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Die freien Schulen sind meist auf die hohen Elternbeiträge angewiesen.

© Robert Michael/dpa

Die Finanzierungsfalle: Wie die freien Schulen in Berlin um Gleichberechtigung kämpfen

Den freien Schulen wird vorgeworfen, die soziale Selektion zu fördern. Aber ohne hohe Elternbeiträge könnten sie nicht überleben.

Zugänglicher sollen die freien Schulen werden – auch für Familien mit knappem Geldbeutel. So lautet die Forderung an die freien Träger, seitdem das Wissenschaftszentrum Berlin offenbarte, wie wenig arme Kinder an freien Schulen unterrichtet werden.

Anlässlich des Tages der Freien Schulen am kommenden Sonntag hat deren Arbeitsgemeinschaft (AGFS) allerdings dargelegt, dass es das Land Berlin selbst ist, das die soziale Selektion vorantreibt – und zwar durch die systematische Benachteiligung bei der Finanzierung.

Demnach gibt es etliche Bereiche, in denen das Land die freien Schulen derart benachteiligt, dass sie lediglich mit Hilfe von – teilweise hohen – Elternbeiträgen existieren können.

Das soll anders werden, wünschen sich die freien Schulen. So fordern sie, dass neue Schulen nach ihrer Gründung nicht mehr bis zu fünf, sondern nur noch zwei Jahre auf staatliche Zuschüsse warten müssen und anschließend ein Teil ihrer Ausgaben aus der so genannten Wartefrist ersetzt bekommen, wie es in einigen anderen Bundesländern der Fall ist.

Zudem bringen sie vor, dass das Land pro Monat 100 Euro für Schüler zahlt, deren Eltern kein Schulgeld aufbringen können: Unter dieser Bedingung sei es möglich, eine bessere soziale Mischung an den freien Schulen zu realisieren.

Um zu veranschaulichen, wie umfassend sie benachteiligt werden, nannten die Vertreter der freien Schulen jetzt Beispiele.

Beispiel: Schulbau

Als vor einem Jahr offenkundig wurde, dass die Schulplätze knapp werden, hatten die freien Schulen vorgeschlagen, mehr als 3000 Plätze zu schaffen, wenn sie dafür Zuschüsse vom Land erhalten. Im November hatte das Abgeordnetenhaus von der Senatsverwaltung für Bildung Aufklärung darüber gefordert, wie der „Sachstand“ zu diesem Vorschlag sei.

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Inzwischen liegt die Antwort von Bildungs-Staatssekretärin Beate Stoffers (SPD) vor. Sie legt dar, dass ihre Behörde das Angebot der freien Schulen nicht annehmen wolle, da sich kein Berliner Schüler „genötigt sehen“ dürfe, eine Ersatzschule zu besuchen. Zudem bekämen die freien Schulen ohnehin Zuschüsse für die „Beschaffung und den Betrieb der erforderlichen Schulräume“.

Diese Behauptung allerdings löste bei den freien Schulen Erstaunen aus: Sie erhalten nämlich solche Zuschüsse gar nicht. Die Zuwendungen des Landes erschöpfen sich vielmehr darin, dass man ihnen 93 Prozent der Personalkosten ersetzt.

Zwar könnten sie die daraus resultierende Summe theoretisch auch für den Schulbau nutzen – dann aber könnten sie ihre Mitarbeiter längst nicht so bezahlen wie die öffentliche Hand und wären nicht konkurrenzfähig.

Beispiel: Sozialarbeiter

Während die Zusage einer Bezuschussung von „93 Prozent Personalkosten“ den Schluss nahelegt, dass zumindest die Mitarbeiter der freien Schulen anteilig bezahlt werden, ist auch dies nicht der Fall. Vielmehr gilt die anteilige Finanzierung nur für pädagogische Kräfte wie Lehrer und Erzieher. Sozialarbeiter und Reinigungskräfte etwa fallen nicht darunter.

Anders ausgedrückt: Wenn sich eine freie Schule Reinigungspersonal und Sozialarbeiter „leisten“ will, ist sie gezwungen, diese Beträge pro Schüler auf die Elterngebühren draufzuschlagen, sofern sie keine anderen Einnahmen wie Kirchensteuern oder Stiftungsgelder hat.

Beispiel: Inklusion

Bis heute gewährt das Land Berlin den Schulen in freier Trägerschaft keine gesonderten Zuschüsse für Schüler mit hohem sonderpädagogischen Förderbedarfen wie etwa Autismus. Wenn sie dennoch Inklusion betreiben wollen, müssen auch dafür höhere Elternbeiträge genommen werden.

Die Liste der systematischen Benachteiligung freier Schulen sei aber noch länger, betonten am Montag übereinstimmend die Vertreter der Schulträger, darunter die Kirchen, der Waldorfverband, der Paritätischen Wohlfahrtsverband und die Freien Kant-Schulen. Als weitere Beispiele nannten sie den fehlenden gleichberechtigten Zugang zu Fortbildungen oder zur Schulpsychologie.

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„Vom Land erhalten wir für unsere rund 38.000 Schüler nur rund zwei Drittel unserer Gesamtkosten“, rechnete der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Freier Schulen, Andreas Wegener, vor.

Darum seien sie gezwungen, höhere Elternbeiträge zu erheben. Gleichzeitig halte die Politik ihnen genau das „immer wieder vor“, schilderte Wegener die aktuelle Lage. Am Sonntag will die AGFS darüber im Rahmen des Tages der Freien Schulen mit prominenten Politikern sprechen.

Politische Diskussion am Sonntag

Der 17. Tag der Freien Schulen seit 2003 findet unter Corona-Bedingungen am Deutschen Theater, Schumannstraße 13a, statt. Beim Bildungsmarkt gibt es von 13 bis 15 Uhr Informationsstände, an denen Gespräche mit Schulleitern, Lehrkräften oder Eltern möglich sind.

Bei der Bildungsdebatte von 14.30 bis 16 Uhr sprechen Vertreter der Schulen unter der Fragestellung „Wer hat Angst vor freien Schulen?“ mit den Fraktionsvorsitzenden von Grünen und FDP, Silke Gebel und Sebastian Czaja, mit dem Spandauer Bürgermeister Helmut Kleebank (SPD) sowie dem Lichtenberger Bildungsstadtrat Martin Schaefer (CDU).

Die Linke muss noch noch klären, inwieweit ihre Bildungsexpertin Regina Kittler nach einer verhängten Quarantäne schon wieder einsatzbereit ist.

Eine große Rolle dürften bei der Diskussion die aktuellen rot-rot-grünen Pläne spielen, die Finanzierung der freien Schulen zu verändern. Bislang wollten die Bildungspolitikerinnen nichts Konkretes verraten.

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