gelogen, die Orgel sei eingelagert und werde wieder eingebaut. Sie werde zuvor instandgesetzt.

Im vergangenen Herbst hatte es vorübergehend einen Baustopp gegeben, der aber kurz darauf vom Bezirk Mitte wieder aufgehoben wurde. Eine Baugenehmigung liegt noch nicht vor, wird aber in Kürze erwartet. Bisher seien nur bauvorbereitende Maßnahmen getroffen worden, sagte Förner. Dazu gehörte der Abbau des Altars. Die Bauarbeiten begännen erst mit Genehmigung.

Der zeitgeschichtliche Wert ist dem Urheberrecht egal

Der Innenraum der Kathedrale wurde geschaffen von Hans Schwippert, einem bekannten gesamtdeutschen Architekten, der in den Fünfzigern und Sechzigern sowohl in der DDR als auch in Westdeutschland baute. Er schuf unter anderem das Bonner Bundeshaus und einen der Türme im Hansaviertel.

Nur der Goldschmied Hubertus Förster war in den 1960er-Jahren noch direkt an der Gestaltung der Kathedrale beteiligt. Damals wurde die Kirche wiederaufgebaut - alle anderen Künstler wurden von ihren Rechtsnachfolgern vertreten.

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Förster betrieb einst die Goldschmiede, die das Tabernakel und das Vortragekreuz im Innenraum gestaltete. Von Fritz Kühn stammen das Kreuz auf der Kuppel sowie Geländer und Altarleuchter; sein Sohn Achim Kühn klagte. Die Bauhauskünstlerin Margarethe Reichardt schließlich war Textilgestalterin, von ihr stammen die Gobelins in der Kathedrale.

Der Umbau ist ein Projekt des Erzbischofs Heiner Koch

Denkmalpfleger und Kritiker im Erzbistum wenden sich vor allem dagegen, dass die zentrale Bodenöffnung mit einer Treppe zur Unterkirche beseitigt wird. Bei der Umgestaltung wird der Altar ins Zentrum der Rundkirche gerückt, um nach Angaben des Erzbistums Berlin besser nach den gegenwärtigen kirchlichen Vorgaben Gottesdienste feiern zu können.

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Kurz wurde auch die Frage gestreift, was „liturgisch zwingend“ sei - eigentlich kaum etwas. Die Kirche sieht den Umbau als Maßnahme zur Erhaltung des Denkmals, es solle ja kein Museum sein, sondern ein Ort lebendigen Glaubens. Das Umbauprojekt wurde schon unter Erzbischof Georg Kardinal Sterzinsky angeschoben, unter dessen Nachfolger Rainer Maria Woelki weitergeführt und vom amtierenden Erzbischof Heiner Koch vorangetrieben. Es wurden Experten gehört und Voten aller Gremien des Erzbistums eingeholt, die dem Projekt zustimmten. 

„Eigentümer haben das Recht, sich neu zu erfinden“

Nach Auffassung von Klägeranwalt Poll handelte es sich bei der Gestaltung des Innenraums von St. Hedwig durch Schwippert um ein Vorhaben, das von Ost und West als kleines, aber wichtiges gesamtdeutsches Projekt bewertet wurde. Ob ein Bauwerk zeitgeschichtliche Bedeutung hat, sei dem Urheberrecht egal, konstatierte das Gericht.

Wenn ein Werk die nötige Schöpfungshöhe erreiche, sei es geschützt. "Eigentümer haben das Recht, sich neu zu erfinden", urteilte das Landgericht jedoch. Wer ein urheberrechtlich geschütztes Kunstwerk besitzt, darf es zerstören, er darf es aber nicht verändern, denn das wäre eine Entstellung. Doch letzteres sei hier nicht der Fall, so die Kammer: „Von dem alten Werk wird nichts mehr übrig bleiben.“

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