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Einzelne Laptop- oder Tablet-Klassen gibt es auch an Schulen wie dem Rückert-Gymnasium in Schöneberg.

© Mike Wolff

Digitales Leben: Smarter lernen in der Tablet-Klasse

In der Tabletklasse des Rückert-Gymnasiums hat jeder Schüler seinen eigenen Rechner. Bei IT-Problemen wissen die Kinder oft mehr als ihre Lehrer. Eine Vorbereitung auf das digitale Leben, bei der das Lernen allen Spaß macht.

Wenn Abdul morgens um sechs Uhr aufsteht, greift er sofort zu seinem Tablet. Aber nicht, um damit zu spielen oder zu chatten, sondern um es in seine Schultasche zu stecken. Der schmale schwarz glänzende Kleincomputer ist das wichtigste Arbeitsgerät des 13-jährigen Gymnasiasten. Hefter und Schulbücher, fast alles, was er für die Schule braucht, befindet sich im Tablet, digital gespeichert. Jede Nacht lädt er es zu Hause auf, jeden Morgen steckt er es wieder ein.

Abdul geht in die Klasse 8D des Rückert-Gymnasiums in Schöneberg. Es ist eine sogenannte Tabletklasse. Alle 30 Schüler besitzen ein eigenes Gerät, alle haben dasselbe Modell und sie benutzen es in nahezu jeder Unterrichtsstunde. In Mathematik zeichnen sie damit im Nu einen Graphen oder transformieren ein Dreieck von einer Position zur anderen. In Geschichte bereiten sie eine Powerpoint-Präsentation über den Buchdruck vor, kopieren dafür Illustrationen aus der Schulbuch-App und beschriften sie in ihren digitalen Heftern. In Sport filmen sie mit dem Tablet Bewegungsabläufe und analysieren sie später.

650 Euro kostet das Modell

Abdul wollte unbedingt in diese Klasse. „Ich war schon in der Grundschule ganz begeistert von digitalen Medien“, sagt er. Dafür nimmt er einen langen Schulweg in Kauf. Schon um kurz nach sieben muss er aus dem Haus, er wohnt in Neukölln. In der S-Bahn hört er Musik auf seinem Smartphone, manchmal schickt er eine Whatsapp-Nachricht an seine Freunde. Das Tablet holt er auf der Fahrt nicht raus: „Viel zu wertvoll.“

650 Euro mussten seine Eltern dafür bezahlen. Für viele Familien eine Menge Geld. Die Schülerschaft am Rückert-Gymnasium ist sehr gemischt, die Schule nahe dem Innsbrucker Platz liegt an der Grenze zwischen dem wohlhabenden Friedenau und ärmeren Schöneberger Kiezen. Einige Familien aus der Tabletklasse sind auf staatliche Unterstützung angewiesen. Ein bisschen was gab der Förderverein der Schule bei der Anschaffung der Geräte dazu.

Die Handschrift soll kultiviert werden

Das Tablet, ein Microsoft Surface, ist teurer als andere Modelle. Die Schule entschied sich dafür, weil es leistungsstark ist und vor allem, weil es einen Eingabestift hat, mit dem man direkt aufs Display schreiben kann. „Uns war wichtig, dass die Handschrift weiterhin kultiviert wird“, sagt Schulleiter Jörg Balke. „Mathematische Brüche kann man viel leichter mit der Hand schreiben, das wäre mit Tastatur zu umständlich.“

Angefangen mit den Tabletklassen hat das Rückert-Gymnasium im Schuljahr 2013/14. Schulleiter Balke wollte auf diese Weise den mathematisch-naturwissenschaftlichen Zweig stärken, den das Gymnasium neben dem bilingual-französischen Profil anbietet. Maßgeblich beteiligt am Konzept der Tabletklassen war Thomas Klietsch, der Klassenlehrer der 8D. Klietsch, 56 Jahre alt, unterrichtet Mathematik und Biologie und war acht Jahre lang Lehrer an der Deutschen Schule in Guatemala. Dort gab es schon Anfang der 2000er Jahre Laptops für die Oberstufenschüler. „Da sah ich das Potenzial für die Schüler“, sagt Klietsch. Vieles gehe einfacher mit digitaler Unterstützung. Zum Beispiel in Mathematik. „In der 8D behandeln wir Vektoren. Früher wäre die ganze Stunde dafür draufgegangen, die Zeichnung anzufertigen. Mit dem Tablet geht das in ein paar Minuten. So habe ich mehr Zeit, um das Thema zu erklären und zu vertiefen.“ Und außerdem: „Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, Schule zu machen, ohne auf die digitalen Entwicklungen einzugehen. Alle Schüler werden diese Kompetenzen brauchen.“

Eine Unterrichtsstunde beginnt bei Klietsch so: Er steckt seinen USB-Stick in das Smartboard, die digitale Schultafel im Klassenraum, klickt auf den Ordner „8D, Mathematik, Vektoren“ und öffnet ein vorbereitetes Tafelbild. Klietsch bespricht das Thema mit den Schülern, dann öffnen die Schüler ihren digitalen Mathehefter im Tablet und bearbeiten die Aufgaben dort, und zum Schluss der Stunde geht die Klasse die Ergebnisse gemeinsam am Smartboard durch. Auch die Tablets der Schüler können ans Smartboard angeschlossen werden. Unterrichtsaufgaben und Hausaufgaben laden sich die Schüler über den Schulserver herunter.

Seine Achtklässler beherrschen mittlerweile Powerpoint, Excel und OneNote, das Matheprogramm Geogebra und manche auch die Programmiersprache TSS. Bevor die Tablets in der siebten Klasse zum Einsatz kommen, werden die Schüler im Fach „Informationstechnische Grundbildung“ vorbereitet. In Projektwochen geht es außerdem um Themen wie Cybermobbing, den Schutz der Privatsphäre und rechtliche Fragen. „Die IT-Kompetenz der Kinder ist enorm. Wenn mal etwas nicht funktioniert, wissen sie oft besser Bescheid als wir Lehrer“, sagt Klietsch. Abdul nickt. „Ich habe herausgefunden, welche Tastenkombination man drücken muss, wenn der Bildschirm einfriert.“

Der Schulranzen wird um viele Kilo leichter

Ein weiterer Vorteil: So ein Tablet nimmt weniger Platz weg als ein Schnellhefter. Es ist etwas kleiner als ein DIN-A4-Blatt, noch nicht mal einen Zentimeter breit und wiegt gerade mal 622 Gramm. Die Schulranzen der Kinder werden so um viele Kilo leichter.

Das hat auch Rainer Schröder sofort überzeugt. Er ist Elternsprecher in der 8D, der Klasse seines Sohns Simon. „Seine Schwester in der Grundschule muss einen viel schwereren Ranzen schleppen.“ Auch sonst gefällt ihm das Konzept der Klasse. „Wir würden uns wieder so entscheiden.“ Zunächst hatte er Bedenken, ob sein Sohn dann nicht zu viel Zeit vor dem Computer verbringt, zumal die Kinder ja ohnehin nachmittags surfen, chatten, spielen oder Youtube-Videos gucken. „Darauf muss man schon aufpassen. Zur Not kann man die Internetzeit begrenzen und dafür was am Router regeln“, sagt Schröder. Das habe aber nichts mit der Tabletklasse zu tun, vermutet er. Jugendliche haben heute fast alle einen eigenen PC. „Ich habe den Eindruck, dass sie in der Tabletklasse einen bewussteren Umgang damit lernen. Und Simon ist mir schon jetzt in Powerpoint überlegen.“

Lernt man mit Tablet mehr?

Doch abgesehen von diesen technischen Fähigkeiten – lernen die Schüler mit Tablet tatsächlich mehr? Nicht unbedingt. Darauf deuten zumindest die ersten Studien zum Einsatz digitaler Medien im Unterricht hin: Die Schüler erbringen nicht unbedingt bessere Ergebnisse, aber sie sind motivierter bei der Sache. Letztendlich kommt es auf den Lehrer an, ob der Unterricht gut ist – das gilt analog wie digital. „Mobiles Lernen wird erst dann zum besseren Lernen, wenn Lehrer bereit sind, neue Strategien und neue Lernmethoden zu erproben und zu entwickeln“, sagt Erziehungswissenschaftlerin Heike Schaumburg von der Humboldt-Universität Berlin. „Doch dafür brauchen sie Zeit und Unterstützung.“

Daran hapert es, auch am Rückert klagen sie darüber. Für die IT-Betreuung stellt die Verwaltung nur 2,5 Lehrerstunden extra pro Schule bereit. Eine besondere Unterstützung, finanziell oder konzeptionell, habe es für die Einrichtung der Tabletklassen auch nicht gegeben. „Und wir haben so gut wie keine passenden Fortbildungen zum Einsatz der Tablets gefunden“, sagt Klietsch. Immerhin: In den neuen Lehrplänen, die ab 2017/18 gelten, wird Medienbildung in Berlin ein fächerübergreifender Schwerpunkt.

Und was sagen die Schüler? „Man muss den Kopf für Mathematik auch weiterhin anstrengen“, sagt Abdul. „Aber mit dem Tablet macht es einfach viel mehr Spaß.“

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