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Daniel Barenboim bei der Vorstellung des Projekts "Musikalische Schule".

© Jörg Carstensen/dp

„Musikalische Schule“ in Pankow: Wie Daniel Barenboim Berliner Kindern die Musik näherbringt

In Prenzlauer Berg startete der Dirigent ein Projekt, bei dem Kinder in der Grundschule Einzelunterricht am Klavier erhalten.

Der ältere Mann im braunen Jackett steht vor einem Bechstein-Flügel und blickt auf dutzende gereckte Finger. 28 Schüler der „Kornblumenklasse“ der „48. Grundschule Pankow“ in Prenzlauer Berg sitzen vor ihm, viele geben mit Gesten die Antwort auf seine Frage.

„Wie alt seid ihr?“ Zwischen fünf und neun Jahre signalisieren die Finger. Die „Kornblumenklasse“ ist eine „JüL-Klasse“. JüL bedeutet jahrgangsübergreifendes Lernen. Hier lernen erste, zweite und dritte Klasse gemeinsam. „Spielt jemand Klavier?“ Ein Mädchen mit langen, brauen Haaren hebt die Hand. „In welchem Alter hast du begonnen?“ – „Mit sechs.“ Der ältere Mann nickt. „Ich habe mit fünfeinhalb begonnen. Da war ich jünger als du.“

Er hebt den Kopf, jetzt sieht er wieder die ganze Klasse. „Soll ich euch etwas spielen? Muss aber nicht sein.“ Kleiner Scherz. Natürlich soll er etwas spielen, natürlich wollen die Kinder etwas hören. Deshalb sitzen sie ja jetzt aufgereiht in einem großen, lichtdurchfluteten Raum der Schule.

Also setzt sich Daniel Barenboim an den Flügel. Seine Finger berühren fast ehrfürchtig die Tasten. Dann spielt der weltbekannte Dirigent und Pianist, jahrelang Musikdirektor der Mailänder Scala und Chefdirigent der Staatskapelle Berlin auf Lebenszeit, aus Robert Schumanns Fantasiestücken das Stück „Des Abends.“ Die Kinder sind ergriffen. „Bitte, bitte nochmal etwas.“ Barenboim spielt ein Stück von Franz Schubert.

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Die Klänge von Schumann und Schubert haben 28 Schüler einen weiteren kleinen Schritt in die Welt der Musik geführt. Die ersten tastenden Schritte haben sie zu Schuljahresbeginn unternommen. Barenboim hat sie auf diesen Weg geführt, unterstützt von der Senatsbildungsverwaltung und dem Bezirk Pankow.

Die 48. Grundschule ist nicht bloß ein schnöder modularer Ergänzungsbau mit 200 Schülern, die bis Januar 2023 durch einen Neubau auf 550 Schüler anwachsen soll. Hier ist auch die „Musikalische Schule“, ein Projekt der Barenboim-Stiftung. Am vergangenen Donnerstag ist sie offiziell vorgestellt worden – mit dem Maestro am Flügel als Höhepunkt der Zeremonie.

„Musik ist wichtig für die emotionale Entwicklung von Kindern“

Der Kerngedanke des Projekts steckt in dem Satz, den Barenboim nach seinem Auftritt formuliert. „Musik ist wichtig für die emotionale Entwicklung von Kindern. Seit langem ist klar, dass Musik das emotionale Gleichgewicht fördert.“

Sandra Scheffel, die Schulleiterin der 48. Grundschule, überträgt diese Erkenntnis auf die pädagogische Ebene. „Ziel ist es, jedes Kind an der Schule musikalisch zu fördern, unabhängig davon, ob es musikalische Vorkenntnisse besitzt.“

Diese Förderung besteht aus 45 Minuten Einzelunterricht am Klavier pro Woche, aufgeteilt in drei Mal 15 Minuten. Ausbildung ergänzend zum normalen Musikunterricht, die Inhalte sind eng verzahnt. Elemente des regulären Unterrichts werden in den Einzelstunden aufgenommen. Berlin besitzt 17 musikorientierte Schulen, aber so ein Angebot wie die 48. Grundschule hat keine.

Die Schule ist Montessori-orientiert, jeder Schüler hat in der Woche acht Freistunden, in denen er persönliche Dinge organisieren oder erledigen kann. Eine dieser Freistunden ist jetzt für die musikalische Ausbildung reserviert. Jedes Kind kann selbst bestimmen, wann es sich an die Tasten setzt.

Drei Klavierlehrer, bezahlt von der Stiftung, kümmern sich um die Schüler, zwei davon sind aus Ägypten beziehungsweise aus Syrien. „Mich als Israeli macht das besonders stolz“, sagt Barenboim.

Musik hat für Barenboim eine enorme gesellschaftspolitische Bedeutung

Für den Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper Unter den Linden ist klassische Musik in der Lage, Trennungen zu überwinden und Widerstand gegen Ignoranz zu leisten, Musik hat für ihn auch eine enorme gesellschaftspolitische Bedeutung. Auch diese Philosophie fließt in seine Stiftungsarbeit.

Er hat Klavierspielen von seinen Eltern gelernt, beide waren Musiker, und er hat sich den Noten und den Tasten ohne Druck und ohne Angst genähert. Genau dieses entspannte Gefühl will er mit seinem Projekt auch den Schülern vermitteln. Sie sollen Spaß und Freude haben, sie sollen Musik nicht als Belastung und Leistungsdruck empfinden.

Klavier, sagt Barenboim, „ist am besten dazu geeignet, ein erstes Instrument zu üben. Man lernt dabei nicht bloß Harmonie, sondern auch Melodie. Das ist die Basis für alle weiteren Instrumente, die man lernen möchte.“ Deshalb sagt der 78-Jährige auch: „In meiner Traumwelt gehen wir mit diesem Projekt bis in die Abiturklassen.“

Grundsätzlich kein Problem, sagt Bildungssenatorin. Sandra Scheeres (SPD). Sie sitzt neben Barenboim, sie war schon begeistert von dem Projekt, als es der Dirigent ihr und dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) vorgestellt hatte. „Wir haben es erstmal auf sechs Jahre konzipiert“, sagt Sandra Scheeres. „Nichts spricht dagegen, dass es länger gehen wird.“

Bis jetzt ist das Projekt auf die „Kornblumenklasse“ beschränkt

Bis jetzt ist es allerdings erstmal auf die „Kornblumenklasse“ beschränkt. „Wir müssen Schritt für Schritt vorgehen“, sagt Sandra Scheffel. „Noch fehlen Räume und Personal, um alle 200 Schüler unterrichten zu können. Die Stundenpläne müssen angepasst und die Eltern eingebunden werden.“ Zwei Räume werden extra für den Einzelunterricht geschaffen. Im nächsten Schuljahr soll eine zweite Klasse hinzukommen. Und irgendwann könnte das Projekt durchaus auf ganz Berlin ausgeweitet werden, geistige Grenzen werden derzeit nicht gezogen. 180.000 Euro kostet die „Musikalische Schule“ pro Jahr. Das ist der aktuelle Stand.

Und dass das Projekt ausgerechnet in dieser Schule in der Nähe des Velodroms beginnt, ist kein Zufall. Eine Lehrerin der Schule hatte gehört, dass die Barenboim-Stiftung das Projekt entwickelt, und setzte sich dafür ein, dass es an ihrer Einrichtung verwirklicht wird.

Ein Neunjähriger übt mit seinem Klavierlehrer

Im ersten Stock sitzt ein Neunjähriger an einem der sieben Klaviere, welche die Schule besitzt. Neben ihm hat Yasser Mokhtar Platz genommen, der Klavierlehrer. Mokhtar kommt aus Ägypten, er ist einer der Pädagogen, auf die Barenboim so stolz ist. Jetzt führt er die Finger des Jungen, er drückt sie sanft auf die Tasten, die Melodie von „Ich und du, Müllers Kuh“, erfüllt den Raum. „Kannst du das auch allein spielen“, fragt Mokhtar, aber der Junge schüttelt leicht den Kopf. Noch ist es zu früh, kein Problem.

Mokhtar zieht aus einer weinroten Mappe ein Notenblatt. Die Noten sind bunt aufgemalt, wieder drückt er sanft die Finger des Jungen auf die Tasten. „Danach“, sagt er dann, „üben wir etwas Neues.“ Der Junge nickt.

So sieht das Projekt in der Praxis aus. Und es hat sich herumgesprochen, dass hier wunderbar Kinder in die Welt der Noten und Klänge geführt werden. Sandra Scheffel musste schon mehrfach eine Frage von Eltern beantworten: „Können wir unser Kind auch an Ihre Schule bringen?“

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