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Harte Schule. Auch im Referendariat gibt es viele Quereinsteiger.

© imago/Gerhard Leber

Erfahrungsbericht einer Berliner Referendarin: Das absurde Dasein im Schatten der Quereinsteiger

Ausbilder ohne Praxiserfahrung, geringes Gehalt und weniger Stunden als Ungelernte: Was man auf dem Weg zur ganz normalen Berliner Grundschullehrerin erlebt.

Tausende Quereinsteiger wurden in den vergangenen fünf Jahren in Berlins Schulen eingestellt. Viele von ihnen absolvieren ein berufsbegleitendes Referendariat. In den Schulen und Fachseminaren treffen sie auf Lehramtsanwärter mit „echtem“ Lehramtsstudium. In manchen Fächern – wie etwa in Geschichte – überwiegen noch die regulären Referendare, in anderen Fächern bilden sie die Minderheit. Was dann passiert, hat eine Betroffene aufgeschrieben. Wir drucken ihren Erfahrungsbericht anonym, weil sie sich noch in der Ausbildung befindet.

Ich studierte fünfeinhalb Jahre in Nordrhein-Westfalen für die Grundschule die Fächer Deutsch, Mathematik und Englisch und sammelte ein Jahr Erfahrungen in Praktika und Projekten. Als gebürtige Berlinerin „musste“ ich 2011 die Stadt verlassen, weil der NC auf eins Komma irgendwas stand. Schon damals wussten die Politiker garantiert, dass die Zahl der zu dieser Zeit ausgebildeten Lehrer auf keinen Fall ausreichen konnte. Etwa zwei Jahre später begannen sie, Quereinsteiger einzustellen.

In Mathematik durchgebissen

Im Grundschulalltag, das wusste ich, müssen viele Lehrer Mathematik unterrichten. Ich wollte darauf gut vorbereitet sein und entschied ich mich freiwillig auch für dieses Fach – ein Jahr bevor es Pflicht wurde. Wie oft bereute ich diese Entscheidung während der ersten vier Jahre und wollte mehrmals das Studium aufgeben, denn ich bin kein Mathemensch. Das Mathe-Pauken dominierte also das gesamte Bachelorstudium, was mir auch die ersten grauen Haare einbrachte. Mit eiserner Disziplin und auch viel Hilfe von Unterstützern bestand ich im vierten Jahr meines Studiums die letzte Matheprüfung. Das war eine sehr prägende Zeit.

In Berlin sind fast Fächer vom Lehrermangel betroffen.
In Berlin sind fast Fächer vom Lehrermangel betroffen.

© Tabelle: Tagesspiegel/Böttcher

Damals wusste ich ja nicht, dass bald in Berlin Menschen komplett ohne ein Lehramtsstudium Mathe unterrichten würden. Ich habe in dieser schweren Zeit tatsächlich etwas gelernt, und mein abstraktes Denkvermögen schärfte sich viel mehr als zu meiner eigenen Schulzeit. Allerdings würde ich fordern, dass das Studium mehr auf die Didaktik der Mathematik als auf die reine Mathematik ausgerichtet werden sollte, um den Kindern den Stoff besser vermitteln zu können.

Zurück nach Berlin – und schnell bereut

Nach meinem Abschluss bin ich nach Berlin zurückgekehrt, da ich die Heimat vermisste. Schon kurz nach dem Beginn meines Referendariats habe ich es bereut, denn die Situation hier ist absurd.

Einige Beispiele: In meinem allgemeinen Seminar gibt es mit mir fünf Personen von insgesamt 14, die auf Lehramt studiert haben. In einem meiner Fachseminare war ich die Einzige und habe mein Wissen mit den wissenshungrigen Quereinsteigern geteilt – mehr als mein Seminarleiter, der selbst gar kein Grundschullehrer ist.

Es ist nicht unüblich, dass die Seminarleiter gar keine praktische Erfahrung in der Schulstufe haben, für die sie die Lehramtsanwärter ausbilden, weil sie von der Oberstufe abgeordnet wurden.

Alphabetisieren – ohne Didaktik

Manche der Quereinsteiger hatten Erfahrungen als Vertretungslehrer, andere hatten vor dem Beginn des Referendariats noch nie vor einer Klasse gestanden – das wird als „harter Einstieg“ bezeichnet. Unter ihnen waren Kollegen, die wurden Leiter einer ersten Klasse, ohne je Erfahrungen in Alphabetisierung oder Elementarmathematik gesammelt zu haben. In der Grundschule zählt die Schuleingangsphase aber zur Königsdisziplin, die sich sogar nicht alle erfahrenen Kollegen fachlich und organisatorisch zutrauen.

Die Quereinsteiger haben feste Verträge, sind versichert, unterrichten zwei bis sieben Stunden mehr als wir und verdienen mehr Geld. Eine Kollegin meinte einmal zu mir, dass sie für ein Gehalt der Lehramtsanwärter mit Lehramtsstudium den Quereinstieg sicher nicht begonnen hätte. Als normal ausgebildeter Lehramtsanwärter, von dessen Wissen die Quereinsteiger profitieren, kommt man sich da immer wieder vom Senat veralbert vor.

Benachteiligt als regulärer Referendar

Ein weiterer diskriminierender Aspekt: Wir dürfen zum Beispiel nicht mehr als zehn Stunden arbeiten, werden gezwungenermaßen Beamte auf Probe für anderthalb Jahre, obwohl klar ist, dass wir es hier in Berlin nicht bleiben werden. Als Beamte müssen wir uns selbst versichern. Entweder privat, wo man nicht so leicht wieder herauskommt oder freiwillig gesetzlich, was mit etwa 17 Prozent viel Geld ist.

Selbst wenn wir wollten, dürften wir nicht mehr Stunden in der Schule arbeiten, aber vier Stunden einen Nebenjob im Supermarkt übernehmen oder Taxi fahren, während die Taxifahrerin, die studierte Geschichtswissenschaftlerin ist, als Quereinsteiger in die Schule geht. Obwohl wir in der Ausbildung sind, können wir als Beamte kein Ausbildungsticket kaufen und bekommen sonst auch keine Vergünstigungen oder etwa eine reguläre Kreditkarte, da der Arbeitsvertrag ja begrenzt ist.

Seit mehreren Jahren reichen nicht einmal die Quereinsteiger, um die freien Stellen zu besetzen.
Seit mehreren Jahren reichen nicht einmal die Quereinsteiger, um die freien Stellen zu besetzen.

© Tagesspiegel/Böttcher

Als ich mit meinem Gehalt auf Wohnungssuche war, wollte man mir meistens auf dieser Grundlage auch keine Wohnung anvertrauen, obwohl die Frau im Schulamt meinte, dass wir mit 1200 Euro doch gut verdienen als Auszubildende. Meine etwas ungehaltene Antwort darauf war, dass ich doch bereits etwa sechs Jahre meiner Ausbildung selbst finanziert habe und jetzt das Recht haben sollte, mit meinem Gehalt eine kleine Wohnung finanzieren zu können. Und das Ganze in einer Stadt, in der tausende Lehrer fehlen.

"Unterrichten statt kellnern"

Ich würde gerne mehr Stunden geben und somit mehr verdienen, und es wäre auch möglich gewesen, dass mich die Stadt wie einen Quereinsteiger mit mehr Stunden angestellt hätte. Bei meiner Bewerbung beim Senat hat mich aber niemand darauf hingewiesen – trotz Lehrermangels und anderer Krisen. Unter meinen regulären Kollegen gibt es drei von fünf, die dieses Angebot sofort angenommen hätten. Aber die Stadt hat nicht reagiert und uns stattdessen zu Beamten gemacht.

Über die Gründe denke ich bis jetzt, über ein Jahr später, noch nach. Entweder geht es hier um Geld, weil man bei den „dummen“ regulären Lehramtsanwärtern gerne die Abgaben spart oder es wurde einfach nur verschlafen. Lieber wirbt man, mittlerweile jedenfalls, bei ehemaligen Lehrern für den Schuldienst oder auch bei Lehramtsstudenten: „Unterrichten statt kellnern“, nennt sich das dann. Als festangestellte Kollegen haben Quereinsteiger einen freien Tag im Halbjahr, sind im öffentlichen Dienst und haben mehr Geld am Ende des Monats.

Alles ist auf Quereinsteiger ausgerichtet

Alles ist auf sie ausgerichtet, denn sie sind in der Mehrheit. Die Seminare sind für studierte Lehrer fast nur Wiederholung, bieten aber gleichzeitig nicht genug Input für Neulinge. Auch wenn ich viele motivierte Quereinsteiger kenne, die sich viel Mühe geben, ist es teilweise erschreckend, wie der Lernzuwachs von manchen Kollegen nach einem Jahr aussieht.

Trotzdem arbeiten sie oft Vollzeit vom ersten Tag an: Das ist, als ob man einen Dachdeckerlehrling ein Dach decken ließe, dessen Vorwissen darin besteht, dass ein Dach oben auf einem Haus ist und aus Schindeln besteht. Wie man jetzt auf das Dach steigt und die Schindeln wetterfest anordnet, wird schon irgendwie klar werden beim Dachdecken. Und es gibt ja genug Kollegen, die die Arbeit noch mal kurz erklären können.

Die aktuelle wie die alte Berliner Regierung verantworten es, wenn es in ein paar Jahren normal ist, dass Kinder sogar mit den basalen Grundfertigkeiten Schwierigkeiten haben werden.

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