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Schülerinnen in einem Klassenraum. Ein Jahr im Zeichen der Pandemie: Mal waren die Schulen offen, dann wieder monatelang zu.

© Marijan Murat/dpa

Schülerinnen nach einem Jahr Corona: „Freude ist eine Seltenheit geworden“

Keine Tests, keine Luftfilter: Fünf Schülerinnen eines Pankower Gymnasiums blicken zurück auf ein Jahr voller Pandemie-Versagen.

Seit über einem Jahr prägt die Pandemie unseren Alltag. Seit mehr als zwei Monaten findet wieder kein regelmäßiger Präsenzunterricht statt. Der Sommer brachte zunächst Hoffnung. Wir konnten wieder zur Schule gehen. Ein Gefühl von Normalität machte sich breit. Dann wurde es Herbst. Die Tage kürzer und kälter, keine Lehrkraft konnte uns mehr verbieten, in Winterjacke und Decke im zugigen Klassenraum zu sitzen. Husten und Schniefen gingen durch die Klassen.

Vom ständigen Durchzug in den Klassenräumen und den Sportstunden bei Minusgraden im Freien erkältete Schüler:innen saßen dicht beieinander, während die vom feucht-warmen Atem nassen Masken auf ihre Gesichter drückten.

Das Gefühl, dass die Abwesenheit von Corona nur durch den Mangel an Tests in Schulen künstlich herbeigeführt wurde, dass es nicht um Bildung, sondern um ein Alibi für die planlosen Entscheidungsträger ging, beschlich uns.

Und dann schlug Corona wieder richtig zu. Was seit dem Spätsommer von Wissenschaftler:innen prognostiziert wurde, wurde Wirklichkeit. Die zweite Welle kam und sie kam schnell. Sorge machte sich wieder breit – und Unmut. Unser Gefühl sagte uns, weiter in der Schule bleiben zu wollen, unser Verstand sagte, dass nur das Lernen zu Hause angebracht sei. Über unsere Köpfe hinweg wurde mit beidem, unseren Gefühlen und unserem Verstand, gespielt.

Es fühlte sich falsch an, in der Schule zu sitzen

Es wurde gesagt, die Schulen würden offen bleiben. Die Schulen blieben offen. Es war Wahnsinn, was wir machten und machen mussten. Es fühlte sich falsch an, in der Schule zu sitzen. Mit 30 anderen Haushalten in einem Raum. Die Schule war zu dem Zeitpunkt noch so etwas wie eine unangreifbare Blase. Während draußen in der Welt alle Menschen Abstand hielten, die Zahlen stiegen, sich nur noch zwei Haushalte treffen durften, hockten wir immer noch dicht an dicht in vollen Klassenzimmern. Weder wir noch unsere Lehrer:innen wurden getestet, es gab keine vom Senat finanzierten Luftfilter und in den vorzeitigen Hybridunterricht wechseln durften wir auch nicht.

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Niemand fühlte sich mehr wohl. Zu groß war die Sorge, sich und seine Familie anzustecken. Doch wir wurden nicht gefragt, wie es uns geht, was wir brauchen. Wir hätten gerne in kleineren Gruppen gelernt. Ein Treffen mit wenigen Mitschüler:innen in der Woche hätte uns besser getan, als von einem auf den anderen Tag komplett die Schulen dichtzumachen. Am Ende gab es acht Luftfilter, die Eltern über Spenden angeschafft hatten. Acht Luftfilter für fast 1000 Schüler:innen, die nie eingesetzt wurden, weil die Schulen dann schon schlossen.

[Die Autorinnen besuchen das Pankower Carl-von-Ossietzky-Gymnasium. Sie sind Redakteurinnen der Schülerzeitung "Moron", die beim diesjährigen Berliner Schülerzeitungswettbewerb des Vereins Junge Presse, der Senatsbildungsverwaltung und des Tagesspiegel den zweiten Platz in der Kategorie der Gymnasien belegt hat.]

Über unsere Köpfe hinweg wurde entschieden

Was das Beste für uns sei, wussten die, die nicht mit uns sprachen. Über unsere Köpfe hinweg wurde entschieden. Und so blieben wir weiterhin in der Schule. Bis die Gefahr nicht mehr ignoriert werden konnte. Die zuvor unangreifbare Blase platzte – die Schulen schlossen. Doch wir blieben stumm.

Computer wurden zur Schule, Videokonferenzen zu Unterricht, jugendliche Neugier zu Frustration und Depression. Freude ist eine Seltenheit geworden. Man sitzt vor einem Bildschirm mit kleinen schwarzen Kästen, eine Lehrkraft versucht den Stoff durchzubekommen, um uns reinen Gewissens in Prüfungen oder die nächste Klasse schicken zu können. Aber das Lernen zu Hause ist wie ein Marathon ohne absehbares Ziel.

Die Autorinnen. Carla Siepmann, Mila Kratochwil, Hannah Reschke, Shaira Geikowski und Elsa Thomsen (von links oben im Uhrzeigersinn) besuchen das Carl-von-Ossietzky-Gymnasium in Pankow.
Die Autorinnen. Carla Siepmann, Mila Kratochwil, Hannah Reschke, Shaira Geikowski und Elsa Thomsen (von links oben im Uhrzeigersinn) besuchen das Carl-von-Ossietzky-Gymnasium in Pankow.

© privat

Die mentale Auszehrung spiegelt sich sowohl in einer ausführlichen Umfrage durch die Elternvertretung in einer 10. Klasse als auch in Aussagen von Mitschüler:innen wider: Angst, Überforderung, Vereinsamung, Unsicherheit! Es fällt vielen schwer, ihre Gefühle in Worte zu fassen. Zu komplex, zu kompliziert ist die Achterbahn, in welche wir schon im ersten Lockdown gedrängt wurden. Die Mehrheit der von uns befragten Mitschüler:innen klagt über Stress und permanente Energielosigkeit. Unsicherheit besteht, denn wir werden im Dunkeln gelassen. Es fehlt an Klarheit, einer Aussicht auf Besserung, einem konkreten Plan.

Die Bildungsungerechtigkeit wird größer

Der soziale Verzicht wird immer belastender, die Bildungslücken, die Bildungsungerechtigkeit immer größer und das Versagen des Berliner Senats sowie der Bundesregierung immer deutlicher. Verzicht als Problem wird nicht als relevant erachtet, die Folgen dessen sind dafür umso einschneidender. Ein weiterer Stressfaktor in der Krise ist nicht zuletzt die Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie. Bereits im Frühjahr 2020 kam es zu massiven Irritationen, als der Mittlere Schulabschluss rund eine Woche vor der ersten Prüfung abgesagt wurde – nachdem Lehrer:innen genauso wie Schüler:innen mehr Kraft, Disziplin und Zeit als in vorherigen Jahrgängen investiert hatten, um diesen unter Krisenbedingungen möglich zu machen.

Leider war das anscheinend kein „Ausrutscher“, der auf die allgemeine Verwirrung zu Beginn der Pandemie zurückzuführen war, denn im Januar erlaubte sich der Senat erneut derlei Mätzchen. Entgegen der Linie der Ministerpräsidentenkonferenz wurde eine schrittweise Öffnung der Schulen beschlossen – um drei Tage vorher abgeblasen zu werden.

Unsere Schulleitungen rotieren permanent

Kurz danach wurde die Entscheidung über möglichen Präsenzunterricht direkt auf die Direktoren abgewälzt. Man wird das Gefühl nicht los, dass der Senat sich vor falschen Entscheidungen schützen will – indem er gar nicht mehr entscheidet. Für uns bedeutet das, dass unsere Schulleitungen permanent rotieren, planen und möglich machen, was schlussendlich unter anderem aufgrund der Sprunghaftigkeit von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) doch nicht stattfinden kann.

Wir fühlen uns alleingelassen. Viele Schulen haben nicht die Möglichkeit Präsenzunterricht, zumindest für die Abschlussjahrgänge anzubieten, und werden vom Senat auch nicht unterstützt, denn ein Konzept fehlt. Das führt zu Ungerechtigkeit und Frustration. „Ungerechtigkeit“ ist ein Stichwort, das beim föderalen Umgang mit der Bildung schon länger eine Rolle spielt.

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Aber auf Bundesebene wird das Thema der Schulen anscheinend gar nicht mehr diskutiert. Die letzte Bund-Länderkonferenz am 3. März drehte sich zwar um Lockerungen, aber nicht in der Bildung, sondern in der Wirtschaft. Vielleicht hätten wir nach dem Umgang der Regierung mit dem Klimaschutz und anderen Zukunftsthemen wie Digitalisierung wissen müssen, dass unsere Probleme gerne belächelt, ansonsten aber so lange aufgeschoben werden, bis der Druck groß genug wird, um eine halbherzige Reaktion zu erzwingen.

Nichs, was Anlass zum Hoffen gibt

Aber wie lange muss der Druck auf uns noch wachsen, bis die Regierung auf unsere Sorgen reagiert? Mehr als ein Jahr hatte sie nun Zeit dafür. Ein Jahr zur Kompetenzsteigerung des Lehrpersonals, um bestmöglichen Unterricht zu Hause zu garantieren. Ein Jahr, um alle Schulen mit ausreichend digitalen Lernmitteln auszustatten. Ein Jahr für die Entwicklung eines wirklich ausgefeilten Plans zur Öffnung der Bildungsstätten. Der Stufenplan, der existiert, wird seit Monaten nicht mehr angewandt. Viel früher schon hätte Teilunterricht in kleinen Gruppen stattfinden müssen. Lieber einige Zeit, wenn nötig auch längerfristig, halbtags in die Schule gehen, als zunächst monatelang dicht gedrängt Unterricht haben und anschließend auf nicht absehbare Zeit zu Hause zu vereinsamen.

Das Jahr ging vorüber und geschehen ist: nichts. Nichts, was Anlass zum Hoffen gibt, nichts, was Schüler:innen Perspektiven aufzeigen würde. Und das wird auf absehbare Zeit wohl auch so bleiben. Denn die Interessenvertretung von Schüler:innen, Student:innen und Auszubildenden gegenüber politischen Entscheidungsträger:innen ist nicht stark genug.

Carla Siepmann, Mila Kratochwil, Hannah Reschke, Elsa Thomsen, Shaira Geikowski

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