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Rund 6200 Schüler lernen in Klassen, die voller sind als in den Richtgrößen vorgesehen.

© dpa

Schulen am Limit: Mehr als 6200 Berliner Schüler lernen in größeren Klassen als vorgeschrieben

Wegen des Schulplatzmangels werden immer mehr Klassen bis zum erlaubten Maß aufgefüllt - und oftmals auch darüber hinaus. Grüne fordern gesetzliche Obergrenze.

Der Berliner Schülerberg ist messbar – anhand der Klassen, die voller als erlaubt sind. In diesem Jahr ergibt die Messung, dass über 6200 Schüler in rund 225 Klassen zu den Betroffenen zählen. Auf rund 30.000 Kinder und Jugendliche in knapp 1000 Klassen von Grund- und Sekundarschulen beläuft sich darüber hinaus die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die mit mehr als 26 Kindern in einer Klasse lernen. Dies belegen die Antworten auf eine aktuelle Anfrage der grünen Bildungsexpertin Marianne Burkert-Eulitz.

Die Zahl von 26 Kindern gilt in Berlin als Richtgröße: Angesichts von rund vier Inklusionskindern pro Klasse und angesichts von bis zu 100 Prozent Kindern mit sozialen oder sprachlichen Handicaps in vielen Lerngruppen halten Bildungsfachleute 26 Kinder pro Klasse für maximal vertretbar. Entsprechend schreibt die Bildungsverwaltung auf ihrer Homepage, dass Sekundarschulen generell in allen Klassenstufen nur 26 Schüler haben. Rechtlich vorgeschrieben ist die 26er-Grenze aber nur in den Klassenstufen 1,2, 7 und 8.

Aber auch das ist nicht wirklich verbindlich, wie die Anfrage belegt: In rund 60 Klassen mit über 1600 Erst- und Zweitklässlern lernten mindestens 27 Kinder pro Klasse. Dies wiegt umso schwerer, als die Richtgröße in Schulen mit hoher sozialer Belastung eigentlich bei 25 Kindern liegt.

Ein „rechnerisches Schulplatzdefizit“

An den Sekundarschulen ist sogar in 100 siebten und achten Klassen die Richtgröße nicht eingehalten worden, weil die Bezirke andernfalls nicht alle Schüler hätten unterbringen können. Zudem wird in über 20 Gymnasialklassen die Maximalgröße von 32 Schülern überschritten.

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Mit dieser Art Notlösung haben Berlins Schulen Erfahrung. Allein im abgeschlossenen Schuljahr 2018/2019 bestand laut Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) ein rechnerisches Schulplatzdefizit von fast 6900 Plätzen – ein Mangel, der vor allem durch Überbelegungen „kompensiert“ wurde. Mit anderen Worten: Qualitätsstandards wurden und werden herabgesetzt.

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Anstatt diese Überbelegungen wie geplant abzubauen, müssen sie fortgeführt und noch ausgeweitet werden, wenn die bisherigen Schülerprognosen stimmen. Scheeres hat bereits angekündigt, den bis 2022 absehbaren Mangel an 9500 fehlenden Schulplätzen zum Großteil durch Überbelegungen zu kompensieren. Wobei in dem entsprechenden Bericht an das Abgeordnetenhaus nicht von „Überbelegungen“ die Rede war, sondern von „Belegungen, die über die gewünschten pädagogischen Standards hinausgehen“.

Burkert-Eulitz: „Obergrenze gesetzlich festschreiben“

Burkert-Eulitz will sich damit nicht abfinden. Die überbelegten Klassen seien oft in Schulen zu finden, in denen viele Kinder aus von Armut betroffenen Familien seien, die viele Quereinsteiger haben und an denen es zusätzliche Belastungen wie schulabstinente Kinder und Jugendliche oder fehlende Abschlüsse gebe, mahnt die grüne Bildungsexpertin. Somit bedeuteten die überbelegten Klassen „eine weitere Überlastung der Schulen“. Um Abhilfe zu schaffen, müsse „eine Obergrenze gesetzlich festgeschrieben werden“, fordert sie.

Daran ist zurzeit allerdings nicht zu denken, denn selbst mithilfe von Schnellbauten kann es nicht gelingen, das Defizit zu beheben: Am Montag bekräftigte die Senatorin, dass mit „temporären Schulbaumaßnahmen“ in den kommenden Jahren mindestens 3500 zusätzliche Schulplätze geschaffen werden sollen – mithin wird dadurch nur ein knappes Drittel des Problems gelöst. Und auch das ist noch nicht sicher.

„Fliegende Klassenzimmer“ sollen helfen

Denn die Bezirke, die die Schnellbauten abwickeln sollen, sind überlastet. Immerhin einigten sich Scheeres und Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) inzwischen auf ein „Bedarfsprüfungs- und Mittelabrufverfahren“. Als temporärer Bedarf gelten Vorhaben, die zum Schuljahresbeginn 2020/21 oder 2021/22 umgesetzt werden. Die geplanten Pavillons, Container und „fliegenden Klassenzimmer“ sollen eine „Standzeit“ von unter fünf Jahren haben und können ohne Prüfverfahren umgesetzt werden.

Freie Schulen warten auf Fördergelder zum Bauen

Unklar ist noch immer, ob auch die freien Schulen vom 100-Millionen-Programm profitieren. Wie berichtet, hatten sie angeboten, Schulplätze zu schaffen, werden aber seit Monaten im Unklaren gelassen, wie Privatschulvertreter mitteilen. Dem Vernehmen nach ist sich die rot-rot-grüne Koalition noch nicht einig: Einerseits will sie die Schulplatznot beheben, andererseits aber die freien Schulen nicht stärken. Wie dieser Konflikt gelöst wird, ist noch offen.

Dabei drängt die Zeit, denn die Bevölkerung wächst - und zwar viel stärker als bisher angenommen. Das wurde in der vergangenen Woche durch eine neue Senatsprognose bekannt.

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