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Viel gegrübelt, lange gekämpft und dann verhandelt: Jetzt hat der Schülerausschuss sein Ziel erreicht.

© promo

Situation an Berliner Schulen verschärft sich: Mathe-Lehrer, verzweifelt gesucht

Selbst renommierte Gymnasien in Berlin suchen dringend neue Fachlehrer. Noch schlimmer ist es an Brennpunktschulen. Ein Report.

Plötzlich verhärten sich die Gesichtszüge von Matthias Nicol. Das ist der Moment, in dem er mit seinen Fingerknöcheln auf die Tischplatte schlägt, in dem er einen Referendar, der an einem Gymnasium Mathematik unterrichtete, als „geistigen Tiefflieger“ abkanzelt, in dem er fassungslos erzählt, dass diesem Referendar „Schüler der siebten Klasse beibringen mussten, was Mathematik ist“. Die Schläge bilden einen ungewöhnlichen Lärm in diesem Büro. Hier residiert die Schulleiterin des Heinrich-Hertz-Gymnasiums, da wird eigentlich nicht wütend auf den Tisch geklopft. Aber Nicol, der Fachbereichsleiter Mathematik, kann nicht anders. Es bricht richtig aus ihm heraus: „Ich finde das nicht lustig.“

Kann man verstehen. Denn der Referendar hatte Mathematik studiert. Vor allem aber: Er unterrichtete am Hertz-Gymnasium. Es ist erst wenige Jahre her.

Es gibt zu wenig Mathematik-Lehrer

Das ist natürlich fatal für ein Gymnasium mit „ausgeprägtem mathematisch-naturwissenschaftlichen Profil“. Aber es ist Teil eines grundsätzlichen Problems. Es gibt zu wenig Mathematik-Lehrer an den Berliner Schulen, das ist das Hauptproblem. Und von denen, die da sind, sind nicht alle fachlich und didaktisch-pädagogisch gut. Nuri Alexander Kiefer, der Leiter des Vorstandsbereichs Schule in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), seufzt: „Die Situation ist ziemlich frustrierend. Schulen in ganz Berlin haben Nachholbedarf in Mathematik. Das hängt natürlich mit dem Mangel an Fachlehrern zusammen.“

Ja, aber das Hertz-Gymnasium in Friedrichshain? Dort, wo Schüler jährlich an der Mathematik-Olympiade teilnehmen? Eigentlich müsste doch zumindest da die Situation einigermaßen entspannt sein. Entspannt? Am Tisch mit Nicol sitzt auch Bärbel Cohaus, die Schulleiterin, und sie seufzt: „Es reicht gerade so. Ich kann auf keinen Mathematik-Lehrer verzichten. Ich habe keine Vertretungsreserve.“

Zwölf Mathematik-Lehrer unterrichten am Hertz-Gymnasium. „Fällt einer aus“, sagt Cohaus, „habe ich ein Problem.“ Sie muss dann „auf dem Markt einen neuen Mathelehrer suchen“. Dumm nur, „dass da keine sind“.

Wenn selbst an so einem Gymnasium die Situation eher angespannt ist, kann man sich ausrechnen, wie es an anderen Schulen ist. Zumal Mathematik ein sehr spezielles Fach ist. „Mathematik“, sagt Nicol, „kann man nicht wie andere Naturwissenschaften unterrichten. Mathematik ist keine Experimentalwissenschaft.“

Wie viele voll ausgebildete Mathematik-Lehrer derzeit fehlen, kann Beate Stoffers, Pressesprecherin der Senats-Bildungsverwaltung, nicht sagen. Sie teilt mit: „Da Lehrkräfte in der Regel mindestens zwei Fächer unterrichten, ist eine eindeutige Zahl an benötigten Mathematiklehrern nicht zu beziffern. Gegenwärtig kann nach einer Modellrechnung 92 Prozent des Mathematikunterrichtes fachgerecht erteilt werden. Nach dieser Rechnung kann der Mathematikunterricht an Gymnasien vollständig fachgerecht erteilt werden.“

An Brennpunktschule ist es besonders schlimm

Das ist die Statistik. Es gibt viele Zahlen zu diesem Thema. „171 Lehramtsanwärterinnen und -anwärter mit dem Fach Mathematik haben im August 2016 den Vorbereitungsdienst begonnen“, sagt Beate Stoffers. Und 142 mit dem Fach Mathematik hätten im Schuljahr 2015/16 die Staatsprüfung abgeschlossen. 416 Lehrer, die zum Schuljahr 2016/17 eingestellt wurden, haben als ein Fach Mathematik. 490 Referendare, die gerade in den Klassenzimmern stehen, haben Mathematik als Fach, davon arbeiten 189 an Sekundarschulen und Gymnasien. Daten zu Quereinsteigern werden nicht erfasst.

Aber hinter Zahlen gibt es ja auch eine triste Wirklichkeit. Und die ist an Schulen, die keinen mathematisch-naturwissenschaftlichen Schwerpunkt haben, die Brennpunktschulen sind, besonders trist. An der „Gemeinschaftsschule Campus Hannah Höch“ in Reinickendorf zum Beispiel. Der GEW-Funktionär Kiefer ist in seinem Hauptberuf dort Schulleiter.

Fachfremde Lehrer müssen eingreifen

Und er hat für seinen Grundschulbereich gerade mal vier ausgebildete Mathematik-Lehrer und für die Klassen sieben bis zehn rechnerisch 1,5. „Im Grundschulbereich“, sagt er, „könnte ich fachgerechten Unterricht nur abdecken, wenn alle Fachlehrer ausschließlich Mathematik unterrichteten.“ Und im Sekundarbereich sieht’s noch schlimmer aus. Da würde er nicht mal den notwendigen Fachunterricht abdecken können, wenn seine beiden Mathematik-Lehrer (einer hat eine halbe Stelle) ausschließlich ihr Fach unterrichten würden. „Selbst dann käme ich rechnerisch nur auf 37 Stunden Fachunterricht. Ich benötige aber 42.“ Da die beiden Pädagogen auch noch andere Fächer abdecken, „komme ich real auf rund 25 Stunden Fachunterricht“.

Den Rest übernehmen fachfremde Lehrer, die sich einarbeiten und dann möglichst kompetent auftreten. Aber selbst wenn der Aushilfsunterricht fachlich mangelhaft sein sollte, „kann ich das nicht ändern“, gesteht Kiefer.

Inzwischen müssen alle Grundschullehramtsstudenten Mathematik als Pflichtfach studieren. Hört sich erst mal gut an. Nur, sagt Kiefer, fielen „viele Studenten durchs Examen, weil sie Mathematik nicht beherrschen“. Und überhaupt. Bis diese umfassend ausgebildeten Studenten als Referendare in den Klassenzimmern auftauchen, „vergeht ja auch noch mal viel Zeit. Und was passiert in der Zwischenzeit?“ In der Zwischenzeit müssen auch weitere Quereinsteiger die Lücken füllen. In Kiefers Schule gibt es zwei.

Quereinsteiger können zum Problem werden

Quereinsteiger, schwieriges Thema. Im Hertz-Gymnasium haben sie einen Quereinsteiger in Mathematik. Eigentlich ein Physiker, aber er war mal Schüler im Hertz-Gymnasium. „Den kennen wir, das funktioniert gut“, sagt Bärbel Cohaus. Ein beliebtes Modell am Hertz-Gymnasium. Fünf Ex-Schüler unterrichten hier Mathematik. Aber selbst Quereinsteiger sind rar. „Wir haben nur vereinzelt Diplom-Mathematiker oder Informatiker, die nachfragen“, sagt Bärbel Cohaus. Und überhaupt. „Wir hören von vielen Schulen, dass es mit Quereinsteigern nicht klappt“, sagt Fachbereichsleiter Nicol. Aber immerhin atmet Bärbel Cohaus auf, wenn sie an die Situation an anderen Schulen denkt. „Eigentlich kann ich mich nicht beschweren.“

Auch deshalb, weil der legendäre Referendar nicht mehr an der Schule ist.

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