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Klein und schlau. Babys und Kleinkinder lernen ständig Neues.

© Patrick Pleul/dpa

Frühkindliche Bildung in der Kita: Wissenschaftler in Windeln

Ein früher Beginn kann Vorteile haben: Auch für Kleinkinder ist die Kita, wenn alles gut läuft, eine Bildungs-Institution.

Die neun Wochen alte Ida schaut fasziniert auf das Mobile, das über ihr hängt. Die einjährige Elena greift liebend gern nach der Brille ihres Großvaters, wenn sie bei ihm auf dem Schoß sitzt. Der zweijährige Max nimmt seinem Freund Leo schon wieder den Bagger weg.

Alles nichts Besonderes, alles Kinderkram? Folgt man dem großen preußischen Staatsmann und Gelehrten Wilhelm von Humboldt, dann geht es diesen drei Babys und Kleinkindern um nichts Geringeres als die Vervollkommnung ihrer Bildung. Jedes von ihnen versucht schließlich, Wilhelm von Humboldts kluger Definition zu folgen und „so viel Welt als möglich zu ergreifen und so eng, als er nur kann, mit sich zu verbinden“.

Fördern und Lernen rückt in Kitas stärker in den Blickpunkt

Sie tun das selbstverständlich vom ersten Tag an, unter der Obhut ihrer Eltern. Kitas und Kinderkrippen haben aber trotzdem eine Sonderstellung: Thomas Rauschenbach, Direktor des Deutschen Jugendinstituts (DJI) in München, bezeichnet sie als „ersten öffentlichen Bildungsort“. „Während früher eher der Schutzauftrag von Krippen betont wurde, steht heute auch schon bei den ganz Kleinen der Aspekt der Förderung und des Lernens stärker im Blickpunkt.“

Von intensiven Diskussionen begleitet wurde der Rechtsanspruch auf frühkindliche Förderung 2013 Wirklichkeit. Längst ist in den Programmen der politischen Parteien von frühkindlicher Bildung die Rede – nicht mehr nur von „Betreuung“ der Kleinsten während der berufsbedingten Abwesenheit ihrer Mütter und Väter. Der Erziehungswissenschaftler Wolfgang Tietze von der Berliner FU hatte mit Blick auf diese Zielgruppe schon weit früher von „kleinen Staatsbürgern mit Recht auf Bildung“ gesprochen. Auch Joachim Bensel von der Forschungsgruppe „Verhaltensbiologie des Menschen“ in Freiburg konstatierte schon vor Jahren, man habe bisher bei der Kleinkindbetreuung zu stark auf den pflegerischen Bereich geschaut.

Verwunderlich ist das nicht: Schließlich werden die Kleinen noch gewickelt und viel auf dem Arm getragen, brauchen Unterstützung beim Essen und jemanden, der sie sanft in den Mittagsschlaf begleitet. Erzieherinnen haben bei ihnen also einige klassische „pflegerische“ Aufgaben. Kleine Kinder, die sich nicht im Verlauf einer behutsam gestalteten Eingewöhnungsphase sicher an ihre Bezugspersonen in der Kita gebunden haben, haben zudem auch gar keine Chance, dort ihr Wissen von der Welt zu erweitern. Sie können sich nicht entspannt und ungestört einem Spiel widmen.

Kita-Kinder lernen eher intuitiv

Und es gibt weitere Unterschiede zu größeren Kindern. „Die Kita ist keine Schule“, sagt Rauschenbach. „Die Kinder lernen dort eher intuitiv und situativ, aus dem Alltag und ihrer Lebenswelt heraus.“ Wenn sie selbst Dinge entdecken können und passende Anregungen bekommen, sind sie auf ihre Art aber durchaus „kleine Forscher“, die sich schon ansatzweise für Biologie und Physik interessieren: Warum werden Blätter im Herbst braun? Und passt in ein großes schmales Glas wirklich nicht mehr Wasser als in ein niedrigeres, das dafür breiter ist?

Diese Forscher können selbstverständlich noch nicht lang still sitzen, sie verspüren immer wieder ein unaufschiebbares Bedürfnis nach Bewegung und verfügen über viel kürzere Aufmerksamkeitsspannen, als sie von Schülern und Schülerinnen verlangt werden können.

Was sie gelernt haben, lässt sich zudem nicht so leicht messen wie die Leistungen von Schulkindern in Mathe oder Rechtschreibung. Während die letzte Erhebung bei Grundschülern der vierten Jahrgangsstufe besonders Berlin und Bremen wieder schlechte Noten erteilte, scheint es sich auszuzahlen, wenn Kinder länger in die Kita gehen. „Aus den Schulen wird jedenfalls immer wieder berichtet, dass die Kinder bei der Einschulung besser Deutsch sprechen als noch vor zehn Jahren“, sagt Rauschenbach.

Solche Erfahrungen stellen selbstverständlich noch keine wissenschaftlichen Beweise dar. Doch es gibt auch Studien zur frühkindlichen Entwicklung von Kita-Kindern, die dazu passen. Allen voran eine Langzeit-Studie, die das US-amerikanische National Institute of Child Health and Human Development (NICHD) vor einem Vierteljahrhundert in Auftrag gab. Sie zeigt: Kinder, die schon früh in eine Kita kommen, haben später etwas bessere Ergebnisse beim Sprechen, Lesen, Schreiben und Rechnen vorzuweisen. Je besser die Einrichtung von Experten bewertet wurde, desto größer war der dauerhafte Vorsprung der Kinder in der kognitiven Entwicklung, vor allem bei der Sprache. Und – nicht erstaunlich zwar, aber durch die NICHD-Studie gut belegt: Besonders groß ist der Nutzen, wenn ein Kind, das zu Hause eher wenig Anregung bekommt, eine Kita besucht, die von besonders guter Qualität ist.

Frühzeitiger Kontakt zu Gleichaltrigen

Auch das soziale Lernen ist Bestandteil guter Bildung. Was das Lösen von Konflikten betrifft, so profitieren bereits Zweijährige von den Kontakten zu Gleichaltrigen. Rauschenbach bewertet die Chance, frühzeitig Kontakte zu Gleichaltrigen aufzubauen, als einen der ganz großen Pluspunkte des Kitabesuchs mit ein oder zwei Jahren. Die Vorstellung, ein Kind werde erst mit drei Jahren „kindergartenreif“, teilen Pädagogen, die sich auf die frühe Kindheit spezialisiert haben, ohnehin nicht mehr. „Wir würden eher Abstufungen zwischen den Kindern unter zwei Jahren, den Zwei- bis Vierjährigen und den Vorschulkindern machen“, erläutert Rauschenbach. Sie alle können von gut ausgebildeten Erzieherinnen und Erziehern dort abgeholt werden, wo sie von ihrer Entwicklung her stehen.

„Wir sind in Deutschland in Sachen Kita auf einem guten Weg, auch wenn wir uns für die Jüngsten in vielen Bundesländern noch kleinere Gruppen wünschen“, meint DJI-Chef Rauschenbach. Inzwischen gehen in Deutschland den Erhebungen seines Instituts zufolge 61 Prozent der Zweijährigen in eine Kita oder sind einen Teil des Tages in der Obhut von Tagesmüttern oder -vätern. Was heute ganz normal wirkt, ist in Wirklichkeit – vor allem in den alten Bundesländern – das Ergebnis eines überraschend schnellen gesellschaftlichen Wandels.

Einen Wandel in der Bedeutung der Instanz Familie zieht es aber nicht nach sich, wenn der Großteil der Kleinkinder an fünf Tagen in der Woche „außer Haus“ ist: In einer ganzen Anzahl von Studien hat sich inzwischen gezeigt, dass die Bildung und die Feinfühligkeit der Eltern auch dann mindestens einen doppelt so großen Einfluss auf die Entwicklung des Kindes haben, wenn das Kleine ganztags in eine Kita geht.

Die „Fremdbetreuung“ beschert Müttern und Vätern also keinen Bedeutungsverlust. Den Kindern ermöglicht sie aber einen Bildungsgewinn, da ist sich Rauschenbach sicher: „Nur wenige Eltern können Kindern so viel Unterschiedliches bieten wie eine gute Kita.“

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