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Reformerprobt. Jens Großpietsch leitete die Heinrich-von-Stephan-Schule in Moabit.

© Doris Spiekermann-Klaas

Interview mit Moabiter Rektor: "Schlechte Schulen sollte man schließen"

Jens Großpietsch, Rektor an der Moabiter Heinrich-von-Stephan-Schule, hat in schwierigem Umfeld viele Krisen erfolgreich gemeistert. Für gescheiterte Schulleiter und andere Bildungsprobleme schlägt er radikale Lösungen vor.

Ein paar Dutzend Berliner Schulen werden von den Familien extrem gemieden, viele von ihnen haben miserable Inspektionsberichte. Dennoch müssen dort tausende Kinder ihre Schulzeit verbringen. Muss man das hinnehmen?

Der Senat sollte das nicht hinnehmen. Wenn beide Indikatoren zusammenkommen – schlechter Inspektionsbericht und wenig Anmeldungen – stimmt etwas nicht. Dann muss man etwas tun.

Was schlagen Sie vor?

Man sollte einer Schule drei bis vier Jahre Zeit für Verbesserungen geben. Wenn dabei nichts rauskommt, sollte man sie auflösen und dort Filialen von guten Schulen aufmachen.

Wie soll das praktisch gehen?

Wenn eine Schule mehr Anmeldungen als Plätze hat und gute Arbeit macht, sollte man sie bis zum Rand voll machen und dann teilen. Das ist zwar anstrengend für alle und keiner wünscht sich das, aber man muss es tun – den Schülern zuliebe.

Und was passiert dann mit den Schulleitern, die gescheitert sind?

Die sollten wieder als Lehrer arbeiten.

Kein Schulleiter wird sich darauf einlassen, degradiert zu werden und weniger zu verdienen. Das Beamtenrecht schützt ihn doch.

Das Beamtenrecht muss geändert werden. Beförderungen sollte es generell nur auf Zeit geben: Schulleiter, Konrektoren, Fachbereichsleiter sollten sich alle drei Jahre zur Wiederwahl stellen.

Selbst wenn Berlin daran festhält, nicht mehr zu verbeamten: Die jetzigen Schulleiter sind fast alle Beamte, es dauert noch Jahrzehnte, bis alle im Ruhestand sind.

Dann muss man eben Zwischenlösungen finden. An unserer Schule haben wir uns freiwillig verpflichtet, uns immer wieder zur Wahl zu stellen. Das ist eine moralische, eine rechtliche Verpflichtung.

Aber zwingt das einen Schulleiter nicht, sich bei den Kollegen beliebt zu machen, indem er wenig fordert?

Für wie blöd hält man die Kollegen? Sie wählen einen Schulleiter nicht ab, wenn er gute Arbeit macht, sondern wenn er schlechte Arbeit macht. Durch die Wahl bekommen sie die Möglichkeit, sich vor schlechten Schulleitern zu schützen.

Und wer schützt die Schüler vor schlechten Lehrern?

Ein Schulleiter muss klar sagen, was er erwartet. Damit eine Schule funktioniert, braucht man ein Drittel Kollegen, für die die Schule ein extrem wichtiger Teil ihres Lebens ist und weitere 50 Prozent, die richtig mitmachen. Wer nicht mitziehen will, sollte sich eine andere Schule suchen.

Brennpunktschulen beklagen, dass es für sie schwer ist, Lehrer zu bekommen, von guten ganz zu schweigen.

Man darf an Brennpunktschulen keine Wanderpokale schicken, die keiner will, sondern Leute, die bereit sind, mehr zu arbeiten als üblich. Die Brennpunktschulen brauchen deshalb ein Zugriffsrecht auf neue Lehrer. Die Rütli-Schule etwa wäre so vor dem Schlimmsten bewahrt worden.

Sieben Jahre dauert es, um eine Schule aus dem Tief zu holen

Was raten Sie Brennpunktschulen, die wieder attraktiver werden wollen?

Erst mal darf sich die Schulleitung nicht abschrecken lassen, wenn die Kollegen bei Vorschlägen mit Floskeln reagieren wie ’Das hätte ich nicht von Dir erwartet’, ’Wo kommen wir denn da hin?’, ’Das ist rechtlich nicht zulässig’ oder ’Wenn ich das jetzt machen soll, dann kann ich das und das aber nicht mehr machen’.

Und dann?

Als wir 1988 ganz unten waren mit nur noch sieben Anmeldungen, waren wir so verzweifelt, dass wir zu allem bereit waren. Wir wussten, dass nur eine soziale Mischung eine Verhaltensänderung bringt. Darum haben wir damals durchgesetzt, dass wir eine verbundene Haupt- und Realschule werden.

Wir haben jetzt einige Sekundarschulen, die noch immer so schlecht funktionieren wie früher als Hauptschule. Das neue Label allein bringt es ja nicht.

Wenn man bildungsorientierte Familien überzeugen will, muss eine Schule relativ gewaltfrei sein, und die Eltern müssen erleben, dass auch die leistungsstärkeren Kinder entsprechend gefordert und gefördert werden. Man muss eine Atmosphäre der Wertschätzung schaffen, die Eltern müssen merken, dass man sie ernst nimmt.

Und sonst?

Für uns war entscheidend, dass immer zwei Lehrer in der Klasse sind und dass es feste Lehrerteams für jeden Jahrgang gibt. Diese Teams haben jede Woche eine zweistündige Besprechung, um sich über die aktuelle Entwicklung in der Klasse auszutauschen und darauf zu reagieren und den Unterricht zu planen. Zweimal im Jahr gibt es ein 30-minütiges Schüler-Lehrer-Elterngespräch, das protokolliert werden muss. Außerdem hat jede Klasse zwei Klassenlehrer, von denen immer einer in der Schule mit den Kindern zu Mittag isst.

Wie lange dauert es, eine Schule aus dem Tief zu holen?

Um eine Schule grundlegend zu ändern, braucht man wohl sieben Jahre. Aber kleine Erfolge sieht man schon eher. Wir hatten im ersten Jahr unserer Reform nur zehn Prozent Kinder mit Realschul- und 90 Prozent mit Hauptschulempfehlung. Dann ist das explodiert und irgendwann hatten wir mehr Real- als Hauptschüler. Heute haben wir für 104 Plätze 220 Anmeldungen, darunter 27 Schüler mit Gymnasialempfehlung.

Manche Sekundarschulen fassen die leistungsstärkeren Schüler in speziellen Profilklassen zusammen. Ist das ein Weg für Ihre Schule?

Nein. Wir verteilen die gymnasialempfohlenen Kinder gleichmäßig auf alle Klassen und arbeiten mit einer sehr starken Binnendifferenzierung auf drei bis fünf Niveaus. Das ist viel Arbeit, aber es ist der richtige Weg.

Die Gustav-Falke-Grundschule in Wedding hat spezielle Klassen für Kinder mit guten Deutschkenntnissen aufgemacht, um bildungsnahe Eltern im sozialen Brennpunkt zu halten. Ist das ein Modell auch für Oberschulen ?

Grundschulen können diese Klassen nach der Schulanfangsphase neu zusammenstellen, für Sekundarschulen gilt das nicht. Das würde bedeuten, dass sie unter ihrem Dach dauerhaft zwei Schultypen hätten. Unser Beispiel zeigt, dass es einen anderen Weg gibt, ohne die Schüler aufzuteilen und ihnen immer wieder das Gefühl zu geben, dass man sie irgendwie abgeschrieben hat.

Seit etwa 15 Jahren ist in Berlin Ihre Erfolgsgeschichte bekannt. Dennoch gibt es noch immer Schulen, die vor sich hindümpeln. Kommen die Rektoren nicht zu Ihnen, um zu erfahren, wie Sie es geschafft haben?

Zwei waren mal da. Aber in einem Fall ist das Jahre her.

Das Gespräch führte Susanne Vieth-Entus

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