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"Das gute Leben ist für mich ..." Diese Tafel hing im Lichtenberger Kaskelkiez und durfte mit Wünschen ergänzt werden. Eine gute Schule war auch dabei.

© Henning Onken

Gegenentwurf zum Chaos: Warum wir unser Kind auf eine freie Schule geschickt haben

Dauerausfall des Unterrichts, Container auf dem Spielplatz. Viele öffentliche Grundschulen versagen als Lernorte. Doch es geht auch anders.

Berlins Erstklässler haben in den vergangenen Jahren selten ein gutes Los erwischt. Zumindest an staatlichen Schulen, und das ganz besonders in Lichtenberg. Lehrerinnen und Erzieher fehlen fast überall, dauernd fällt der Unterricht aus, im Hort geht es drunter und drüber. „Mein Sohn sitzt nur noch unterm Tisch, der Klassenlehrer hat ihn einfach aufgegeben“. „Unser Kind wird gemobbt!“ So erzählt man sich in meiner ehemaligen Nachbarschaft in Ostkreuznähe.

Eine Bekannte hatte sich für einen Quereinstieg an einer Grundschule beworben und wurde prompt als Klassenlehrerin eingetaktet, wie sie erzählt. Einfach ohne Erfahrung und Ausbildung vor die Kinder gestellt. Sie ist schnell in ihren alten Job geflüchtet und macht wieder Pressearbeit.

Eine verzweifelte Schulverwaltung, die jeden als Lehrkraft rekrutiert, der nicht bei drei auf dem Baum ist. Da ist der Weg nicht weit zu einer bissigen Satire der TV-Serie „Die Simpsons“: Dort soll wegen eines Lehrerstreiks der Unterricht nicht ausfallen. Als letzte Reserve holt man Opa Jasper aus dem Altenheim. Er tritt mit einer Holzlatte vor die Kinder: „Wenn man außer der Reihe schwätzt, kriegt man ’nen Paddel drüber“.

Wegen solcher und anderer Geschichten aus der Nachbarschaft haben wir unsere Älteste vor über zwei Jahren auf eine freie Schule geschickt. Eine gebundene Ganztagsschule. Und haben es keinen Moment lang bereut: Zwei Schuljahre an der Evangelischen Schule bis zum Wegzug an den Berliner Stadtrand vergingen sorglos.

Anfangs verwirrten mich die schön eingerichteten Entspannungs- und Spielräume, der Garten und die vielseitigen Projektangebote, Toiletten, die keine düsteren Drecklöcher waren. Wie kann eine Grundschule überhaupt einladend wirken? Es wollte mir nicht in den Kopf. Meine eigene Grundschulzeit habe ich in einem kasernenartigen Verwahrort abgesessen. Das ist vielleicht in der Erinnerung etwas überzeichnet, aber die Jahre an jener öffentlichen Schule im Nordwesten Deutschlands waren eine trübe Zeit.

Lehrerinnen mit Freude bei der Arbeit

Die nächste Überraschung kam gleich nach der Einschulung. Wenn nach der letzten Stunde die Tür zum Klassenzimmer aufging, sah ich an etlichen Tagen drei Erwachsene im Raum: zwei Lehrerinnen und eine Erzieherin, das Klassenteam. Und diese drei ließen tatsächlich Freude an ihrer Arbeit erkennen.

Während auf der staatlichen Schule nebenan die Planungen für Containerbauten auf dem Spielplatz weitergingen, lernte unsere Tochter in aller Ruhe. Jeden Tag von 8 bis 16 Uhr, eher darf kein Kind gehen auf einer gebundenen Ganztagsschule. Nur freitags ist das anders. Keine Unruhe nach dem Mittagessen, keine Flickschusterei mit externen Hortbetreibern. Stattdessen Lern- und Entspannungszeiten harmonisch über den Tag gezirkelt.

Der Autor ist Tagesspiegel-Redakteur
Der Autor ist Tagesspiegel-Redakteur

© Kai-Uwe Heinrich

Was dort auch besser zu laufen schien, war der Umgang mit besonders hilfsbedürftigen Kindern. Beim sozialen Lernen mag das christliche Leitbild geholfen haben: Nehmt einander an!

Einzig der Schulweg war ein Nachteil: Für ganze 2,2 Kilometer brauchte unser Kind eine halbe Stunde mit dem Bus, staubedingt auch mal länger. Wir hatten es nicht gewagt, die Kleine mit dem Rad über eine stark befahrene und von Baustellen durchzogene Straße zu schicken.

"Ihr befördert die soziale Spaltung!"

Einige Nachbarn, Freunde und Bekannte waren mit uns hart ins Gericht gegangen. Ihr schickt euer Kind auf eine Eliteschule, eine Auswahl der Besserverdienenden. Sie bemühten die Geschichte vom Staat, dessen Versagen in dieser zentralen Aufgabe nicht hingenommen werden dürfe: Bildung und Chancengleichheit für alle statt sozialer Spaltung.

Nach solchen Anwürfen kam fast immer eine Frage: Wird dort nicht jetzt ein Platz frei, wo ihr an den Stadtrand zieht, habt ihr Bewerbungstipps?

Das Versagen der Schulverwaltung ist auch auf der bezirklichen Ebene offenkundig. Besonders in Lichtenberg, wo berlinweit am meisten Lehrer fehlen. Man habe nicht ahnen können, dass sich die Schülerzahlen so entwickeln würden, heißt es. Unerklärlich, dass nach Jahren der Verdichtung tatsächlich auch Familien mit Kindern in die vielen neuen Wohnungen gezogen sind. Die einzige bestehende räumliche Möglichkeit für eine weitere Grundschule in der Gegend ließ der Bezirk zu einer Jugendherberge umbauen. Dort schlafen jetzt Touristen in den Klassenzimmern einer ehemaligen Schule. So etwas macht Eltern wütend.

Freie Schulen haben es schwerer

Obwohl die maroden Regelschulen aus den Nähten platzen, fühlen sich freie Träger beim Auf- und Ausbau ihrer Einrichtungen systematisch benachteiligt. Es ist das Schulgeld, das nicht ins System passt, es gilt als sozialer Spalter. In unserem Fall waren es 3,9 Prozent des Einkommens. Dieser gestaffelte Betrag hat aus der Schule kein Eton-College gemacht, nicht mal im Ansatz.

Der Senat hat kostenlose Schülertickets durchgesetzt, freies Mittagessen und Hortbetreuung. Doch was nützt das, wenn Lehrkräfte ins Umland abwandern, es im Hort zu laut ist für die Hausaufgaben und die Kinder das Umsonst-Mittagessen eine Ekelpampe nennen? Berlin sieht sich als Hauptstadt der Gründer, der Kreativen. Ideen, wie sich Schule neu definieren lässt und sogar Spaß machen kann, bleiben hier eher auf der Strecke. In unserer Schule funktionierte eigentlich alles. Ich hätte sie den Nachbarskindern gegönnt.

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