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Laut Studien benötigt ein Jugendlicher oft sieben Versuche, bis ihn ein Erwachsener mit seinem Problem wahr- und ernst nimmt.

© Julian Stratenschulte/dpa

Sexuelle Gewalt: Wie Lehrer Schülern helfen können

Was tun, wenn Schüler Opfer sexueller Gewalt werden? Ein neues Buch hilft Lehrkräften, richtig zu reagieren.

Da gibt es dieses Mädchen, das sich im Sommer fünf Jacken angezogen hat und so für verblüffte Blicke in der Schule sorgt. Und da gibt es den achtjährigen Schüler, der enorm müde in der Schulbank sitzt und Mühe hat, nicht einzuschlafen.

Symptome, alarmierend genug. Aber sie können eine schreckliche Ursache haben: Missbrauch. Möglich, dass Jungen und Mädchen, die plötzlich so verhaltensauffällig erscheinen, Opfer sind. Opfer von Menschen, die sie sexuell missbrauchen. Oft Opfer von Tätern, die in der eigenen Familie leben. Kein Wunder, dass Schüler müde sind. Missbrauch findet oft nachts statt. Und oft genug durch den eigenen Vater oder Stiefvater.

Solche Symptome muss man deuten können, man muss wissen, dass sich dahinter Missbrauch verbergen könnte. Könnte, nicht muss. Aber allein schon die Vermutung kann Schlimmeres verhindern. Wie gehen Lehrer damit um, wie erkennen sie Hinweise auf Missbrauch? Wie reagieren sie? Im Gespräch mit den Eltern? Im Gespräch mit den Betroffenen? An wen wenden sie sich? Und: Was brauchen Kinder und Jugendliche, um sprechen zu können?

Es gibt Untersuchungen mit erschreckendem Ergebnis: Ein Jugendlicher benötigt oft sieben Versuche, bis ihn ein Erwachsener mit seinem Problem wahr- und ernst nimmt. Damit dies zumindest an Schulen nicht passiert, gibt es das ausgezeichnete Buch „Sexualisierte Gewalt und Schule – Was Lehrerinnen und Lehrer wissen müssen“. Das Buch geht auf alle Aspekte des Themas ein, auf der Basis neuester Forschungsergebnisse. Autorinnen sind die Journalistin Margit Miosga und die frühere Lehrerin Ursula Schele, jetzt Geschäftsführerin des PETZE-Instituts für Gewaltprävention.

Hat ein Lehrer die Vermutung, dass Kindesmissbrauch vorliegen könnte, soll er vorsichtig auf das Kind zugehen. Mit Sätzen wie: „Ich mache mir ein bisschen Sorgen um dich. Wollen wir uns mal unterhalten? Ich habe morgen in der großen Pause Zeit für dich.“ Dann, im Gespräch, kann der erste Satz lauten: „Ich freue mich, dass du dich mir anvertraust.“ Vertrauen schaffen, ganz wichtig. Und vor allem den größten Fehler vermeiden: „Auf keinen Fall Kinder ungefragt anfassen, auf den Schoß oder in den Arm nehmen.“ Kein Zeitdruck, keine Vorwürfe der Marke: „Warum kommst du erst jetzt zu mir?“ So die Ratschläge der Autorinnen.

Johannes-Wilhelm Rörig, der Unabhängige Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindermissbrauchs, hat dieses Buch gefördert, aus gutem Grund. „Nur in der Schule erreichen wir nahezu alle Mädchen und Jungen für Präventions- und Hilfsmaßnahmen. Deshalb sind Lehrerinnen und Lehrer beim Schutz vor sexueller Gewalt so wichtige Akteure. Statistisch sind in jeder Klasse ein bis zwei betroffene Schülerinnen und Schüler. Viele Lehrerinnen und Lehrer sind beim Thema sexuelle Gewalt verunsichert und haben Berührungsängste“, sagt er. „Genau hier setzt das Buch an. Es beantwortet die zentralen Fragen zu sexueller Gewalt gegen Minderjährige, denen Lehrerinnen und Lehrer in ihrem heutigen Schulalltag begegnen – von Praktikern für Praktiker.“

Ein Kernsatz der Autorinnen für den Umgang von Lehrern mit Missbrauch lautet: „Aushalten, aushalten, aushalten. In vielen Fällen lässt sich nicht von heute auf morgen eine gute Lösung finden.“ Vor allem: Hilfe annehmen. „Für Lehrkräfte ist es wichtig, rechtzeitig die Verantwortung für diesen Prozess abzugeben und in der Funktion als Lehrkraft an der Seite der Schülerin oder des Schülers zu bleiben.“

Margit Miosga/Ursula Schele: „Sexualisierte Gewalt und Schule. Was Lehrerinnen und Lehrer wissen müssen“, 159 Seiten, Beltz-Verlag, 2018, 19,95 Euro.

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