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Still sitzen, aufpassen, schreiben, rechnen: Je jünger Erstklässler sind, desto größer ist die Angst der Eltern vor Überforderung ihrer Kinder.

© Kitty Kleist-Heinrich

Expertentipps für Berliner Eltern: Einschulen oder nicht?

Viele Eltern wollen ihr Kind lieber länger in der Kita lassen und den Start in die Schule um ein Jahr verschieben. Was dafür spricht – und was dagegen: Expertin Christa Preissing antwortet.

Über 6400 schulpflichtige Kinder wurden dieses Jahr von ihren Eltern zurückgestellt. Auch jetzt fragen sich wieder tausende Familien, deren Kinder bei der Einschulung erst fünf Jahre alt wären oder knapp sechs, was zu tun ist. Woran merkt man, ob man sein Kind lieber in der Kita lassen soll?
Zunächst sollte man sich erinnern, wie das Kind normalerweise mit Neuem zurechtkommt: Wie hat damals der Übergang in die Kita geklappt? Hat es sich lange gesträubt oder geweint? Wenn dieser Übergang ohne große Probleme gelungen ist, ist das eine gute Voraussetzung.

Kann man diese Übergänge denn vergleichen? Bei der Kita geht es doch um die erste regelmäßige Trennung von den Eltern mit ein oder zwei Jahren; bei der Einschulung sind die Kinder doch schon viel weiter.
Das stimmt. Dennoch gibt es Kontinuitäten im Verhalten. Manche Menschen haben lebenslang ein Problem mit Übergängen, das setzt sich fort beim Wechsel in die Oberschule, in die Ausbildung, in den Beruf. Es geht generell um die Frage, wie ein Mensch mit bisher unbekannten Situationen umgeht: Übergänge können belastend sein und sie bieten gleichzeitig neue Chancen. Nicht alle Menschen empfinden das in derselben Weise.

Woran liegt das?
Zum einen hängt das mit individuellen Eigenheiten zusammen: Ist jemand eher schüchtern veranlagt oder sehr neugierig. Und dann kommt es auch auf das Verhalten der Eltern an: Überbehüteten oder vernachlässigten Kindern fallen Übergänge häufig schwerer als anderen.

Christa Preissing, 63, ist Diplomsoziologin und Direktorin des Berliner Kita-Instituts für Qualitätsentwicklung sowie Vizepräsidentin der Internationalen Akademie an der Freien Universität
Christa Preissing, 63, ist Diplomsoziologin und Direktorin des Berliner Kita-Instituts für Qualitätsentwicklung sowie Vizepräsidentin der Internationalen Akademie an der Freien Universität

© beki

Im Zweifelsfall: einschulen oder nicht?
Man sollte den Kindern zuhören: Etwa 90 Prozent von ihnen freuen sich auf die Schule und wollen gern Schulkind werden. Das geht ja auch mit einem Statusgewinn einher. Nur zehn Prozent freuen sich nicht und reagieren eher ängstlich. Wenn ein Kind sich auf die Schule freut, sollte man es einschulen. Wenn es ängstlich ist und außerdem noch sehr jung, kommt eine Zurückstellung infrage.

Was kann denn die Kita tun, um den Übergang zu erleichtern?
Es ist hilfreich, wenn die älteren Kitagruppen Kontakt zu einer Schule halten. Dann können sie das Gebäude kennenlernen und ältere Schüler treffen, die ihnen dann in den ersten Schulwochen das Eingewöhnen erleichtern. Leider stoßen Kitas nicht immer auf Gegenliebe, wenn sie enger mit einer Schule zusammenarbeiten wollen, weil das für die Schulen zusätzliche Arbeit bedeutet. Kitas und Schulen sind aber zur Kooperation verpflichtet. Wenn die Kinder aus der Kitagruppe in viele verschiedene Schulen wechseln, ist es natürlich nicht möglich, mit allen in Kontakt zu treten.

Und was kann man dann tun?
Alternativ kann sich das Kind auch mal mit seinen älteren Geschwistern zusammen die neue Schule angucken. Vielleicht gibt es ja auch Kinder im Freundeskreis, die schon die gleiche Schule besuchen und die man dann dort besuchen kann.

Dennoch können Kinder überfordert sein. Bis zu welcher Altersgrenze sollte man vorsichtig sein mit der Einschulung?
Mit fünf Jahren sind die Risiken größer, dass ein Kind überfordert ist. Darum war ich auch eine Gegnerin der Berliner Früheinschulung, zumal die Schulen auf diese jungen Kinder nicht vorbereitet waren. In den Niederlanden gelingt die Einschulung schon mit vier, weil die Schulen darauf mit offenen Arbeitsformen ganz anders eingestellt sind. In Berlin hat es nicht geklappt, weil die Schulen noch nicht soweit waren.

Also lieber nicht mit fünf einschulen?
So pauschal lässt sich das nicht sagen: Die psychologische Forschung sagt, dass die Entwicklungsunterschiede in dem Alter 1,5 Jahre ausmachen. Das bedeutet, dass manche Kinder mit fünfeinhalb Jahren bereit sind und andere erst mit sieben.

Was bedeutet das?
Das bedeutet, dass man sein Kind genau beobachten sollte: Kann es sich gut auf neue Gruppensituationen einstellen? Geht es mit anderen Kindern respektvoll um? Und zeigt es Symptome von Kitamüdigkeit? Kinder haben das Recht, sich auf die Schule zu freuen. Darum sollte man nicht schlecht oder verängstigend über die Schule reden, sondern das Kind ermutigen und nicht immer vor dem „Ernst des Lebens“ warnen. Manche Eltern sträuben sich selbst gegen die Schule, weil sie mit Kitakindern mehr Freiheiten haben: Länger schlafen, Urlaub wann man will. Das sollten aber keine Kriterien sein!

Birgt eine zu späte Einschulung Risiken?
Wenn eine Kita die älteren Kinder nicht genügend fördert, bedeutet die Zurückstellung ein verschenktes Jahr. Man muss sich klarmachen, dass man in der Kita die Schule nicht simulieren kann: Um schulfähig zu werden, brauchen Kinder die Schule selbst. Das dauert dann in der Regel drei oder vier Monate.

Mehr zum Thema: Die Checkliste von Karin Babbe

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