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Rede und Antwort. Hajo Seppelt beim Tempelhofer Schulbesuch

© Doris Spiekermann-Klaas

Pressefreiheit und Tücken sozialer Medien: ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt spricht mit Gymnasiasten

Von Feinden und Fake News: Journalist Hajo Seppelt besuchte ein Gymnasium. Der Dopingexperte berichtete von seiner Arbeit.

Die Vorhänge an den offenen Fenstern bewegen sich sanft im Wind, als eine Schülerin nach Morddrohungen fragt. „Haben Sie schon welche bekommen?“ Hajo Seppelt strafft seinen Oberkörper, dann sagt er: „Morddrohungen selber noch nicht. Aber es gibt Leute, vor allem in Russland, die lassen mich deutlich verstehen, wo sie mich am liebsten sehen würden.“

Seppelt sitzt an einem Tisch im Raum 111 des Askanischen Gymnasiums in Tempelhof, die Tafel im Rücken, die Klasse 10 s 3 vor sich. Der ARD-Reporter ist der bekannteste Doping-Journalist in Deutschland, er enthüllte zahlreiche Dopingskandale, er hat viele Feinde. Jetzt redet er über fake news, über Ethik des Journalismus, über Manipulationen im Internet, über die Bedeutung einer freien Presse. Er ist Zeitzeuge in einer Politikstunde. Und die Klasse hat viele Fragen, wie Lena zum Beispiel, die 15-Jährige

Auf seinem Stuhl vor der Tür hat Matthias Klaudius Unterlagen auf seine Oberschenkel gelegt, er ist der zuständige Lehrer, er hat die Klasse auf das Thema vorbereitet. Ein gesellschaftspolitisch sehr wichtiges Sujet, aber auch eher abstrakt, wenn es ein Pädagoge behandelt. Seppelt ist der Mann, der es sehr fassbar macht.

Die Nummer mit den fake news zum Beispiel. Doping in Kenia ist eines seiner brisanten Themen, und jemand versuchte, ihn dabei hereinzulegen. Dem Reporter wurde ein Film zugespielt, in dem ein kenianischer Langläufer und ein Arzt angeblich ganz offen über Dopingeinsatz redeten. Der Film war gefälscht, Seppelt hatte den Inhalt akribisch prüfen lassen. „Wenn ich ihn gesendet hätte, dann hätte ich ein Problem gehabt“, sagt er

Andere verbreiten bewusst Falschmeldungen

Aber andere prüfen nicht, andere verbreiten bewusst Falschmeldungen, sie wollen Meinungen steuern, bestimmte Ergebnisse erzwingen. „Wer manipulieren will, nutzt dafür die sozialen Medien als Plattform“, sagt Seppelt. Das ist das eigentliche Problem. Auf Twitter oder Facebook stehe dann, gleichbedeutend in Größe und Aufmachung, neben der staatstragenden Erklärung eines Regierungssprechers „der größte Unsinn“.

Bilder in sozialen Medien von Unfällen, Anschlägen, Demonstrationen oder von anderen Ereignisse können die Wirkung eines Brandbeschleunigers haben, wenn sie unkommentiert rauf und runter laufen. Jeder interpretiert rein, was ihm passt, im schlimmsten Fall auch etwas komplett Falsches. Nur wenn Journalisten oder andere Fachleute solche spektakulären Bilder kommentieren, ist eine korrekte Einordnung möglich.

Eine Schülerin hebt die Hand. „Sind fake news ein großes Problem?“, will sie wissen. Oh ja, das können sie sein. Seppelt erzählt jetzt die Geschichte von München und dem 18-jährigen Amokläufer. Der erschoss im Juli 2017 neun Menschen vor einer MacDonalds-Filiale. Panik brach aus.

Über Twitter und Facebook verbreitete sich rasend schnell die Meldung, auch in anderen Stadtteilen werde nun geschossen. Die Panik vergrößerte sich. Aber: alles gelogen, fake news. Allerdings mit der Wirkung einer Lawine, die sich ins Tal walzt. „Ihr dürft nicht alles glauben, was in den sozialen Medien steht“, sagt Seppelt.

Viel Instagram, wenig Abendschau

Seinen Job begann er, als noch Radio, Zeitungen und drei öffentlich-rechtliche Fernsehprogramme als Hauptquelle dienten. Und jetzt? „Wer von Euch sieht noch die RBB-Abendschau?“, fragt der ARD-Reporter Seppelt. Eine Hand hebt sich zögernd: die von Klaudius, dem Lehrer. „Und wer ist auf Instagram?“ Da schießen alle Hände nach oben.

Dummerweise stimmt aber nicht immer alles, was in seriösen Medien berichtet wird. Die monströsen Fälschungen des „Spiegel“-Reporters Claas Relotius, sagt Seppelt, „haben der ganzen Branche geschadet.“ Unzählige Journalisten würden in Sippenhaft genommen, viele Menschen fragten sich: Was läuft da schief?

„Gar nichts läuft schief“, antwortet Seppelt auf diese Frage. „Die meisten Journalisten arbeiten gut.“ Letztlich reduziert es sich auf einen Punkt: Vertrauen. „Ich muss mich darauf verlassen, dass Journalisten seriös sind.“ Und wer Flüchtigkeitsfehler zu einem Skandal aufbausche, „der verbreitet eine Verschwörungstheorie“.

Seppelt hat staatlich organisiertes Doping mitenthüllt

Welche Erfolge seriöser, gut recherchierter Journalismus haben kann, sieht er täglich an seiner Arbeit. „Durch unsere Berichte ist das Risiko, als Dopingsünder aufzufliegen, größer geworden. Durch unsere Berichte sind auch Regeln geändert werden.“ Kenia, ein gutes Beispiel. Früher lag das Land im Schlagschatten großer Dopingskandale in den USA und Russland. 2012 richtete Seppelt die Kamera auf das Land, das so viele Weltklasse-Langläufer hervorbringt.

Und prompt enthüllte er Dopingskandale. „Wenn wir nicht so intensiv berichtet hätten, dann hätten die Dopingjäger in Kenia nicht so genau hingeschaut.“

Auf Russland schaut man jetzt noch schärfer, Seppelt hat vor Jahren staatlich organisiertes Doping mitenthüllt, seither gilt er in Russland als persona non grata. Die russische Regierung verweigerte ihm 2018 ein Visum für die Fußball-WM. Das ist die harmlosere Reaktion. Es gibt viele heftigere. Deshalb, sagt Seppelt, habe er jemanden, der auf ihn aufpasse.

Der Aufpasser, ein früherer Polizist, sitzt am Ende des Klassenzimmers auf einem Tisch. „Ihr wisst gar nicht, in welch’ tollem Land ihr lebt“, sagt Seppelt. „Wir haben hier Presse- und Meinungsfreiheit. Das sind hier vergleichsweise paradiesische Zustände.“

„Herr Seppelt ist authentisch“

Es ist wahrscheinlich der wichtigste Satz bei seinen Erklärungen. Er fasst zusammen, was er den Schülern als Botschaft mitgeben möchte.

Die Wirkung ist zu hören. Marya ist 15 Jahre alt, ihre lockigen Haare fallen weit über die Schultern. „Es war sehr interessant“, sagt sie nach der Stunde. „Ich fand spannend, welchem Druck er standhalten muss. Und ich habe die Bestätigung erhalten, dass soziale Medien gefährlich sein können, wenn dort falsche Nachrichten transportiert werden. Jetzt gehe ich vorsichtiger und kritischer mit Nachrichten in sozialen Medien um.“

Neben ihr sitzt Matthias Klaudius, auch er ist zufrieden. „Herr Seppelt ist authentisch, das hat man gemerkt, es war eine sehr erfolgreiche Stunde.“ Klaudius hatte die Idee, Seppelt einzuladen.

Eine preiswerte Stunde Aufklärung über Demokratie und Medien. „Erhalten Sie für diesen Auftritt Geld?“, hatte ein Schüler gefragt. Seppelt antwortete lächelnd und knapp: „Nein.“

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