zum Hauptinhalt
Mobbing kann an jeder Schule vorkommen.

© imago

Methoden gegen Mobbing an Berliner Schulen: Die Opfer stärken

Das Sophie-Charlotte-Gymnasium will Mobbing nicht hinnehmen. Es setzt auf das Programm des Vereins Contigo, das die Lehrer überzeugt hat.

Es sind meistens die Opfer von Mobbing, die schließlich keinen anderen Ausweg sehen, als die Schule zu verlassen, während die Täter bleiben. Diesen Umstand findet Martina Scheyhing unerträglich – und das war der Anlass, dass sich die Lehrerin vor ein paar Jahren aufmachte, nach neuen, besseren Wegen zum Umgang mit Mobbingfällen zu suchen. An ihrer Schule, dem Sophie-Charlotte-Gymnasium in Charlottenburg, sei Mobbing eigentlich kein besonders großes Problem – „aber es kommt vor, wie an jeder Schule“, sagt Scheyhing. Von ein bis zwei Fällen im Jahr erfahre sie in der Regel.

Scheyhing wurde dann auf das Angebot des Vereins Contigo aufmerksam. Ihr Mann, der an einem anderen Berliner Gymnasium unterrichtete, hatte einen Vortrag von Walter Taglieber, dem Vereinsvorsitzenden und Autor der „Anti-Mobbing-Fibel“, gehört. „Taglieber kam rein, sagte zu einer Person im Publikum, dass sie einen seltsamen Pullover anhabe, und andere kicherten dann. Dann sagte er: ,Sehen Sie, das ist eigentlich schon Mobbing.‘“

Zwei Jahre Ausbildung

Der Verein Contigo bietet ein zweijähriges Ausbildungskonzept an, bei dem sich Lehrkräfte, Schüler und Eltern schulen lassen. Am Ende bekommt die Schule eine Auszeichnung als „Contigo-Schule ohne Mobbing“. Scheyhing konnte ihre Schulleitung und Kollegen schnell davon überzeugen, dass dies der richtige Weg ist. „Ich habe ganz viel Zuspruch und den Wunsch, sich zu engagieren, erlebt“, sagt Scheyhing. Die Plakette, die das Gymnasium als „Schule ohne Mobbing“ auszeichnet, hängt im Eingangsbereich: „Wir sind schon ein wenig stolz darauf.“

Das Besondere am Contigo-Konzept ist, dass es nicht um die Bestrafung der Täter geht. „Es geht immer darum, das Opfer zu stärken und das Mobbing zu unterbinden.“ Man müsse erst mal umdenken, gibt Scheyhing zu, denn meistens verspürten auch Lehrkräfte zunächst den Wunsch nach einer „gerechten“ Strafe. „Das bringt aber nach meiner Erfahrung meist nicht viel.“ Früher seien Mobbingfälle oft im Klassenrat besprochen worden, sagt Scheyhing. Aber dadurch, dass das Mobbing vor allen anderen benannt und besprochen wurde, sei das negative Verhalten oft eher noch bestärkt worden.

"No Blame Approach" und "Farsta-Methode"

Die Methoden, die nun zum Einsatz kommen, heißen „No Blame Approach“ und „Farsta-Methode“. Bei beiden Vorgehensweisen wird zunächst vertraulich mit dem Opfer gesprochen, ihm Unterstützung zugesagt und mit ihm gemeinsam das weitere Vorgehen abgestimmt.

Die Farsta-Methode heißt nach einem Stockholmer Stadtteil, dort wurde sie entwickelt. Man knöpft sich dabei die Täter in Einzelgesprächen vor und konfrontiert sie. „Man sagt zum Beispiel: Schülerin XY wird gemobbt und wir glauben, dass du damit etwas zu tun hast“, erklärt Scheyhing. Meistens weisen die Täter das dann zurück oder rechtfertigen ihr Tun („XY hat aber doch dies und das getan, die anderen machen das auch“ oder Ähnliches). Für all diese Reaktionen bekommen die Lehrer in der Contigo-Schulung Tipps an die Hand, wie sie darauf antworten können. „Dann sagt man: Wir waren nicht dabei. Wenn du es nicht getan hast, erwarten wir, dass du es auch weiterhin nicht tust. Wir beobachten dich ab jetzt.“

Die zweite Methode heißt „No Blame Approach“. Dabei wird eine Unterstützergruppe von sechs bis acht Schülern gebildet, zu der Täter, Unterstützer des Opfers, Mithelfer des Mobbings und bisher Unbeteiligte gehören. „Wir laden diese Schüler gemeinsam ein und sagen: Wir brauchen euch, weil XY gemobbt wird. Wir haben euch ausgewählt, weil ihr bestimmte Stärken habt“, sagt Scheyhing. Auch dem Täter sagt man das. Zum Beispiel: „Ich brauche dich, weil du so durchsetzungsfähig bist. Auf dich hören alle.“ Schuldzuweisungen werden nicht gemacht. Die Wirkung sei erstaunlich, erzählt Scheyhing. „Die Täter sind meistens verwundert, etwas Positives über sich zu hören, und dann eher bereit, mit Verantwortung zu übernehmen, dass das Mobbing aufhört.“ Bei beiden Methoden wird mit dem Opfer Rücksprache gehalten, ob sich die Situation verbessert hat.

Bei Cybermobbing wird es für die Schule schwierig

So überzeugt sie von dem Contigo-Programm ist – Scheyhing sagt, dass es auch seine Grenzen habe. „Wir können nur etwas tun, wenn wir von den Mobbingfällen erfahren und wenn die Opfer wollen, dass wir einschreiten.“ Am Anfang jedes Schuljahres werde das Programm in den siebten Klassen vorgestellt und in den höheren Klassen daran erinnert. Eltern werden regelmäßig auf Elternabenden informiert. Rund 30 Lehrkräfte der Schule haben die Contigo-Ausbildung gemacht. So dürften alle Schüler eine Lehrkraft finden, die sie kennen. Ein Aushang im Eingangsbereich der Schule informiert über das Programm und die Ansprechpartner.

Noch eine weitere Einschränkung macht Scheyhing: „Bei Cybermobbing kommen wir schlecht ran, weil das oft außerhalb der Schule stattfindet.“ Aber auch dieses Thema will die Schule angehen: mit Fortbildungen zum Thema Medienpädagogik und Materialien, die die Initiative Klicksafe zur Verfügung stellt.

Und was ist mit dem Ziel, dass nicht die Mobbingopfer die Schule verlassen? „Das haben wir schon ein paarmal geschafft“, sagt Scheyhing.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false