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Trapez, Akrobatik, Seiltanz. Im Cabuwazi-Ferienworkshop dürfen sich die Kinder zwei Disziplinen aussuchen.

© Mike Wolff

Kinderzirkus Cabuwazi: Mit Anlauf über den eigenen Schatten springen

Im Kinderzirkus Cabuwazi lernen Kinder nicht nur Geschicklichkeit, sondern auch, selbstbewusst aufzutreten. In den Ferienworkshops und Schulprojekten gibt es für jeden eine besondere Aufgabe auszufüllen.

Luanara ist ein bisschen der Star der jungen Zirkustruppe. Alle Kinder vom Ferienworkshop im Kreuzberger Cabuwazi-Zirkus erkennen das der 10-Jährigen neidlos an und betonen, dass sie super ist beim Seillauf und vor allem: Sie kann einen Salto. Jetzt balanciert Luanara langsam auf dem Seil, das etwa 30 Zentimeter über dem Boden gespannt ist. Daneben steht der Jüngste in der Truppe, Rémi, er ist fünf Jahre alt. Luanara stützt sich im Vorübergehen auf seinem Kopf ab – ohne Rémi würde sie den Balanceakt nicht bis zum Ende schaffen.

Es ist die Generalprobe vor dem großen Auftritt: Am nächsten Tag kommen die Eltern und sehen sich an, was die Kinder in einer Woche von ihren Trainerinnen Dajana und Hanna gelernt haben. Auch bei der Akrobatikvorführung hat Rémi eine wichtige Rolle: Er ist der melancholische Straßenkehrer. Mit Besen in der Hand eröffnet er die Nummer zu den Klängen des Gassenhauers „Lollipop“, indem er für einen lupenreinen Boden sorgt, bevor die anderen mit ihrer Regenschirm-Tanznummer beginnen.

Jeder Einzelne hat eine einzigartige Rolle zu füllen – das ist das Konzept des Kinderzirkus Cabuwazi. Zu Beginn des Ferienworkshops wird den Kindern gezeigt, was sie alles machen können: Diesmal sind es Akrobatik, Trapez, Tuch, Minitrampolin, Drahtseil und Kugellaufen. Jeder darf zwei Disziplinen auswählen. Man verlässt sich aufeinander und vertraut sich gegenseitig, etwa bei den Hilfestellungen. Wenn dann doch mal etwas schief geht, ist niemand böse. „Im Zirkus lacht man einfach weiter – auch wenn beim Jonglieren mal was runterfällt“, sagt Cabuwazi-Chef Karl Köckenberger.

Was die Kinder neben der Geschicklichkeit auch noch lernen: sich aufeinander zu verlassen und im Team zu arbeiten – zum Beispiel bei der lebenden Pyramide.  
Was die Kinder neben der Geschicklichkeit auch noch lernen: sich aufeinander zu verlassen und im Team zu arbeiten – zum Beispiel bei der lebenden Pyramide.  

©  Mike Wolff

Für den 56-Jährigen ist Zirkus fast schon ein Lebensgefühl. Er hat einen Stapel Unterlagen mitgebracht, schließlich gibt es viel zu erzählen: Er ist Geschäftsführer des Cabuwazi-Trägervereins Grenzkultur, Vereinsvorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Kinder- und Jugendzirkus und im Vorstand der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Zirkuspädagogik. Grenzkultur betreibt mittlerweile fünf Zelte in Berlin: in Kreuzberg, Friedrichshain, Treptow, Marzahn und Altglienicke. Nachdem Köckenberger sich 2007 aus dem Vorstand des damaligen Cabuwazi e. V. zurückgezogen hatte, eröffnete er mit Grenzkultur das shake!-Zelt in Friedrichshain, das am Postbahnhof auch professionelle Artisten sowie Theater, Konzerte und Partys in die Manege lässt. 2010 ging Cabuwazi pleite und Köckenberger kaufte die Zelte aus der Insolvenz – und kehrte damit zurück in den Zirkus, den er 1994 aus einem Freizeitvergnügen, dem „Kreuzberger Einradchaos“, gegründet hatte. In der Lausitzer Straße fing es an.

Direkt um die Ecke, am Görlitzer Park, feilen nun die 15 Ferienkinder weiter an ihrer Abschlussaufführung. Auf der Tribüne sitzen Monika und Karlotta, beide 7, und warten auf ihren Einsatz. Sie rätseln, ob die beiden Pappmascheeschornsteine, die gerade aus dem Cabuwazi-Zirkus in Friedrichshain geliefert wurden, wohl echt sind. Später bei der Seiltanznummer soll es so aussehen, als sei das Seil zwischen den Schornsteinen auf einem Dach gespannt. Jetzt hüpft Greta, 7, daran vorbei, im Schwarzlicht glühen ihr T-Shirt und ihre weißen Socken. In wenigen Tagen wird sie einen kleinen Bruder bekommen. Weil ihre Eltern deshalb nicht viel Zeit haben, wollte sie in den Zirkus gehen. Greta macht Trapez und Akrobatik, auch wenn sie sich anfangs überwinden musste: „Ich hab’ dann so ein Kribbeln im Bauch. Aber wenn ich fertig bin, bin ich ganz glücklich.“

Für den stärkenden Einfluss, den Zirkus auf Kinder haben kann, hat Wolfgang Pruisken, wie Köckenberger im Vorstand der BAG Zirkuspädagogik, eine einfache Erklärung: „Die Pädagogik fordert, an die Stärken der Kinder anzuknüpfen. Bin ich aber Mathelehrer, dann habe ich bei manchen Schülern ein Problem.“ Im Zirkus finde sich immer eine Aufgabe, bei der die Kinder sich bewähren können. Mittlerweile können die Kinder bei Cabuwazi auch rund um den Zirkusbetrieb aktiv werden, etwa in der Kostümwerkstatt, in der Tischlerei oder beim Bühnenlicht. Neben dem Freizeitprogramm arbeitet Cabuwazi mit rund 80 Berliner Schulen zusammen – und es sollen mehr werden. Auf der Webseite der LAG Kinder- und Jugendzirkus Berlin-Brandenburg prangt kühn eine Vision: „Jede Schule in jedem Bezirk braucht einen Zirkus.“ Cabuwazi muss das aber nicht alleine machen – es gibt Hilfe, zum Beispiel vom Neuköllner Kinderzirkus Mondeo.

Mit der Hilfe der anderen gelingt auch der Balanceakt.
Mit der Hilfe der anderen gelingt auch der Balanceakt.

© Mike Wolff

Karin Laurenz ist seit 2007 Leiterin der Friedrichshainer Blumen-Grundschule, seitdem arbeitet sie mit Cabuwazi zusammen. In Projektwochen gehen die Schüler täglich in den Zirkus, die Hortkinder sind einmal pro Woche dort. Manchmal kommen Trainer in die Schule, in Deutsch werden Aufsätze über Zirkusabenteuer fabuliert, im Geschichtsunterricht die Geschichte des Zirkus durchgenommen. Am Jahresende gibt es eine große Zirkus-Weihnachtsshow. „Die Kinder bekommen dadurch Selbstbewusstsein“, sagt Laurenz. Eine Schülerin, die im Unterricht häufig störte, habe sie besonders beeindruckt: Bei der Aufführung half sie ihren Mitschülern und arbeitete vorbildlich im Team.

Auch Greta muss noch mehrmals über ihren Schatten springen. Für die Regenschirmnummer soll sie einen Regenmantel tragen. „Dabei regnet es hier drin ja gar nicht!“ sagt sie. Da kommt sie sich ein bisschen blöd vor. Außerdem hat sie Bedenken, dass sie mit Mantel noch schwerer ist, wenn sie für die Pyramide auf Lindas Schultern steigen muss. Aber alles läuft glatt, auch Luanaras Salto auf dem Mini-Trampolin.

Während des letzten Durchlaufs lassen sich die Kinder auch nicht vom Tagesspiegel-Fotografen aus der Fassung bringen. Nur Moritz, 6, fragt: „Warum macht ihr Fotos?“ „Damit die ganze Stadt weiß, wie gut ihr seid“, sagt der Fotograf. Aber Moritz ist nicht beeindruckt: „Es reicht, wenn wir das wissen.“

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