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Eine Grundschulklasse beim Deutschunterricht.

© Patrick Pleul/dpa

Flüchtlingskinder in Berlin: "Die Klassenkameraden leisten die Integration"

Traumatisierung, Analphabetismus, Spracherwerb: Pflegeeltern von geflüchteten Kindern berichten anonym aus dem Schulalltag mit ihren Schützlingen.

In Berlin leben etwa 50 minderjährige Geflüchtete bei Pflegefamilien, auch in Brandenburg geben Familien oder Alleinerziehende jungen Menschen in Not ein Zuhause: täglich eine Herausforderung, eine Bereicherung. Klappen kann es, wenn sich viele Menschen – und die Kinder und Jugendlichen – persönlich engagieren. Für den Tagesspiegel erzählen einige aus dem Alltag, anonym, zum Schutz der Kinder.

„Die Lehrer haben zwei Monate nicht mitbekommen, dass unser Pflegesohn Analphabet ist, wie hätte er es ihnen auch erzählen sollen. In unserem Landkreis in Brandenburg dauerte die Willkommensklasse nur ein Jahr, danach wurden die Schüler auf die Pflichtschulen verteilt. In der Willkommensklasse allein waren fünf Analphabeten, die noch nie eine Schule besucht hatten. Der Durchschnitt betrug drei Jahre Unterricht im Heimatland. Kinder aller Ethnien, zwischen zwölf und 18 Jahren, alle Bildungsstände waren zusammen, eine Unterteilung gab es in den Hauptfächern nur in gut oder schlecht.

Die Ethnien, die sich zu Hause bekriegt hatten, saßen nebeneinander, Toleranzlevel kaum vorhanden. Lehrer, aus dem Ruhestand zurückgeholt, waren zum Teil weit über 70 Jahre alt. Nach der Willkommensklasse mussten wir etwa 200 Telefonate führen, bis wir einen Platz in einer Regelklasse gefunden hatten – in Berlin. Unser Pflegesohn hatte einen täglichen Schulweg von zwei Stunden hin, zwei zurück, was er ohne Murren hinnahm.

Alle anderen haben eben darauf gewartet, dass irgendwer sie irgendwohin anmeldete. Es gab oft keinen, der auf Regelmäßigkeit achtete, die Kids waren zum Teil unbeaufsichtigt in den Hostels; teils depressiv, allein, mit Alkohol, Drogen. Die Kinder, die noch im Blick der Behörden waren, kamen bis auf die Gymnasien in die dortigen Willkommensklassen, danach schrittweise vorwiegend in die 7. bis 9. Klasse – und hatten aber im ersten Jahr Willkommensklasse gerade mal zehn Seiten aus ihrem Anfänger-A1-Buch geschafft: Frust vorprogrammiert. Obwohl wir vor der Flüchtlingskrise bereits 7,5 Millionen Analphabeten in Deutschland hatten, kennt sich damit kaum einer aus.“

„Unser Junge hätte es schaffen können, wenn er am Anfang eine Eins-zu-Eins-Betreuung gehabt hätte. Ich habe ihn so sehr lieb. Er hat so viel Schlimmes miterlebt in seinen jungen Jahren. Die Klassenkameraden müssen viel an Integration leisten. Es ist erstaunlich, wie sehr alle das Kind getragen haben. Die Jungs brauchen Männer als Ansprechpartner auch in der Schule. Psychotherapie ist in der arabischen Kultur ein Stigma, leider.“

„Einen richtigen Entwicklungsschub gab es, weil alle in der Willkommensklasse nur Deutsch sprechen durften. Da ging der Spracherwerb ganz schnell. Der Junge wechselte dann Fach für Fach in die Regelklasse. Die Grundschule war einfach toll. Die Integration läuft super.“

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