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Welches Fach steht als nächstes auf dem Stundenplan?

© Monika Skolimowska/dpa

Was alles Schulfach werden soll: Weltrettung nach Stundenplan

Für fast jedes gesellschaftliche Problem gibt es eine Lösung. Sie ist ganz einfach: Ein neues Schulfach muss her! Eine kleine Auswahl.

Als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kürzlich zum Thema Europawahl interviewt wurde und dabei allerlei trübselige Diagnosen zur Lage des Kontinents und der Union stellen musste, erteilte er dennoch an einer überraschenden Stelle eine Absage. Und zwar war er gegen ein Pflichtschulfach Europa.

Das ist deshalb höchst bemerkenswert, weil es ansonsten zu einer Art lieb gewonnener Gewohnheit geworden ist, als Antwort auf jegliches Problem, das die Gesellschaft aufschreckt, ein entsprechendes Schulfach zu fordern. Auf dass das Übel bei der Wurzel gepackt und getilgt werde. Damit steht das Renommee von Schulfächern im krassen Widerspruch zum Image von Schule an sich, der ebenfalls gewohnheitsmäßig massive Qualitätsprobleme attestiert werden.

Das Statistikportal Statista beispielsweise hat Zahlen parat, nach denen 53 Prozent der befragten Frauen (Männer 41 Prozent) ein Schulfach Umweltschutz als Maßnahme zum Umwelt- und Klimaschutz bezeichnen, die „auf jeden Fall umgesetzt werden“ sollte. Ironischerweise haben nun allerdings die Schülerinnen und Schüler in Sachen Klimaschutz andere Ideen: Statt auf die Behäbigkeit eines Vorgangs zur Einrichtung eines neuen Schulfachs, setzten sie urplötzlich auf gar kein Schulfach und gingen zu den „Fridays for Future“-Streiks.

Brandenburg reagiert auf die zunehmende Zahl von Waldbränden wiederum ganz klassisch und will ein Wahlpflichtfach Brandschutz/Feuerwehr einführen.

Ein anderes Großthema der Neuzeit landete zuletzt 2017 in den Schlagzeilen, als der Ernährungsreport an den Tag gebracht hatte, dass die Deutschen nicht mehr richtig kochen können. Statt Gemüse garen, Fleisch braten oder Eintöpfe zaubern, stopfen sie Tiefkühlgerichte erst in den Ofen und dann in sich hinein. Das ist ungesund, macht tendenziell dick, hat eine miese Klimabilanz – und sollte darum dringend geändert werden. Wie? Keine Frage! Ein Schulfach „Gesunde Ernährung“ sollte es richten. Der damalige Bundesernährungsminister Christian Schmidt von der CSU war umgehend dafür, Starkoch Tim Mälzer auch. Die Organisation Foodwatch dagegen wollte nicht die Schulen sondern die Nahrungsmittelindustrie zu Neuerungen bewegen – geworden ist aus beidem nichts.

Immer wieder mal auf die Tagesordnung kommt das Schulfach Benehmen. Gegen den Sittenverfall allerorten und sonstige Frechheiten der nachwachsenden Generation. Das Fach wäre mehrheitsfähig, das ergab eine repräsentative Umfrage. Gar nicht repräsentativ untermauert schreckte 2015 Schülerin Naina die Republik mit einem höchst persönlichen Bekenntnis auf: „Ich bin fast 18 und hab’ keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann ’ne Gedichtsanalyse schreiben. In vier Sprachen“, twitterte sie und wurde sofort berühmt. Für die Vermittlung der viersprachigen Analysekompetenz fand sich nirgends Anerkennung, dafür stand umgehend fest, dass ein Schulfach Wirtschaft fehle. Vor allem die sogenannte Wirtschaft selbst hat daran Interesse, ihr gehen die dieserart ungebildeten Schulabgänger auf den Wecker.

Die hätten aber womöglich selbst viel mehr Interesse am Schulfach Glück. Das gibt es seit 2007 in einer Heidelberger Schule. „Die Schüler lernen, ihre Träume und Bedürfnisse wahrzunehmen“, erklärt seitdem der Erfinder und Oberstudiendirektor Ernst Fritz-Schubert allen Interessierten. Das klingt läppischer, als es ist, wie viele im Erwachsenenalter feststellen müssen, wenn sie wegen Burnout oder sonstiger Überforderungsleiden in diesen Fragen bei Psychotherapien Nachhilfestunden nehmen müssen. Vielleicht, weil die Heidelberger feststellten, dass glückliche Schüler besser lernen, wurde das Schulfach probeweise in sechs weiteren Bundesländern – darunter auch Berlin –auf den Stundenplan gesetzt. Im Glücklichsein eine Eins? Das wäre doch mal ein beneidenswerter Lernerfolg.

Aber meist geht es profaner zu. Auf dem Weg in die digitalisierte Welt ist der Ruf nach einem Schulfach Programmieren längst notorisch. Serienmäßig eingeführt ist es aller Plausibilität zum Trotz noch nicht. Es fehlt vor allem an denen, die das unterrichten könnten, die sind woanders beschäftigt. Und auf was für Geräten sollen die Schüler eigentlich Programmieren lernen? Ach ja, sie haben ja private Smartphones.

In Süderbarup kam vor neun Jahren das Schulfach Verbraucherbildung auf den Plan. Um die Schüler zu wappnen gegen die Tücken der modernen Konsumwelt. Es löste das Fach „Haushaltslehre“ ab, was in vielen Ohren antiquiert klingen dürfte wie Süderbarup fremd (es ist ein kleiner Ort am Nordrand von Schleswig-Holstein, was aber in das Fach Geografie gehört, an dem nichts neu wäre).

Neu ist dagegen die gesonderte Aufmerksamkeit, die Gewalt gegen Frauen erfährt. Für deren Bekämpfung und Verhütung hat der Europarat die sogenannte „Istanbul Konvention“ beschlossen, die Deutschland 2017 in Kraft gesetzt hat. Das animierte eine „taz“-Kolumnistin zur Forderung nach einem Schulfach Feministische Selbstverteidigung, in dem Mädchen lernen könnten, wie sie schon durch Attitüde und Körperhaltung Aggressoren auf Abstand halten können, auch ohne sich auf eine körperliche Auseinandersetzung einlassen zu müssen. Die Frage, „was machen Jungs in der Zeit?“, wurde nicht gestellt –„mit“, wäre vielleicht die beste Antwort. Ebenfalls von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung ist zweifellos der Umgang mit dem Tod und anderen persönlichen Katastrophen. Der bei „Wetten, dass...“ verunfallte Samuel Koch hat da vielen anderen manche Erfahrung und Erkenntnis voraus. Damit das nicht so bleibe, forderte er Anfang des Jahres bei der Vorstellung seines Buchs „Steh auf Mensch“ ein Schulfach Vorbereitung auf Leid, Krankheit und Sterben.

Um die restliche Zeit eines Menschenlebens in ungewissen und widersprüchlichen Umständen einigermaßen gefasst durchstehen zu können, braucht es neben Mathe, Chemie, Englisch & Co.: gute Nerven und ein stoisches Gemüt. Auch das will gelernt sein. Und so ploppte tatsächlich auch die Forderung nach einem Schulfach Ambiguitätstoleranz irgendwann mal auf. Ambiguitätstoleranz brauchte es auch, bis es in Berlin nach jahrelangen Diskussionen endlich geschafft war, Politik als eigenständiges Fach ab der siebten Klasse einzuführen. Dass dies nötig sei, fanden eigentlich alle, aber Unterrichtszeit dafür abgeben wollten die Vertreter von anderen Fächern nicht, und mehr Stunden sollten den Schülern auch nicht zugemutet werden.

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