zum Hauptinhalt
Die Tempelhofer Johanna-Eck-Schule nutzt die Sommerferien für Renovierungsarbeiten.

© Kitty Kleist-Heinrich

Sekundarschulbilanz: Neue Restschulen oder neue Hoffnung?

Vor vier Jahren startete die Sekundarschulreform. Jetzt gibt es die ersten Absolventen. Eine vorsichtige Zwischenbilanz an der Johanna-Eck-Schule in Tempelhof.

Da sitzen sie also wieder in ihrem Klassenraum in der Tempelhofer Ringstraße. So als wäre es gestern gewesen, als Siham, Hussein, Sarah und all die anderen sich gerade erst kennen gelernt hatten. Vier Jahre ist das her. Damals gehörten sie zum ersten Berliner Jahrgang der neuen Sekundarschulen, und der Tagesspiegel berichtete über die Anlaufschwierigkeiten, die es dabei gab, eine Hauptschule mit einer Realschule zu verschmelzen. Jetzt, kurz vor ihrem Abschied aus ihrer Schule, soll Bilanz gezogen werden.

„Ziemliche Chaoten waren wir damals“, fällt Schulsprecher Hussein als Erstes ein, wenn er an den Herbst 2010 denkt. „Aber im Laufe der Jahre wurde es viel besser“. Darin sind sich die Schüler einig. Aber sie bestätigen auch, dass es ein harter Kampf war, und einige auf der Strecke geblieben sind: Sieben Schüler sind gar nicht mehr dabei, eine Mitschülerin verweigert bis heute jegliche Mitarbeit. Die Gesamtbilanz fällt dennoch positiv aus. „Die Schüler haben eine enorme Entwicklung durchgemacht“, sagt Klassenlehrer Reiner Haag nicht ohne Stolz. Aber er schiebt gleich hinterher, dass das eine Knochenarbeit war, die nicht alle Pädagogen heil überstanden haben.

Entstehen jetzt neue XXL-Restschulen?

Haag gehört zu den Lehrern, die von Anfang an skeptisch waren, und bis heute stellt er große Teile der Reform infrage. Vor allem die Sache mit den zwei Sorten von Sekundarschulen – die mit und die ohne gymnasiale Oberstufe: „Die Sekundarschulen ohne gymnasiale Oberstufe sind der Gefahr ausgesetzt, wieder Brennpunktschulen zu werden und eine neue Art von XXL-Hauptschulen zu bleiben – egal wie sehr sie sich bemühen“, lautet Haags Mahnung. Andererseits würde „kein Lehrer unserer Schule die Wiedereinführung der Hauptschule befürworten“, betont Haag im selben Atemzug.

Die Erleichterung darüber, dass Berlin seinen Schülern seit vier Jahren das böse Label „Hauptschule“ erspart – diese Erleichterung gehört zum Grundton der meisten Gespräche, die zur Bilanz des ersten Sekundarschuljahrgangs geführt werden. Dann jedoch folgt immer sehr schnell das Aber – nicht nur bei Haag, auch bei seiner Schulleiterin Hannelore Weimar. „Wir ackern wie die Blöden, aber wir haben Angst, dass wir trotzdem nicht den entsprechenden Erfolg haben werden“, sagt Weimar, die vor der Reform Hauptschulleiterin war. Ihre Werner-Stephan-Schule war mit der Dag-Hammarsjköld-Realschule in eine Fusion gedrängt worden, was für beide Seiten mit großen Schwierigkeiten einherging, und manches Problem blieb.

Auf der Habenseite steht das sehr gute Ergebnis der Schulinspektion. Es zeigt, dass Lehrer und Schulleitung fast alles richtig machen. Wer sich in der Schule aufhält, bemerkt den guten Ton im Miteinander. Ein Meilenstein war die Einigung auf den neuen Namen Johanna Eck und das mit der Namensgebung einhergehende Fest vor zwei Wochen, bei dem Lehrer und Schüler kräftig mithalfen.

Eine Mensa gibt es immer noch nicht

Die Sollseite beinhaltet die Sache mit der Schülermischung. „Es sind zu wenig Leistungsstarke und zu viel Lerndistanzierte“, fasst es Annett Michaelis zusammen, die mit Reiner Haag Husseins Klasse unterrichtet. Anfangs sei sie „mehrfach kurz davor gewesen, das Handtuch zu werfen“, berichtet Michaelis. Nur dank des guten Lehrerteams habe sie diese Zeit überstanden. Jetzt geht es ihr besser, aber Kritik bleibt: Etwa am Fehlen der Mensa und an den spartanischen Räumen für die Nachmittagsbetreuung. Das dafür vorgesehene Geld brauchte der Bezirk plötzlich für eine Schule, die Schwammbefall hatte.

„Ein weiteres Problem sind die schlechten Bedingungen für die Integration der Förderschüler“ schiebt Sozialpädagoge Paul Wellenreuther hinterher, während er die von Lehrern und Schülern liebevoll ausgebauten Werkstätten zeigt. Stolz sind er und Haag darauf, dass an der Johanna-Eck-Schule alle Schüler zusammen unterrichtet werden: Anders als in vielen anderen Sekundarschulen werden die schwächeren Schüler nicht in Praxisklassen ausgesondert, sondern bleiben im Klassenverband, wenn auch mitunter in verschiedenen Kursen.

Und wurde das große Ziel erreicht, das über allem stand: Bleiben jetzt weniger Schüler ohne Abschluss als früher? Das war es doch auch, worum es bei der Reform ging: Das Etikett „Hauptschule“ sollte weg und die Zahl der Absolventen ohne Perspektive gesenkt werden.

Erwartet werden bessere Abschlüsse als früher - aus vielen Gründen

„Die Ergebnisse sind nicht schlecht“, sagt Rektorin Weimar. Auch berlinweit allerdings, so die Erwartung, wird der Anteil der Schüler ohne Abschluss sinken. Gespeist wird die Erwartung daraus, dass durch die vielen Fusionen von Haupt- mit Realschulen die Schülermischung besser geworden ist. Zudem werden die Schüler besser betreut: Wo früher kein einziger Sozialarbeiter war, finden sich inzwischen große Unterstützer-Teams zusammen. Alle Sekundarschulen haben Ganztagsangebote. Nicht ganz wirkungslos dürfte auch bleiben, dass etliche Nachprüfungen erdacht wurden, um auch schwachen Kandidaten zu einem Abschluss zu verhelfen. Verbessert hat sich auch die Berufsvorbereitung: Den Schülern werden früher Perspektiven aufgezeigt, so dass sie eher einen Sinn darin sehen, auf einen Schulabschluss hinzuarbeiten.

Auch in Haags Klasse wissen schon viele, wie es weitergeht. Hussein freut sich auf eine Ausbildung zum Koch, Sascha hat die Bundeswehr ins Auge gefasst, Pascal will Anlagenmechaniker werden, Eyüp möchte erst mal das Abitur machen und dann zur Feuerwehr gehen, und Marwin hat eine Lehrstelle in der Metallverarbeitung als Zerspanungstechniker. Andere wollen an ein Oberstufenzentrum wechseln, um den Mittleren Schulabschluss nachzuholen.

Jetzt kommen die neuen Siebtklässler - mit neuen Problemen

So weit, so gut. Aber im August kommen die neuen Siebtklässler, die zum Großteil schlechte Noten aus der Grundschule mitbringen, was Haag und seinen Kollegen schon jetzt große Sorgen bereitet. Hannelore Weimar würde sich wünschen, dass die schwierigen Schüler besser über alle Schulen verteilt werden. Das jetzige Losverfahren reiche dafür nicht aus, weil sich die nachgefragten Schulen bis zu 70 Prozent ihrer Schüler selbst aussuchen könnten. Die schwachen Schüler würden sich weiterhin an wenigen Schulen ballen. Hinzu kommt, dass schwach nachgefragte Schulen den meisten Platz haben, die so genannten Rückläufer oder auch "Umsteiger" aufzunehmen, die das Gymnasium nicht schaffen. Das erschwert die Arbeit der Sekundarschulen zusätzlich. Ob es auch dieses Jahr nötig sein wird, ganze "Rückläuferklassen" aufzumachen, steht noch nicht fest, wird aber gerade von den Bezirken ermittelt.

In jedem Bezirk gibt es mindestens zwei "Sorgenkinder"

Wie groß die Gefahr neuer oder alter Restschulen ist – darüber gibt es verschiedene Ansichten. Tatsache ist, dass es pro Bezirk mindestens zwei „Sorgenkinder“ gibt, also Schulen, die als Restschulen gelten können, weil sie überwiegend schwierige Schüler aufnehmen müssen, die sonst keinen Platz finden. Allerdings bekommen einige von ihnen gezielt Hilfe über das „Turnaround-Programm“ der Boschstiftung, andere sind durch neue Schulleitungen auf einem besseren Weg oder erarbeiten mithilfe ihrer Bezirke oder Schulräte neue Konzepte. Fest steht: Vor der Reform gab es weniger Spielraum als heute, aber gelöst ist das Problem der Entmischung noch lange nicht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false