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Gemeinsam sicher. Laufbus-Kinder der Neuköllner Konrad-Agahd-Schule.

© Madlen Haarbach

Ein Schulbus auf Beinen: Der Laufbus soll Elterntaxis vor Berliner Schulen vermeiden

In Neukölln und anderen Bezirken gehen Kinder gemeinsam zu Fuß zur Schule. Das soll die Sicherheit erhöhen und Verkehrschaos vermeiden.

Donnernde LKWs, zugeparkte Kreuzungen, rücksichtslose Radfahrer: Für Kinder wird der tägliche Weg zur Schule oft zum gefährlichen Hindernislauf. Viele Eltern bangen um die Sicherheit ihrer Kinder und bringen sie selbst zum Unterricht, nicht selten mit dem Auto. Die sogenannten Elterntaxis verstärken das Verkehrschaos vor den Schulen und werden selbst zum Sicherheitsrisiko.

Im Körnerkiez in Neukölln wird seit einigen Wochen eine Idee erprobt, die diesen negativen Kreislauf durchbrechen soll. Mit dem sogenannten Laufbus, einer Art Schulbus auf Beinen, laufen die Kinder im Pulk zur Schule. Sie werden morgens an festgelegten Haltestellen zu abgesprochenen Zeiten eingesammelt.

Simone Schützmann ist Leiterin der Konrad-Agahd-Grundschule. Sie hat mit einer Umfrage ermittelt, wie ihre Schüler zur Schule kommen. Das Ergebnis: Über alle Klassenstufen verteilt werden insgesamt 66 Schüler von den Eltern gebracht, davon 40 mit dem Auto. „Ich glaube, die Angst im Kiez ist durch viel befahrene Straßen wie die Emser Straße groß“, sagt Schützmann.

Diese Angst soll der Laufbus lindern. Gleichzeitig sollen auch die Eltern entlastet werden: Sie wechseln sich anfangs mit anderen Eltern als Paten ab und begleiten den Bus nur an einzelnen Tagen oder auch nur auf bestimmten Strecken. Das spart das oft aufwendige Bringen und Abholen von der Schule.

Nach einiger Zeit sind die Kinder im Idealfall sicher genug, um selbst als Gruppe zu laufen. Dabei übernehmen dann auch größere Kinder die Verantwortung für die kleineren. Der Laufbus ist über die Schule versichert.

Sicherheitswesten für mehr Sichtbarkeit

Beim Start des Projektes vergangene Woche machten die Schüler der Klasse 3a der Konrad-Agahd-Schule vor, wie der Laufbus funktioniert: Sie sammeln sich an einem Spielplatz in der Ilsestraße, streifen gelbe Sicherheitswesten über und marschieren in Zweierreihen los Richtung Schule. Durch die Gruppe und die Signalfarben sind die Schüler im Straßenverkehr besser sichtbar und dadurch sicherer unterwegs.

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Das Projekt richtet sich vor allem an Schüler der ersten bis dritten Klassenstufe, die im Straßenverkehr noch nicht alleine navigieren können. Die Kinder sollen selbstständiger und selbstbewusster werden. Sie sammeln eigene praktische Erfahrungen im Verkehr, lernen, an welchen Stellen sie Straßen kreuzen können und die Geschwindigkeit der Autos einzuschätzen.

Dadurch sollen sie für Gefahren sensibilisiert werden und später in der Lage sein, ihren Schulweg eigenständig zu meistern. Der Schulweg wird ohne Auto umweltschonender – und im Idealfall auch spaßiger.

Mehr Spaß auf dem Schulweg

„Freunde treffen ist ein großer Pluspunkt“, sagte der Neuköllner Stadtentwicklungsstadtrat Jochen Biedermann (Grüne) beim Projektstart. „Mir hätte das früher auch geholfen, morgens aus dem Bett zu kommen.“ Er halte das Projekt für eine wichtige Initiative, denn das Verkehrschaos in den Kiezen sei nie so groß wie morgens vor der Schule. „Es geht uns vor allem darum, dass die Kinder sicher zur Schule kommen“, sagt Schulleiterin Schützmann. Allerdings seien die Eltern gefragt, damit das Projekt funktioniere.

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Die Idee des Laufbusses ist nicht neu. Seit mehreren Jahren ruft der Verkehrsclub Deutschland (VCD) Grundschulen dazu auf, entsprechende Initiativen zu starten. Bislang laufen die Busse vor allem in kleineren und mittleren Städten, wo der Organisationsaufwand überschaubarer ist.

Verdichtete Kieze mit mehreren Schulen und unterschiedlichen Schulwegen seien logistisch deutlich anspruchsvoller, sagt Michael Pinetzki vom Projektbüro „AG.Urban“, das das Projekt in Neukölln umsetzt. Auch Eltern seien in Großstädten oft weniger engagiert, weil es weniger soziale Netzwerke im Kiez gibt.

Engagement der Eltern ist zentral

In Berlin gibt es bereits ähnliche Projekte, die von Eltern organisiert werden. In Treptow-Köpenick startete im Sommer 2018 der Laufbus Bohnsdorf, der über das Programm „Freiwilliges Engagement in Nachbarschaften“ gefördert wird. Daniela Britt koordiniert das Projekt.

„Es ist schwierig, Begleiter zu finden“, sagt sie. Im vergangenen Schuljahr hätten vor allem Eltern von Erstklässlern, die ohnehin zur Schule laufen würden, andere Kinder mit eingesammelt.

Nach etwa sechs Monaten hätten sich die Gruppen dann alleine organisiert. Etwa 50 Kinder laufen nun auf fünf Routen gemeinsam zur Schule. „Ich hoffe, dass wir die Zahlen langsam, aber stetig steigern können“, sagt Witt. „Die Eltern, die sich schon an das Bringen mit dem Auto gewöhnt haben, sind ja irgendwann auch aus der Schule raus – und die neuen sprechen wir gezielt an.“ Veränderung braucht Zeit – vor allem aber auch das Engagement und die Mithilfe der Eltern.

In Steglitz läuft der Schulexpress

Die Grundschule am Insulaner in Steglitz startete 2017 ein Laufbus-Projekt. Mittlerweile gibt es dort vier Linien mit acht Haltestellen, die die Schulkinder aus allen Richtungen einsammeln. Einige Straßen weiter, rund um die Grundschule am Karpfenteich, läuft seit September 2018 der Schulexpress.

Zwölf Haltestellen dienen als Treffpunkte für die Schüler und als Abgabepunkte für die Eltern: Bei weiten Anfahrtswegen sollen sie ihre Kinder nicht bis zur Schule bringen, sondern nur bis zur nächsten Haltestelle. Auch in Pankow und Reinickendorf wird die Idee getestet.

In Neukölln geht der Laufbus auf eine Initiative des Quartiersrates Körnerpark zurück und ist Teil des Projektes „Sicher im Kiez“. Über eine Laufzeit von drei Jahren soll die Verkehrssicherheit im Kiez verbessert werden. Der Laufbus ist nicht die einzige Idee – aber gilt auf dem Schulweg als sichere Alternative.

Schülerlotsen etwa würden an vielbefahrenen Kreuzungen oft selbst gefährdet, weil Autofahrer sie nicht ernst nehmen, berichtet Michael Pinetzki. Ende 2019 läuft die Finanzierung aus Mitteln der „Sozialen Stadt“ aus. Bis dahin soll der Neuköllner Laufbus eigeninitiativ unterwegs sein.

Für die Schüler der Konrad-Agahd-Schule ist jetzt schon klar, was der größte Vorteil des Laufbusses ist: gute Laune schon morgens vor dem Unterricht.

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