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Entwickelte die Lehrer-Bewertungs-App "Lernsieg": Benjamin Hadrigan, hier bei einer Pressekonferenz in Wien.

© Georg Hochmuth/dpa

Update

Hassmails gegen "Lernsieg": Lehrer-Bewertungs-App vorläufig offline

„Lernsieg“ heißt die neue App, mit der Schüler ihre Schulen und Lehrer bewerten können. Nach nur drei Tagen ging sie jetzt vom Netz.

Unerwartete Wendung bei dem am Freitag mit großer Wucht gestarteten Bewertungs-Portal für Schüler: "Die App 'Lernsieg' ist vorläufig vom Netz", ließ das österreichische Unternehmen am Dienstag mitteilen. Begründet wurde dieser Schritt mit "Hassmails". Gleichzeitig wurde auf den großen Erfolg der App verwiesen.

Wie groß der Zuspruch in Deutschland und Berlin bis zu diesem Zeitpunkt war, ist bislang nicht bekannt. Lehrer und Schulen können maximal fünf "Sterne" erhalten.

"Mehr als 70.000 Downloads haben sie am Wochenende zur Nummer 1 im Ranking der Apps gemacht, vor Apps wie WhatsApp oder Instagram", hieß es seitens des Unternehmens, das von dem 17-jährigen Wiener

Benjamin Hadrigan initiiert worden war. Für Schulen hätten sich daraus bis Montag 13 Uhr über 16.000 Bewertungen ergeben, für Lehrerinnen und Lehrer über 127.000. Der Schüler wird bei dem Projekt von einem Medienanwalt und einem Konsortium von Investoren unterstützt.

"Im Schnitt fielen die Bewertungen positiv aus"

"Die Bewertungen fielen im Schnitt recht positiv aus. Schulen erhielten durchschnittlich 3,88 Sterne, Lehrer 3,96 Sterne, was im Schulnotensystem einem „gut“ entspricht. Der am meisten bewertete Lehrer sei sogar auf 75 Bewertungen und kam auf 4,77 Sterne.

Trotz des positiven Gesamtbildes sei Hadrigan "mit einer Flut an Hass-E-Mails konfrontiert worden, die einem Schüler weder in Menge noch Inhalt zumutbar sind". Hadrigan und sein Team hätten sich deshalb entschlossen, die App "vorübergehend aus dem Netz zu nehmen, um eine Strategie für solche Angriffe zu entwickeln". 

Am Zeitplan für die neuerliche Freischaltung der App werde gearbeitet.

Kritik an "Lernsieg" von Gewerkschaften

Das Portal war unter viel Beachtung und Kritik am Freitag in Deutschland und Österreich gestartet. „Wir etablieren damit eine Feedbackkultur, und Schülerinnen und Schülern bekommen so eine Stimme“, sagte der 17-jährige Ideengeber Benjamin Hadrigan anlässlich des Auftakts.

Engagierte Pädagogen erhielten zu wenig Rückmeldungen, mit der App werde das anders. Die Berliner GEW warnte am Montag, die App „zerstöre“ die Beziehung zwischen Lehrkräften und Schülern und sei ungeeignet, „die Schulentwicklung voranzubringen“.

Und jetzt? Lehrer fühlen sich anonymen Beschimpfungen ausgeliefert.
Und jetzt? Lehrer fühlen sich anonymen Beschimpfungen ausgeliefert.

© Thomas Imo/Imago/photothek.net

"Spickmich" gibt es seit 2014 nicht mehr

„Lernsieg“ ähnelt dem 2014 ohne Angabe von Gründen eingestellten Portal „Spickmich.de“, das vor rund zehn Jahren Lehrer beunruhigte: Ihre Versuche, es auf dem Rechtsweg abschalten zu lassen, scheiterten. Auf „Lernsieg“ können Schüler anders als damals bei „Spickmich“ keine Kommentare über ihre Lehrer hochladen, sondern ausschließlich anhand vorgegebener Kriterien wie Unterrichtsqualität oder Pünktlichkeit mit Sternen bewerten. Der Vorsitzende der österreichischen Gewerkschaft der Pflichtschullehrer, Paul Kimberger, kündigte rechtliche Schritte an.

"Feedbackkultur könnte Schaden nehmen"

Angesichts der juristischen Erfahrungen mit dem Portal „Spickmich“ geht die Bildungsverwaltung davon aus, dass auch die neue App nicht rechtswidrig sein dürfte. Sprecher Martin Klesmann betonte, dass die Verwaltung „prinzipiell einen offenen Dialog zwischen Lehrkräften und ihren Schülern“ befürworte und eine Feedbackkultur für einen wichtigen Bestandteil des schulischen Miteinanders halte. Es stehe aber zu befürchten, dass eine externe Bewertungsapp „unsachlichen Bewertungen Vorschub leistet“, was der Akzeptanz von Evaluationsprozessen abträglich sein dürfte.

Verbale und tätliche Übergriffe auf Schulpersonal nach Bezirken und Schuljahren. Für ganze Ansicht auf das Bild klicken.
Verbale und tätliche Übergriffe auf Schulpersonal nach Bezirken und Schuljahren. Für ganze Ansicht auf das Bild klicken.

© Tagesspiegel

„Bewertungsportale dürfen die Namen von Personen auch ohne deren Einwilligung nennen, wenn sich der Portalbetreiber auf Kommunikationsfreiheit berufen kann oder auf ein berechtigtes Interesse, das die Persönlichkeits- und Datenschutzrechte der Betroffenen überwiegt“, erläuterte am Montag Niko Härting, Experte für Internetrecht, im Tagesspiegel unter Bezug auf ein Urteil des Bundesgerichtshofes von 2009. Daher müssten es auch Ärzte oder etwa Anwälte hinnehmen, dass man über sie ungefragt Bewertungen publiziere. Rechtlich maßgebend sei jeweils eine Abwägung der Interessen im Einzelfall, führte Härting aus.

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Da es auf eine Abwägung ankomme, lasse sich ohne nähere Informationen nicht beurteilen, ob „Lernsieg“ rechtlich in Ordnung sei. Jedenfalls sei ein solches Vorhaben „rechtssicher gestaltbar, wenn man sich an die Vorgaben des ,Spickmich.de‘-Urteils hält“.

Zuletzt im Juni unterlagen Schüler vor Gericht: Sie hatten den erlaubten Rahmen verlassen und waren vom Unterricht suspendiert worden, weil sie ihre Lehrerin im Netz bloßgestellt hatten. Neben Cybermobbing sind auch Handgreiflichkeiten gegen Lehrer ein zunehmendes Problem. (mit dpa)

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