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Ferienschulen wie hier bei der "Schildkröte GmbH" gibt es schon länger. Neu ist aber der Umfang.

© Kitty Kleist-Heinrich

Ferienschulen für Geflüchtete: Schiffe bauen und Walnüsse zersplittern

Berlins Ferienschulen bieten zugezogenen Jugendlichen aus vielen Nationen ein umfassendes Programm mit Sport, Handwerk und Kultur. Ein Besuch.

Die große Attraktion ist der heiße Draht. Er ist zwischen zwei Metallschienen gespannt, man darf ihn auf keinen Fall berühren, weil man sich sonst die Finger verbrennt. Aber wenn man den Draht durch eine kleine Styroporplatte zieht, dann kann man wunderbar Linien ausschneiden und etwas formen. Einen Schiffsrumpf zum Beispiel.

Angela Hlubeck achtet sehr genau darauf, dass niemand den Draht berührt, sie hat hier alles Griff. In einem Werkraum sind vier Jungs und drei Mädchen hochkonzentriert dabei, kreativ zu sein. Feilen und Schraubenschlüssel hängen an der Wand, es gibt eine gut ausgestattete Werkbank, und auf einem riesigen Papierbogen neben der Tür steht: „Vermutung: Das Boot schwimmt auf dem Wasser.“ Darunter steht: „Materialien?“

In der Ferienschule des Sozialträgers „Schildkröte“ werden Schiffe gebaut. Jetzt müssen die jungen Schüler bloß noch die passenden Materialien zusammenführen. Auf einem langen Tisch liegen Batterien, Styroporkugel, Holzspieße, Drähte. Mit den Drähten soll der Stromkreis einer Batterie geschlossen werden, der dann eine Turbine antreibt, die das Boot nach vorne schiebt.

Hört sich nicht ganz einfach an, aber den Kindern, zwölf bis 15 Jahre alt, macht es Spaß. Leila (Namen der Kinder geändert), die 15-Jährige aus Syrien, die zum pinken Kopftuch eine pinke Armbanduhr trägt, sagt: „Ich will meine Freizeit sinnvoll nutzen.“

Dafür sind Ferienschulen wie die Einrichtung der „Schildkröte“, mitten in Kreuzberg, ja da. Mädchen und Jungs aus Willkommensklassen und Schüler, die neu in die Stadt gekommen sind, werden meist zwei, mitunter aber auch drei- oder vier Wochen lang in Lerngruppen betreut. Das Programm gilt für ganz Berlin.

Schiffsbau: Angela Hlubeck erklärt jetzt mal die Sache mit dem Antrieb.
Schiffsbau: Angela Hlubeck erklärt jetzt mal die Sache mit dem Antrieb.

© Kitty Kleist-Heinrich

Voraussetzung für die Teilnahme ist, dass es sich um geflüchtete Kinder und Jugendliche handelt. Die jeweiligen Gruppen werden nicht nach Sprachkenntnis sondern nach Alter zusammengestellt. Erst im Lauf des Unterrichts, wenn das individuelle Sprachvermögen klar ist, werden die Jugendlichen passend zusammengebracht. 2019 haben sich bei der „Schildkröte“ 29 Schüler angemeldet. An diesem Tag sind allerdings nur 15 da. Die übrigen sind verhindert. Einer der Gründe: „Sie müssen ihre Eltern zu einem Behördentermin begleiten“, sagt Angela Hlubeck.

„Ich will meine Freizeit sinnvoll nutzen“

Die Ferienschule ist ein bisschen wie das Feriencamp eines Sportvereins, nur ist hier die Betreuung viel umfassender. Kultur, Sport, handwerkliches Arbeiten, das alles ist Teil des Programms.

Im Raum neben den Jugendlichen, die an ihrem Schiffsrumpf basteln, stehen fünf Mädchen und vier Jungs mit blauen Küchenschürzen um einen großen Tisch. Rasend schnelles Klopfen dröhnt durch den Raum, es klingt, als würde eine Armee Spechte gegen Baumstämme klopfen. Aber hier beobachtet Julian Schnoor, wie die Schüler Walnüsse kleinhacken. „Wir bereiten die Füllung vor“, sagt er. Der Fachanleiter für Gastronomie trägt ebenfalls eine Schürze.

Beliebtes Gebäck: Im Workshop lernen die Kinder wie man Baklava bäckt.
Beliebtes Gebäck: Im Workshop lernen die Kinder wie man Baklava bäckt.

© Kitty Kleist-Heinrich

Die Jugendlichen bereiten Baklava zu, ein beliebtes Gericht aus der türkischen und arabischen Küche. Genau deshalb hat es Schnoor ja ausgesucht. Als er in einer Willkommensklasse unterrichtet hat, haben es die Kinder gerne gegessen.

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Die Handarbeit mit dem Messer, bei der die Walnüsse zersplittert werden, hat durchaus auch einen pädagogischen Effekt. „Ich mag es, wenn die solche Arbeiten von Hand machen.“ Diese Meinung teilt zwar nicht jeder seiner Schüler, aber das ist Schnoor egal. Die Jugendlichen sollen spüren, was sie machen. Ein 13-jähriges Mädchen ist derart leidenschaftlich am Zerkleinern, dass Schnoor mehrfach sagt: „Es ist gut, es ist jetzt wirklich gut.“

Aber genau diese begeisterte Mitarbeit wollen die Pädagogen sehen. „Es geht auch um das Erkennen eigener Stärken und Schwächen“, sagt Angela Hlubeck. Eigentlich hat sie von Elektrotechnik und Schiffsdesign keine Ahnung, ein Kollege hat sie gut gebrieft. Unterricht ist nur ein Teil ihres Jobs, sie leitet die Ferienschule, sie hat das große Ganze im Auge.

[In Berlin bieten 37 Träger Ferienschulen für geflüchtete Kinder und Jugendliche, die alleine oder mit ihren Familienangehörigen nach Deutschland gekommen sind. In 155 Lerngruppen stehen je zwölf bis 15 Plätze zur Verfügung. Die Programmkoordination liegt bei der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung. Die Teilnehmer sind zwölf bis 17 Jahre alt. Ferienschulen als festes Angebot gibt es seit 2015. Finanziert werden sie durch die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie. 2018 wurden sie mit 1,04 Millionen Euro unterstützt, erheblich mehr als in den Vorjahren. Ob noch Plätze frei sind und weitere Details erfährt man beim Programmteam der Stiftung unter 030/257676 -515030 oder 257676 -527 sowie unter www.dkjs.de]

Und zum grundsätzlichen Ziel der Ferienschule gehört natürlich die Verbesserung der Deutschkenntnisse. Für Lelia ist das ein wichtiger Aspekt. „Ich komme auch hierher, weil ich die deutsche Sprache besser beherrschen möchte.“

Museumsbesuch, Kletterwald, Jugendclub

Genauso wichtig ist Angela Hlubeck aber ein anderer Punkt. „Ich möchte den Schülern zeigen, welche kulturellen Möglichkeiten sie in Berlin haben.“ Zum Beispiel Museen. Die Jugendlichen besuchen das Technik- oder auch das Naturkundemuseum. Gerade das Naturkundemuseum, sagt Angela Hlubeck, sei zum Erlebnis geworden. „Wir hatten eine tolle Museumspädagogin, die uns Infos zum Thema Vögel und Insekten gegeben hat.“

Baklava herstellen ist Handarbeit.
Baklava herstellen ist Handarbeit.

© Kitty Kleist-Heinrich

Auf dem Programm steht aber auch ein Kletterwald oder der Besuch in einem Jugendklub. Alles, was kurzweilig ist. „Reine Theorie geht nicht“, sagt Angela Hlubeck. „Das würde die Jugendlichen langweilen.“ Die Schüler dürfen durchaus Wünsche zum Tagesprogramm äußern. Klassiker sind Kletterwald und backen. Wenn es in den Gesamtrahmen passt, werden die Wünsche auch erfüllt.

Angela Hlubeck hat allerdings auch einen Wunsch, einen dringlichen sogar, aber der wird wohl nie so erfüllt. „Die Pünktlichkeit ist ein echtes Problem, das muss ich so sagen.“ Eigentlich sollte der Unterricht täglich um 9.30 Uhr beginnen, das ist der Wunsch der Leiterin. Aber das hat noch nie geklappt. Jetzt hat man sich auf 9.45 Uhr eingependelt. Angela Hlubeck arrangiert sich notgedrungen mit der Situation. Wichtiger ist ihr, dass die Schüler mit Spaß und Konzentration bei der Sache sind. Das war spätestens am Nachmittag garantiert. Auf dem Programm stand: Wir stellen ein Eis her.

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