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Viel zu schleppen. Kinder auf dem Weg zur Schule.

© dpa/Patrick Seeger

Schule in Berlin: Ranzen: Wie schwer ist zu schwer?

Sind Schulranzen zu schwer? Was Studien über das zulässige Gewicht sagen, was Ärzte raten – und worauf man achten sollte.

Ellas Schulranzen wiegt nicht einmal ein Kilo. Wenn er leer ist. Glücklicherweise muss die zierliche Erstklässlerin meist nur ein paar Hefte, ihre Federtasche, die Brotbox und die Wasserflasche hineinpacken. Alles andere kann im Klassenraum bleiben, in einem Fach unter dem Tisch.

Laurin hat es da schon schwerer. Besonders am Montag. Da wiegt sein Schulrucksack zehn Kilo. Der Zehneinhalbjährige, der in die sechste Klasse eines Berliner Gymnasiums geht, muss an diesem Tag Bücher und Hefte für zwei Fremdsprachen, Deutsch, Mathe und Musik mit sich schleppen, in der Schule lassen kann er nichts, weil Schließfächer dort Mangelware sind.

Schwere Schultaschen – das ist seit Jahren ein Thema, das nicht nur Eltern Sorgen macht. Auch Ärzte, Krankenkassen und Schulbehörden melden immer wieder Bedenken an. Doch wie gravierend ist das Problem? Und vor allem: Wie schwer ist zu schwer?

Die DIN-Norm stammt aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg

Das Deutsche Institut für Normung nennt in der DIN-Norm 58124 eine konkrete Zahl: „Der gefüllte Ranzen sollte am Ende nicht mehr als zehn Prozent des Körpergewichts des Kindes wiegen.“ Für die zarte Ella sind das maximal zwei Kilo, selbst der sportliche Laurin könnte demnach nicht mehr als viereinhalb Kilo (ver)tragen.

Doch so präzise die Zehn-Prozent-Regel zu sein scheint, so wenig einleuchtend wirkt sie, wenn man ihre Geschichte kennt. Die DIN-Norm stammt aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und aus der Welt des Militärs. „Sie bezog sich darauf, wie schwer der Tornister eines Rekruten sein durfte, damit bei Langzeitbelastungen keine muskulären Ermüdungen auftraten“, erläutert Fritz-Uwe Niethard, langjähriger Direktor der Orthopädie an der Uniklinik in Aachen. Sieben bis acht Kilo Marschgepäck für einen Rekruten, der 20 Kilometer in flottem Tempo schaffen soll – das lässt sich nicht mit Ellas Schulweg vergleichen, der nicht einmal einen Kilometer lang ist. Wenn ihre Mama sie nicht ohnehin mit dem Auto bringt.

Training der Rumpfmuskulatur

Ein Team der Universität des Saarlands wollte mehr über die realen Belastungen heutiger Schülerinnen und Schüler mit ihrem schulischen Marschgepäck erfahren – und über deren Folgen für den Rücken der Heranwachsenden. Die Forscher haben dafür die Aktion „Kidcheck“ genutzt, ein gemeinsames Projekt der Saar-Uni und der „Saarbrücker Zeitung“, in dessen Rahmen Mediziner, Physiotherapeuten und Sportwissenschaftler seit 1999 Kinder und Jugendliche auf Haltungsschäden und Muskelschwäche untersuchen.

60 Mädchen und Jungen aus den Klassenstufen zwei und drei und ihre Schulranzen wurden für die Studie zuerst einmal gewogen. Die Kinder brachten im Schnitt 27 Kilo auf die Waage, die Schulranzen fünf – also mehr als 15 Prozent des Körpergewichts. Später begutachteten die Experten die Körperhaltung der Kinder und ließen sie – ohne Ranzen und mit Ranzen von unterschiedlichem Gewicht – 15 Minuten lang einen Hindernisparcours absolvieren. Das Ergebnis ist entlastend: Erst wenn der Ranzen mehr als ein Drittel des kindlichen Körpergewichts wog, wurde beim Tragen eine nennenswerte Aktivität der Bauch- und Rückenmuskeln erkennbar. Und sogar diese Belastung sehen die Forscher um den Sportwissenschaftler Oliver Ludwig eher als willkommenes kurzzeitiges Training der Rumpfmuskulatur.

Die Last gleichmäßig verteilen

Auch die Berliner Kinder- und Jugendorthopädin Uta Laukens macht sich wegen der Ranzen keine grundsätzlichen Sorgen um das Rückgrat der Kinder. Eine große Ausnahme seien natürlich ernste Störungen wie ein Wirbelgleiten, ein Tumor in der Wirbelsäule oder entzündliche Erkrankungen der Bandscheiben: „Hier sollte ein strenges Trageverbot herrschen.“ Teenagern, die eine leicht seitlich verbogene Wirbelsäule haben, eine Skoliose, empfiehlt sie, die Last gleichmäßig zu verteilen. Also: Rucksack statt Umhängetasche. Taschen, die man wie Rollkoffer nachziehen kann, haben ihrer Ansicht nach Vor- und Nachteile. Zu den Nachteilen gehört, dass man sie im Schulgebäude und auf Treppen doch immer wieder tragen muss. „Und ihr Tragekomfort ist sehr schlecht.“

Kinderorthopäden raten, den Schulranzen auf jeden Fall sorgfältig auszuwählen. Damit die Kinder nicht von dessen Aussehen abgelenkt werden, gibt es den Tipp, Mädchen erst die „Jungs“-Modelle, Jungen die Ranzen voller Pferde und Prinzessinnen anprobieren zu lassen – um danach das Modell, das am besten passt, in einem anderen Design zu kaufen.

Worauf man beim Kauf achten sollte

„Man sollte den Ranzen wie einen Schuh anprobieren“, sagt Laukens. Er muss gut sitzen, der Rücken muss verstärkt sein, die Rückenlänge passen, das Kind muss mit den Schnallen und Verschlüssen zurechtkommen. „Wenn das alles passt, kann der Ranzen ruhig auch von einem größeren Kind geerbt sein.“

Falls die Kinder irgendwann doch unter der Last eines zu schweren Ranzens stöhnen oder die Eltern kein gutes Gefühl haben, sollten sie nach Ansicht der Kinderorthopädin die Initiative ergreifen und nach pragmatischen Lösungen suchen: mit den Lehrern absprechen, ob nicht doch mehr Material in der Schule bleiben kann oder eventuell einen zweiten Satz Bücher für zu Hause anschaffen.

So entspannt die Kinderorthopädin (und Mutter einer Zweitklässlerin) die Ranzen-Frage auch beurteilt: darüber, dass zunehmend Kinder mit Rückenschmerzen in ihre Praxis kommen, macht sie sich doch Sorgen. „Kindlicher Rückenschmerz ist ein immens wichtiges Thema, schon Fünfjährige kommen damit in die Praxis.“ In den allermeisten Fällen sei keine Veränderung an der Wirbelsäule erkennbar, die die Ursache sein könnte. Weil Kinder – auch für den Rücken – viel natürliche Alltagsbewegung brauchen, sollten sie, wenn irgend möglich, zu Fuß in die Schule gehen. Bewegungsmangel ist aber nicht das einzige Problem. Viele ihrer jungen Patienten stünden erkennbar unter Stress, berichtet Laukens, „und wir wissen, dass Rückenschmerzen in den allermeisten Fällen etwas mit der Psyche zu tun haben“. Diese seelischen Belastungen würde sie den Kindern gern abnehmen.

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