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Reformerprobt. Jens Großpietsch leitete die Heinrich-von-Stephan-Schule in Moabit.

© Doris Spiekermann-Klaas

Schulen in Berlin: Berlins erfolgreichster Rektor fängt noch mal von vorn an

Erst die Pension, dann die Kür: Der Moabiter Rektor Jens Großpietsch will nach seiner Pensionierung eine freie Schule gründen - und nicht nur das. Ein Interview.

Herr Großpietsch, nach Ihrer Pensionierung haben Sie sich gleich in die nächste Arbeit gestürzt und beim Projekt „Teach First“ angefangen. Warum gerade dort?

Neben dem SOS-Kinderdorf und der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung habe ich „Teach First“ als eine Organisation mit extrem motivierten pädagogischen Menschen erlebt. Mit ihnen zusammen für benachteiligte Schüler zu arbeiten, ist für mich sehr sinnvoll.

Was ist denn aus Ihrer Idee geworden, eine neue Schule zu gründen?

Zunächst einmal gründet meine ehemalige Schule, die Heinrich-von-Stephan-Schule, eine eigene Grundschule – dabei helfe ich gern. Ab 2016/17 beginnen wir mit einer ersten Klasse im Gebäude der Carl-Bolle-Schule in Moabit, die ausläuft. Außerdem verfolge ich den Plan, eine freie Schule zu gründen, weil ich finde, dass die Kinder im Bezirk eine weitere, pädagogisch-programmatisch möglichst noch weiter reichende Grundschule mit weniger staatlichen Zwängen gut brauchen können. Darüber spreche ich jetzt mit freien Trägern. Die Eltern sollen die Wahl zwischen mehreren guten Schulen mit unterschiedlichen Konzepten haben.

Wäre es nicht wichtiger, Ihr Wissen Berliner Restschulen zur Verfügung zu stellen? Sie haben doch bewiesen, dass Sie eine solche Schule „drehen“ können.
Dann müssten diese Schulen, diese Kollegien das wollen. Mich hat keine Schule angesprochen. Eine neue, pädagogisch dem 21. Jahrhundert gemäße Schule aufzubauen, ist mindestens ebenso wichtig.

Wie soll denn so eine Schule aussehen?

Die Kinder sollen – zunächst auf spielerische Art – möglichst von der ersten Klasse an mit Berufen in Berührung kommen. Ich würde außerdem die Ferienordnung verändern und als ersten Schritt dafür sorgen, dass es in den Ferien attraktive Angebote gibt. Und dann sollte es bis Klasse 4 sehr viele Angebote in Musik, Kunst und Sport geben. Je nach Lust und Talent könnten die Schüler sich ab der fünften Klasse auf ein Gebiet besonders konzentrieren.

Die Robert-Bosch-Stiftung ist dabei, mit dem Turnaround-Projekt den zehn schwierigsten Berliner Schulen zu helfen. Es gibt Geld und Beratung. Ein richtiger Ansatz?

Zu helfen ist immer richtig - nur: Die Schulen sind nicht gefragt worden, ob sie mitmachen wollen. Darum besteht die Gefahr, dass die Motivation von innen fehlt: Wenn die Kollegen sich nicht wirklich bewegen wollen, ist so ein Impuls von außen wenig hilfreich und möglicherweise auch nicht besonders nachhaltig.

Was würden Sie denn den Restschulen raten auf dem Weg aus dem Abseits?

Man muss bildungsorientierte Eltern überzeugen, indem man ihnen beweist, dass ihre Kinder was lernen. Es spricht sich herum, ob eine Schule gut ist, ob sie gewaltfrei ist, ob die Atmosphäre stimmt. Das ist allerdings anstrengend und man braucht ein engagiertes Kollegium. Wer da nicht mitmachen will, sollte gehen.

Das ist doch riskant für einen Schulleiter: Wenn er einen Lehrer wegschickt, weiß er nicht, ob und wann Ersatz kommt.

Lieber mit einem Lehrer weniger als mit einem ganz schwachen.

Schwache Schulen verweisen zumeist auf ihr soziales Umfeld, wenn man sie auf ihre schlechten Ergebnisse anspricht. Was sagen Sie solchen Schulen?

Es gibt mitunter im selben Kiez weniger als 100 Meter Luftlinie entfernt Schulen, die sehr unterschiedlich sind, obwohl sie nahezu dieselbe Schülerschaft haben. Da muss man sich schon fragen, wo die Ursachen liegen.

Und wo liegen die Ursachen?

Ich meine, dass es an der Grundhaltung im Kollegium liegt. Schule kann, wie gesagt, nur von innen gelingen. Es hat keinen Sinn, immer zu erwarten, dass von außen etwas passiert. Von außen kann es allerdings Hemmnisse geben.

An welche „Hemmnisse“ denken Sie da?

Zurzeit denke ich vor allem an die Unterfinanzierung der Inklusion. Auch daran, dass die Lehrer beispielsweise mit autistischen Kindern überfordert sind. Darauf müssten sie besser vorbereitet werden. Außerdem haben viele Berliner Schulen einen Generationswechsel zu bewältigen. Viele Lehrer auf einmal werden pensioniert, und als Ersatz kommt eine Vielzahl von Referendaren, Quereinsteigern und Berufsanfängern. Sie angemessen zu betreuen, ist aber von der Verwaltung nicht vorgesehen. Das geht so mal nebenbei nicht. Hier fehlt noch jedes Konzept und vielleicht auch das Geld.

Können Sie erklären, was Sie mit der „Grundhaltung im Kollegium“ meinen?

Es gibt zum Beispiel Schulen, an denen jeder dritte oder vierte Schüler schwänzt. Das führt dazu, dass jede Stunde mit einer langen Wiederholungsphase beginnen muss, damit die Schüler das Versäumte ansatzweise nachholen können. Das ist ein großer Zeitverlust. Wenn man dann fragt, warum so viele fehlen, wird von den Schulen auf das Bezirksamt gezeigt, das nicht genügend Schulversäumnisanzeigen schreibt. Die Verantwortung wird also woanders hingeschoben. Schulen müssen die Verantwortung für ihr Handeln selbst übernehmen.

Das Gespräch führte Susanne Vieth-Entus

Der Mann hinter der Erfolgsgeschichte

Jens Großpietsch
Jens Großpietsch

© Doris Spiekermann-Klaas

LEHRER

Jens Großpietsch, 65, stammt aus Berlin und studierte an der Pädagogischen Hochschule Politik und Kunst. Sein Referendariat absolvierte er an der Heinrich-von-Stephan- Schule in Moabit, die damals noch Hauptschule war und aufgrund ihres schlechten Rufs kaum Anmeldungen hatte.

SCHULLEITER

1985 wurde Großpietsch Schulleiter, was normalerweise eine Lebensstellung ist. Großpietsch hingegen stellte sich zusammen mit dem Konrektor in seinem Kollegium alle drei Jahre erneut zur Wahl. 1999 wurde die Heinrich-von-Stephan-Schule integrierte Haupt- und Realschule und schaffte es, bald auch leistungsstärkere Schüler anzuziehen. Deutschlandweit bekannt wurde die Erfolgsgeschichte durch einen Artikel der Süddeutschen Zeitung, die die Entwicklung der Schule als „Das Wunder von Moabit“ bezeichnete. Seit einigen Jahren ist die Schule Gemeinschaftsschule und führt jetzt bis zum Abitur.

PENSIONÄR

Großpietsch wurde im Sommer pensioniert, arbeitet aber weiter. Zurzeit ist er mit halber Stelle beim Projekt „Teach first“ tätig, indem er dort berät und Fortbildungen organisiert. „Teach First“ unterstützt Schulen in schwierigem sozialen Umfeld, indem es ihnen Jungakademiker vermittelt, die sich sozial engagieren wollen. Am 28. November wird Großpietsch schulintern verabschiedet und zwar mit einer Tagung über Reformpädagogik. Dabei sein werden auch Mitglieder des bundesweiten Schulzusammenschlusses „Blick über den Zaun", das sich über innovative Schulkonzepte austauscht und dem Großpietsch seit langem angehört.

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