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Eine Lehrerin an einer Tafel.

© Kitty Kleist-Heinrich

Tannenhof-Schule in Neukölln: Eine Schule für die zweite und dritte Chance

An der Tannenhof-Schule können Suchtkranke Abschlüsse nachholen. Nun wurde 30. Geburtstag gefeiert.

„Ich kann heute nicht kommen, ich muss noch zu Ikea.“ „Ich komme nicht, weil das Wetter so schön ist.“ „Ich kann nicht kommen, weil ich eine Psychose habe.“

In einem Klassenzimmer der Tannenhof-Schule in Neukölln läuft ein Band mit Entschuldigungen, die ehemalige Schüler in den vergangenen Jahren auf dem Anrufbeantworter hinterlassen haben. Das Band ist Teil einer Präsentation, die die Schule zur Feier ihres 30-jährigen Bestehens aufgebaut hat. Manche der Sprüche klingen nach Ausreden, man schmunzelt, andere machen nachdenklich. Babett Schott, Vertreterin der Geschäftsführung des Vereins Tannenhof, dem Träger der Schule, sieht es positiv: „Die Anrufer haben es geschafft, sich abzumelden. Das ist eine wichtige Kompetenz.“

Viele haben früh mit Drogen angefangen

Denn die Schüler der Tannenhof-Schule sind keine ganz gewöhnlichen Schüler. Es sind ehemalige Drogenabhängige, die auf der Schule einen Abschluss nachholen. Sie sind in der Regel erwachsen und nicht mehr schulpflichtig, sie haben ein hartes Leben hinter sich, und für viele ist auch jetzt die Bewältigung des Alltags nicht immer leicht.

Auf einem Tisch liegen anonymisierte Biografien der Schüler aus, auch das ist Teil der Präsentation zum Schuljubiläum. Von häuslicher und sexueller Gewalt liest man da, von schwierigen familiären und sozialen Verhältnissen. Sehr jung waren viele, als sie mit Drogen angefangen haben, schon mit zwölf oder dreizehn haben einige regelmäßig Alkohol getrunken oder angefangen zu kiffen. Später kamen dann Kokain, Amphetamine oder Heroin dazu.

Der Erfolg der Schule ist groß. Rund achtzig Prozent der Schüler schaffen einen Abschluss. In diesem Sommer haben sogar alle, die zu den Prüfungen angetreten sind, bestanden. Viele Ehemalige kommen regelmäßig zu Treffen an der Schule, einige arbeiten dort auch mit.

Kleine Klassen als Erfolgsrezept

Wie schafft die Schule das? Das Erfolgsrezept, sagt Schulleiterin Gabriele Laubmann, seien die kleinen Gruppen und die individuelle Betreuung: „Es sind höchstens fünfzehn Schüler in einer Klasse, und wir begegnen unseren Schülern auf Augenhöhe.“ Es gehe auch nicht nur ums Lernen von Schulstoff, sondern auch darum, den Schülern eine Zukunftsperspektive zu geben, sie dabei zu unterstützen, ihre Freizeit, ihr Leben drogenfrei zu verbringen. Sport- und Musikkurse gehören zum Angebot, eine Sozialarbeiterin hilft und berät bei Krisen und organisiert bei Bedarf zusätzliche Lernförderung.

Zum Einstieg können die Schüler Vorkurse besuchen, die vom Europäischen Sozialfonds finanziert werden. Ein halbes Jahr lang können sie sich, ohne Notendruck, wieder ans Lernen und den Schulbesuch gewöhnen, bevor sie dann die Klassen besuchen, die zum Mittleren Schulabschluss, zur Berufsbildungsreife oder zur erweiterten Berufsbildungsreife führen. 75 Schüler lernen an der Tannenhof-Schule, eine Gruppe wird im Maßregelvollzug in Buch unterrichtet.

Wie die Schule mit Rückfällen umgeht

„Die Schule hat schon vielen Menschen geholfen und sie dabei unterstützt, einen anderen Lebensweg zu gehen“, sagt Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) bei der Jubiläumsfeier. Seit 2014 ist die Schule vom Senat als „Lehrgang besonderer Prägung für den zweiten Bildungsweg“ anerkannt. Das Land bezahlt das Personal, und die Schule darf die Prüfungen für die Schulabschlüsse selbst abnehmen.

Wer an die Tannenhof-Schule kommt, muss clean sein, eine Therapie abgeschlossen haben, eine feste Wohnung oder einen Platz in einer Therapie- oder Nachsorgeeinrichtung haben. Alkohol und Drogen sind tabu, ein Abstinenznachweis ist erforderlich vor der Aufnahme.

Rückfälle kommen dennoch vor, sagt Schulleiterin Laubmann. „Wir haben klare Regeln, kümmern uns aber auch individuell.“ Wer einen Rückfall hat, wird eine Woche suspendiert und muss einen Abstinenznachweis bringen. Dass es gar nicht erst soweit kommt, darum bemüht sich Sozialarbeiterin Oya Yilmaz. Sie geht jeden Tag durch die Klassen, ruft bei denen an, die nicht gekommen sind, und geht auch so manchen Entschuldigungen auf dem Anrufbeantworter nach. Auch einige Dozenten waren früher selbst abhängig, sagt Laubmann. Deren Erfahrung helfe sehr beim Umgang mit den Schülern. Dabei, Alarmsignale für einen Rückfall zu erkennen, und auch als Vorbild, dass man es schaffen kann.

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